Hannover (epd). Zum Jahreswechsel hat der Begriff Hochkonjunktur. In
Spendenaufrufen und Gottesdiensten ist derzeit viel von
Barmherzigkeit die Rede. Doch viele junge Leute wie die Osnabrückerin
Maria Eichholz kennen den Begriff nur aus der Kirche. Im Alltag
begegnet er ihr kaum. «Barmherzigkeit ist ein Wort, das ich nie
gebrauche», sagt die 24-Jährige. Auch für die Studentin Florentine
Isensee (22) aus Oldenburg ist der Begriff alltagsfremd: «Ich benutze
dafür eher andere Wörter - zum Beispiel, dass jemand selbstlos oder
sozial ist.»
Duden-Chefredakteurin Kathrin Kunkel-Razum bestätigt:
Barmherzigkeit ist ein gehobener Begriff, er kommt eher geschrieben
als gesprochen vor. Und eben in der Bibel: Die Jahreslosung der
christlichen Kirchen für 2021 steht im Lukasevangelium: «Seid
barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist!» (6. Kapitel, Vers
36).
Mit «mitfühlend» und «Verständnis für die Not anderer zeigend»
beschreibt der Duden, was unter dem Adjektiv «barmherzig» zu
verstehen ist. Für Sprachwissenschaftler Peter Schlobinski reicht
bloßes Mitgefühl nicht aus. «Ein barmherziger Mensch ist - wie der
barmherzige Samariter aus der Bibel - kein Mensch, der nur Mitleid
hat, sondern jemand, der auch tätig wird und hilft», erläutert der
Professor für Germanistische Linguistik der Leibniz Universität
Hannover.