Startseite Archiv Tagesthema vom 13. Oktober 2020

Auch in den Herbstferien: LernRäume locken

Die vollständige Darstellung von Archivmeldungen befindet sich noch im Aufbau. Schauen Sie in Kürze noch mal vorbei!

Auch in den Herbstferien gehen viele Kinder in Niedersachsen in die Schule. In von den Kirchen initiierten „Lernräumen“ spielen und lernen sie gemeinsam - und üben, was durch Corona zu kurz kam.

Kinder und Jugendliche, die freiwillig in den Herbstferien die Schule besuchen? Klingt ungewöhnlich, ist es auch. Aber normal ist nichts, wenn eine Pandemie weltweit wütet. „Wenn man in den Ferien ohnehin nicht wegfahren kann oder will, ist es doch toll, gemeinsam mit Freunden zu lernen“, sagt Dr. Gabriele Obst. Die Leiterin des Evangelischen Gymnasiums Nordhorn ist in dieser Ferienwoche regelmäßig im Schulgebäude, denn dort üben Kinder aus den Jahrgängen 5 bis 8 mit „Lernbegleitern“ aus dem 12. und 13. Jahrgang. Um 9 Uhr beginnt der Tag mit lockeren Spielen, dann folgt eine Stunde Lernzeit. Nach einer Pause wird noch einmal anderthalb Stunden geübt - 22 Kinder profitieren aktuell von dem Angebot.

Schon in den großen Ferien hatte das Gymnasium eine „Sommerschule“ angeboten. „Wir konnten gar nicht so viele Teilnehmer aufnehmen, wie wir wollten“, sagt Pädagogin Obst. „Da hat home schooling echt etwas verändert. Viele Schüler haben gemerkt: Ohne Schule ist es auch nicht toll. Und ich kann manches nicht so gut, komme nicht mit.“ Für das freiwillige Angebot sprachen die Klassenleitungen gezielt Kinder an - im Kern geht es um konkrete Lerninhalte und selbständiges Arbeiten, auch im Hinblick auf einen möglichen neuen Shutdown.

Die Schließungen vom Frühjahr sitzen in der durch Schließungen, Corona-Auflagen und Digitalisierungsdruck durchgeschüttelten Bildungswelt noch tief: Eltern, Lehrkräfte und Kinder möchten nicht wieder zurück in die Welt des ausschließlichen home schooling. Aber wie können Schülerinnen und Schüler nach den Ferien möglichst viel Stoff im Klassenzimmer lernen, ohne sich anzustecken? Eine Frage, die auch die Lehrkräfte bedrückt.

Kultusminister Grant Hendrik Tonne (SPD) empfiehlt in einem Brief allen Lernenden, einen warmen Pullover mitzunehmen - denn die Verantwortlichen werden viel lüften müssen. Doch auch wenn Präsenzunterricht weiter ohne Masseninfektionen gelingt: Viele Lern-Lücken sind längst gerissen. Und nicht alle Eltern können ihren Kindern dabei helfen, sie wieder zu schließen.

In den Sommerferien haben „LernRäume“ in Niedersachsen genau hier angesetzt: Schulen, evangelische und katholische Kirchengemeinden, Vereine und Initativen öffneten ihre Türen und boten Orte an, an denen Kinder gemeinsam lernen und Gemeinschaft lernen konnten. Die Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen und die katholischen Kirchen hatten die Idee angestoßen, zahlreiche weitere außerschulische Partner schlossen sich an. Landesweit waren mehr als 6.500 Kinder und Jugendliche in rund 600 "LernRäumen" aktiv dabei - etwa in Kirchengemeinden, Schulbauernhöfen, Volkshochschulen und Jugendherbergen. Und eben auch in Schulen wie dem Evangelischen Gymnasium.

Mit inzwischen 3,5 Millionen Euro fördert das Kultusministerium die „Lernräume“ - und auch im Herbst geht es damit nun weiter. Die Angebote richten sich vor allem an Kinder und Jugendliche, die durch Pandemie und teilweise eingeschränkten Schulbetrieb besondere Unterstützung benötigen. Projekte für Grundschulen existieren ebenso wie Selbstlernangebote für weiterführende Schulen.

Er wolle dafür sorgen, dass Lernbegleiterinnen und Lernbegleiter auch weiter mit den unterstützten Kindern arbeiten, sagt Deutsch- und Religionslehrer Thomas van den Berg, der die „Lernräume“ an der Evangelischen Schule in Nordhorn koordiniert. „Die Resonanz war sehr positiv“, sagt er: „Es hat die Kinder zusammengeführt und die Familien entlastet.“ Der 60-Jährige kann sich vorstellen, dass eine „kleine Tradition“ entstehen könnte: „Wir wollen das als ein Mentorenprogramm etablieren und auch in den nächsten Ferien durchführen.“

„Es ist großartig, wie intensiv bei den lokalen Projekten der Kontakt zu Kindern und Jugendlichen aufgenommen wird“, sagt Oberlandeskirchenrätin Dr. Kerstin Gäfgen-Track, Leiterin der Bildungsabteilung der Landeskirche Hannovers und Bevollmächtigte der Konföderation. „Wie spontan und mit welcher Fröhlichkeit das passiert: Nicht mit jedem Bruchrechnen machen, sondern individuell schauen, was man gemeinsam üben kann. Das Engagement, mit dem Menschen da einzelne Kinder fördern, finde ich sehr beeindruckend.“

Alexander Nortrup

„Kinder haben es verdient, dass wir sie ernst nehmen“

Frau Dr. Gäfgen-Track, in den Herbstferien gehen vielerorts Schüler in „Lernräume“. Das klingt ein bisschen nach verkehrter Welt, oder? Das könnte man meinen - aber ich sehe das ganz anders. Corona und der sehr eingeschränkte Schulbetrieb im Frühjahr haben dazu geführt, dass manche Kinder Probleme hatten, dem Unterrichtsstoff zu folgen. Deshalb haben wir mit vielen anderen ein tolles Angebot auf die Beine gestellt. So können die Kinder in den Ferien weiter lernen - und dabei natürlich auch viel Spaß haben. Es sind ja schließlich Ferien.

In den Gemeindehäusern gab es im Sommer und auch jetzt wenig nur wenige Veranstaltungen. War es ein schöner Zufall, dass räumliches Angebot und Bildungsbedarf so gut zusammenpassten? Das kann man so sehen. Aber wir haben als Kirchen schon weit vor Corona gesagt: Wir brauchen dringend mehr Bildungsgerechtigkeit. Jedes Kind sollte einen Abschluss machen und sich bestmöglich entfalten können. Digitalisierung ist wichtig, aber sie muss auch alle erreichen. Solche Themen liegen uns schon seit Jahren am Herzen. Bei den „Lernräumen“ gibt es nun einen sehr konkreten Weg, zu helfen. Das ist übrigens typisch evangelisch: Bildung als ein hohes Gut zu sehen, mit dem ein Mensch sein Menschsein verwirklicht.

Das Angebot geht zurück auf die fünf Landeskirchen der Konföderation, aber auch auf die katholischen Bistümer, Caritas und Diakonie. Wie wichtig ist Ihnen der ökumenische Charakter der Angebote? Es geht darum, Angebote zu machen, die dringend gebraucht werden. Nicht zu schauen, wer welcher Kirche angehört. Deshalb wollten wir das von Anfang an ökumenisch haben. Es ist ja unsere christliche Aufgabe, für den Nächsten da zu sein. Die Kinder haben es verdient, dass wir sie ernst nehmen und ihnen Chancen eröffnen. Und es wird auch gesellschaftlich wahrgenommen, dass wir da über unseren innerevangelischen Dunstkreis hinausgehen. Ich würde sogar sagen: Es ist auch ein wichtiges Zeichen für den Dialog aller Religionen. Denn Verantwortung für Kinder haben wir alle gemeinsam.