Startseite Archiv Tagesthema vom 05. Oktober 2020

Altersarmut? "Wir können noch gegensteuern"

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Franz Müntefering hat zum „Tag der älteren Generation“ in Hannover über Altersarmut gesprochen. Er fordert bessere Löhne und mehr Gerechtigkeit im Rentensystem - und bleibt auch mit 80 Jahren kämpferisch

Als der einstige SPD-Vorsitzende, Bundesminister für Soziales und Arbeit und Vizekanzler in der Marktkirche Hannover Platz nimmt, sind ein paar mehr graue Haare und Falten nicht zu leugnen. Aber als Franz Müntefering zu seinem Vortrag am 1. Oktober, dem „Tag der älteren Generation“, ansetzt, wirken die 80 Jahre, die der Mann im Januar feiern durfte, nur noch wie eine abstrakte Zahl auf dem Papier. Der prominente Sozialdemokrat spricht unter der Überschrift „Ohne Moos nix los – Gut leben im Alter“ vor knapp 100 Besuchern - und die merken schnell, dass Evangelische Erwachsenenbildung Hannover, evangelische Familienbildungsstätte, Projektstelle „Alternde Gesellschaft“ im Haus kirchlicher Dienste und Marktkirchengemeinde Hannover einen Redner eingeladen haben, der im Alter kaum an Energie und Streitlust eingebüßt hat.

Pastor Thomas Höflich, der bis zum Amtsantritt von Rainer Müller-Brandes am 11. Oktober noch als Stadtsuperintendent agiert, begrüßt die Anwesenden. Er erzählt vom Erntedankfest und einem pastoralen Besuch auf dem Wochenmarkt. Dann tritt Müntefering, seit 2015 Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (BAGSO), an das Rednerpult. Für ihn gibt es aktuell noch keine überproportionale Altersarmut. „Sie droht uns, das stimmt“, sagt er. „Aber noch kann man gegensteuern. Das ist die Herausforderung für alle demokratischen Parteien.“ Schon in wenigen Jahren könne es unter anderem Alleinerziehende empfindlich treffen. Schlecht bezahlte Jobs, besonders häufig auch von Frauen ausgeübt, trügen dazu bei. „Wir haben keinen hinreichenden Respekt mehr vor einfacher Arbeit“, mahnt Müntefering. „Putzkräfte zum Beispiel sind oftmals so schlecht bezahlt, dass ihre Rentenansprüche mikroskopisch sind.“ 

Der ehemalige SPD-Vorsitzende spricht nicht nur zu geringe Löhne an. Er kritisiert auch - ganz im Duktus des sozialen Gewissens aus dem Sauerland - Millionensaläre für „Sparkassendirektoren“ und andere Spitzenverdiener. Der Sohn eines Landwirts und einer Hausfrau, der gelernte Industriekaufmann mit starker gewerkschaftlicher Prägung durch die IG Metall - er bleibt auch im Alter kämpferisch.

Und Müntefering nennt Bedingungen, die Altersarmut aus seiner Sicht mildern könnten: Es müssten gute Löhne gezahlt werden, damit der Staat ausreichend Steuern einnehmen kann. Und diese müssten dann gerecht verteilt werden - etwa in Form von Zuschüssen an die Rentenkasse, damit alle im Alter ausreichend bekommen. Pflegezeiten für Angehörige sollten angerechnet, der Rentenbezug zwischen nicht verheirateten Partnern gesplittet werden können.

Nach einer coronabedingten Lüftungspause diskutiert die Fachjournalistin Elisa Rheinheimer-Chabbi mit Müntefering, fragt etwa nach alternativen Systemen aus dem EU-Ausland und radikalen Änderungen. Der BAGSO-Vorsitzende entgegnet, man müsse nicht das gesamte Rentensystem auf den Kopf stellen: „Das gibt dann wieder ganz andere, große Probleme.“ Kritische Fragen von Rheinheimer-Chabbi und Gästen zu den bis heute umstrittenen Arbeitsmarktreformen der „Agenda 2010“, die Müntefering als zuständiger Minister maßgeblich gestaltete, pariert Müntefering leicht genervt und knapp. Schließlich kommt aus dem Publikum die Frage, wann endlich auch Beamte und Selbständige in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlten. Die rechtlichen Hürden seien hoch, entgegnet der 80-Jährige. Aber im Ziel sei man sich einig: „In die Pflegeversicherung müssen alle einzahlen - da ist das solidarische Prinzip umgesetzt. Warum kann das nicht auch bei der Rente gelingen?“

Alexander Nortrup