Startseite Archiv Tagesthema vom 24. September 2020

Eine Orgel in einer Stunde

Mit einem Baukasten können Interessierte eine kleine Orgel bauen und dabei viel über die "Königin der Instrumente" lernen.

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Große und kleine Hölzer, filigrane Metallstäbchen, Pfeifen und einzelne Tasten häufen sich auf den drei Tischen in Norderneyer Gemeindehaus. Und dann stehen da noch ein kleiner Doppel-Blasebalg, ein geheimnisvolles Kästchen, zwei graue Rohre und ein Stück Holz mit vielen Löchern. Wie aus den rund 150 Einzelteilen innerhalb einer Stunde eine funktionierende Orgel entstehen soll, ist vielen Teilnehmern der Aktion in der Insel-Gemeinde zunächst unklar. Aber die Chorsängerinnen und -sänger, die sich hier in vier Zweiergruppen zusammengefunden haben, sind motiviert.

Insel-Kantorin Gudrun Fliegner leitet sie an - und will sehen, wie lange das ungefähr dauert. Auf Fliegners Initiative ist der Bausatz angeschafft worden. Wäre nicht die Pandemie dazwischengekommen, hätten im Sommer bereits viele Gästekinder und junge Inselbewohner den Orgelbaukurs bei ihr durchlaufen. Doch das Projekt, das für Touristen gegen Bezahlung und für Insulaner kostenlos angeboten werden soll, musste verschoben werden.

Entwickelt hat die „Doe-Orgel“ (holländisch für Tu-Orgel) ein Mitarbeiter der niederländischen Firma „Verschueren Orgelbau“. Der Orgelbauer ist eigentlich mit deutlich größeren Instrumenten befasst, will aber mit der „Doe-Orgel“ seine Leidenschaft für das Instrument weitergeben.

Und das geschieht auf Norderney Schritt für Schritt: Während Kantorin Fliegner und ihr Bastelpartner am ersten Tisch den Rahmen zusammenstecken, sortiert die zweite Gruppe schon die Tasten. Auch am Tisch der Pfeifen-Gruppe wird gearbeitet: Die beiden Frauen legen konzentriert die hölzernen, quadratischen Pfeifen nach Größen zusammen. Der Rahmen ist fast fertig gebaut, doch etwas stimmt nicht. Trotz der detaillierten illustrierten Anleitung und der Beschriftung mit Ziffern kann es passieren, dass etwas falsch herum reingesteckt wird - und schon passt es nicht mehr.

Schließlich ist der Rahmen fertig und steht in der Mitte für die nächste Gruppe bereit. Deren Aufgabe ist es nun, die 24 schwarzen und weißen Tasten in die richtige Reihenfolge zu bringen und sie einzubauen.

Die „Doe-Orgel“ ist eigentlich für Kinder ab dem Grundschulalter gedacht. Die Bastelei ist zwar filigran, aber durchaus für kleine Orgelbauer machbar - und auch für Erwachsene mit viel Spaß verbunden. Inzwischen sind die Tasten in richtiger Reihe eingebaut. „Wie gut, dass ich vor kurzem ein Puzzle gelegt habe“, sagt eine der Frauen lachend. Nun kommt die Windlade an die Reihe und wird mit den Haltestiften an Ösen befestigt. Auch das ist eine ordentliche Fummelarbeit. Irgendwann ist auch dieses Kästchen mit den Tasten verbunden.

Eine Teilnehmerin setzt die Registerschleife ein, die später Luft in die Pfeifenreihen führen wird. Die bastelnde Chorsängerin schließt den Magazinbalg und den zweiteiligen Windbalg über die Rohre an die Windlade an. Und jetzt wird gepumpt: „Das kennt ihr vom letzten Grillabend“, sagt Fliegner. Kein Widerspruch: Mit Wind kennen sich Insulaner schließlich aus.

Nun zeigt sich: Die Organistin kann die Bauteile und ihre Funktion bei dieser kleinen Orgel gut erklären. Denn im Gegensatz zur großen Orgel ist alles gut sichtbar. So können die Teilnehmer genau verfolgen, wie der Wind geführt wird.  Doch ohne Pfeife kein Ton. Die Pfeifengruppe ist noch längst nicht fertig - und sie hat es schwer: Zwei verschiedene Sorten von Pfeifen müssen von groß nach klein eingebaut werden. Und wieder gibt es etwas zu beachten: Die gedeckelten Pfeifen auf der vorderen Registerschleife sind eine Oktave tiefer als die andere.

Fliegner nutzt den Moment, um die Verbreitung von Schallwellen über Luftverwirbelung zu erklären, den Über- und Unterdruck, Frequenzen und Tonhöhen, die Bauweise von Flöten und Pfeifen. Sie beschreibt, wie sie selbst an der großen Orgel die unterschiedlichen Pfeifen stimmt.

Schließlich ist die Arbeit vollbracht. Jetzt wird es richtig spannend: Eine Teilnehmerin pumpt, eine andere drückt eine Taste – und tatsächlich erklingt der erste Ton. Warm und weich ist er, weil die Luft durch Holzpfeifen strömt. Als alle Pfeifen eingebaut sind, spielt die Organistin eine Oktave und alle hören es sofort: Das klingt schief. Kommando zurück, alle Pfeifen müssen noch einmal ausgebaut, richtig sortiert und neu eingesetzt werden.

Zweiter Versuch. Jetzt geht es: „Der Mond ist aufgegangen“, gespielt mit zwei Registern auf der Orgel Marke Eigenbau, erklingt. Nun darf jeder Mitwirkende ein Lied spielen, dann geht es an die Demontage. Nach rund 75 Minuten liegen die Einzelteile wieder auf den vier Tischen bereit. Die nächsten vier Gruppen können kommen und die Königin der Instrumente beim gemeinsamen Basteln kennenlernen.

Verena Leidig (Evangelische Zeitung)