Startseite Archiv Tagesthema vom 11. Mai 2020

Gottesdienst im "Zwischenland"

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Vor der Bonifatius-Kirche in Celle-Klein Hehlen bildet sich eine Schlange. Die Gottesdienstbesucher stehen jeweils anderthalb Meter voneinander entfernt - immer dort, wo ein roter Punkt auf dem Pflaster vor dem Fachwerkbau klebt. "Sie sehen alle so schick aus, besonders hier", begrüßt sie Pastorin Alexandra Eimterbäumer und zeigt dabei auf ihr Gesicht. Ihr Lächeln lässt sich nur an den Augen ablesen, denn wie die übrigen Kirchgänger trägt sie einen Mund-Nasen-Schutz. Erstmals nach wochenlanger Zwangspause feiern evangelische Christen in Niedersachsen und Bremen wieder Gottesdienste in den Kirchen. Und in Corona-Zeiten ist dabei vieles anders als gewohnt.

Die Kirchen und Religionsgemeinschaften haben mit den Ländern Hygiene-Regeln vereinbart, um bei den Feiern den Infektionsschutz zu wahren. In Celle wie auch in der Nazarethkirche der evangelischen Südstadtgemeinde in Hannover haben Haupt- und Ehrenamtliche ausgetüftelt, wie sich der bestmögliche Schutz mit einer vertrauten Atmosphäre vereinbaren lässt. Wer die Kirche betritt, muss sich zunächst die Hände desinfizieren, schon das ist ungewohnt. Doch die beiden Gemeinden haben auf Flatterband verzichtet, das andernorts Bänke absperrt, um Abstandsregeln zu wahren.

"Die Kirche ist kein Katastrophengebiet", sagt der hannoversche Pastor Dieter Henkel-Niebuhr. Menschen sollten nicht das Gefühl haben, sie befänden sich an einem Ort mit höherem Infektionsrisiko als sonst. Im Gegenteil: Durch die Regelungen seien sie zum Teil besser geschützt als zum Beispiel in Supermärkten. In der Nazarethkirche zeigen Handzettel in den Bänken an, wo die Menschen sich hinsetzen dürfen.

Nur rund ein Zehntel der jeweiligen Plätze können in Hannover und in Klein Hehlen belegt werden, das macht gerade mal um die 30 Personen. Die Celler Gemeinde feiert deshalb zwei Andachten, um 10 und um 11 Uhr. Um die Übersicht zu behalten, hat sie um telefonische Anmeldung gebeten. "Willkommen", sagt die Kirchenvorstandsvorsitzende Babett Janßen im Vorraum der Kirche und hakt ab, wer da ist. Längst nicht überall haben an diesem Sonntag die Gottesdienste wieder begonnen. Die katholischen Bistümer empfehlen den Start erst von der beginnenden Woche an. Evangelischen Gemeinden ist er freigestellt. Manche setzen weiter auf alternative Formate, auch aus Sorge, die Hygieneregeln könnten zu viel verändern.

Die Fachwerk-Kirche in Klein Hehlen sieht trotz schwarzer Klebestreifen auf den Banklehnen fast aus wie immer. "Und trotzdem ist es fremd", sagt Janßen. Das Vertraute zu bewahren, ohne die Brüche zu leugnen, die alle spüren - das kennzeichnet die halbstündige Andacht. "Wir sind in einem Zwischenland", sagt Pastorin Eimterbäumer. "Das Zwischenland ist auch ein Ort, wo Gott uns neu begegnen kann."

Sie träume von einem Gottesdienst mit Chor und Kinderchor, gern auch noch dem Schützen- und dem Reitverein. "Aber noch ist es nicht so." Zwei Sängerinnen und zwei Sänger stimmen im Altarraum stellvertretend für alle die Lieder an. Am Sonntag "Kantate" steht eigentlich der Gesang im Mittelpunkt. Doch nach den Empfehlungen der hannoverschen Landeskirche müssen die Gemeinden darauf wegen des erhöhten Infektionsrisikos erst einmal verzichten.

In der Nazarethkirche in Hannover sind die Besucher deshalb eingeladen, einen Teil der Liedtexte mitzusprechen. "Gar nicht so einfach", findet Manfred Prudlo (84) - und das nicht nur, weil durch die Maske seine Lesebrille beschlägt. Er kennt viele Lieder auswendig. "Da muss man aufpassen, dass man nicht zum Mitsingen verführt wird."

Nach dem Segen leert sich die Kirche in Celle-Klein Hehlen nur langsam. Bankreihe für Bankreihe geht es dabei geordnet zu. Draußen angekommen ruft Margit Kalb einer Freundin zu: "Lass dich umärmeln!" Dabei bleibt die 73-Jährige auf Abstand. Immer wieder hält sie an für einen kurzen Plausch. Der Gottesdienst sei viel schöner gewesen als Andachten im Fernsehen oder im Livestream. "Wunderbar war das Wiedersehen, obwohl es ungewöhnlich war mit der Maske", sagt sie. "Jetzt gehe ich ganz beseelt und freudig wieder nach Hause."

epd Niedersachsen-Bremen

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