Startseite Archiv Tagesthema vom 10. März 2020

Wie ein Pastor Freiräume beim Bäcker fand

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Pastor Heitkamp führt Freiräume-Projekt auch 2020 weiter

Donnerstag früher Nachmittag in der Südheide. Groß Oesingen hält Mittagsruhe, zumindest wirkt es so für Menschen, die aus der Stadt hierherkommen. Bäckerei Cordes in der Molkereistraße hat geöffnet. Nicht weil sie auf uns gewartet hätten, sondern weil sie über Mittag offen haben. Wir warten auf den Pastor, der eigentlich freitags kommt. Und zwar in die Bäckerei. Heute kommt er nur für uns, denn Heitkamps Freiraum-Projekt soll Teil eines Filmes werden.

„Ich sitze hier und trinke Kaffee und das jede Woche freitags von 9 bis 10 Uhr. Öffentlich. Und offen für andere“, erläutert Heitkamp, nachdem er am Lotto- und am Bingo-Schild vorbei mit großen Schritten in den Verkaufsraum stürmte, ganz selbstverständlich hinter den Tresen ging und für alle Cappuccino zubereitete.

Das Jahr 2019 sollte unter der Überschrift Zeit für Freiräume in der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers ein Jahr für Aufbrüche und Fragen, für Unterbrechungen und Besinnung werden. Um des Menschen willen, so hieß es in der Projektvorstellung. Zur Vorbereitung auf das Projekt hatte der Sprengel Lüneburg im Herbst 2018 seine Pastorinnen und Pastoren zum Generalkonvent eingeladen. Heitkamp war spät dran. „Da habe ich dann lieber noch in Ruhe einen Kaffee getrunken und den Gottesdienst geschwänzt.“ Bei diesem Kaffee entstand seine Idee zu Hochwürden hat Zeit, so simpel wie überzeugend.

„Vordergründig war es ein weiterer Termin, der fest in meinem Kalender verankert ist. Aber ein Termin, und das macht den Unterschied, bei dem der Zweck nicht im Vorherein schon feststeht.“ Das ist für den Pastorenberuf eher ungewöhnlich. „Insofern ist es auch für mich ein Stück Freiraum.“ Mit der Familie Cordes, die die Traditions-Bäckerei im Ort betreibt, verbindet Heitkamp eine mittlerweile jahrelange Freundschaft. „Ich schätze, wir haben hier im vergangenen Jahr freitagsmorgens mehr als 500 Tassen Kaffee getrunken.“

Es läuft vom ersten Tag an gut. Auch in seiner anderen Gemeinde hat er Hochwürden hat Zeit gestartet, einmal monatlich in der Steinhorster St. Georgs-Kirche. „Da ist kaum jemand gekommen.“ Vielleicht liegt es daran, dass Heitkamp die eigenen vier Kirchwände verlassen hat? In der Bäckerei saß Heitkamp nie allein, von Anfang an hatte Hochwürden Zulauf, oft waren es zehn oder mehr Personen. Diejenigen, die im vergangenen Jahr die Bäckerei-Treffen mit dem örtlichen Pastor wahrgenommen haben, treffen sich mittlerweile auch ohne ihn. Gespräche über Gott und vor allem über das Leben werden hier geführt. „Das sind Menschen, die hier vorher zum Kaffeetrinken nicht hergekommen sind; und manchmal auch nichts oder nur wenig miteinander zu tun hatten.“

Heitkamp ist seit mehr als zehn Jahren in der Gemeinde. „Als Pastor hat man immer eine Sonderrolle, im ländlichen Raum noch mal mehr.“ Denn hier halten sich Traditionen deutlich länger, das betrifft auch das Bild und die Rolle des Pastors. Oder der Pastorin? „Es gilt, was der Pastor sagt. Der Pastor, nicht die Pastorin. So war es hier jedenfalls lange Zeit.“ Fast drei Jahrzehnte prägte Karsten Heitkamps Vor-Vorgänger die Oesinger Gemeinde. „Er war eine imposante Erscheinung, so ein echter Hochwürden. Er trug das althergebrachte Pfarrherrenbild vor sich her, mit schwarzem Anzug und Melone.“

In diese Fußstapfen wollte Heitkamp nicht treten. „Das bin ich nicht, das will ich auch nicht. Ich bin ein ganz normaler Mensch.“ Er will auf keinem Sockel stehen. „Ich bin nicht näher dran an Gott. Beten sollen wir alle selbst, nicht der Pastor stellvertretend für alle.“ Es gelte seit der Reformation, seit über 500 Jahren somit, das Priestertum aller Gläubigen. „Für die Gemeinde ist das anspruchsvoller, denn alle Christinnen und Christen haben damit die gleiche Aufgabe. Es kann sich niemand rausreden.“

Noch im Studium lernt der angehende Theologe, keine Freundschaften innerhalb der Gemeinde einzugehen. Auch das passt nicht zu Heitkamp. „Ich lebe es anders. Und die Menschen hier freuen sich darüber und sagen: Der fühlt sich zuhause, der ist tatsächlich gern hier bei uns.“ So habe ihn das Freiraum-Projekt auch seiner Gemeinde nähergebracht, resümiert der Pastor. „Ich bin hier ein Mensch unter Menschen.“

Karsten Heitkamps Freiräume-Projekt Hochwürden hat Zeit geht auch im Jahr 2020 weiter. Der Theologe wird kaffeetrinkend zumindest an manchen Freitagen von 9 bis 10 Uhr in der Bäckerei Cordes in Groß Oesingen anzutreffen sein. Der Evangelische Kirchenfunk Niedersachsen hat einen Film zu den landeskirchlichen Freiräumen gedreht, auch Karsten Heitkamp war dabei.

Frauke Josuweit / Öffentlichkeitsarbeit Kirchenkreis Wolfsburg-Wittingen