Startseite Archiv Nachricht vom 05. März 2020

Syrischer Pastor: "Wir haben immer noch Hoffnung"

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Die syrischen Christinnen und Christen stehen besonders im Mittelpunkt des Sonntags Reminiszere am 8. März. In ihrem Land herrscht bis heute ein schier nicht enden wollender Krieg - und viele ihrer Freunde und Verwandten sind nach Europa geflohen. Wie sieht Gemeindeleben in Syrien aus? Und wie kann man sich Alltag unter solchen Umständen überhaupt vorstellen? Das haben wir einen syrischen Pastor gefragt - und geben hier das Protokoll des über WhatsApp-Audio geführten Gesprächs wieder.

Mofid Karajili: "Wie geht es uns als Christen in Syrien im täglichen Leben? Damaskus, Homs, Aleppo, die Küstenlinie und der größte Teil des Staatsgebietes stehen inzwischen unter der Kontrolle der syrischen Regierung. Dort ist es weitgehend ruhig, man kann ein relativ normales Leben führen. Menschen gehen zur Arbeit, man kann ohne größere Gefahren von Stadt zu Stadt reisen. In den Gegenden, wo fanatische islamistische Gruppen die Kontrolle ausüben, können wir als Christen dagegen nicht leben. Und in den Kurdengebieten im Norden, wo ich selbst herkomme, herrscht zwar religiöse Toleranz. Aber die Lage dort ist vor allem durch die Angriffe der türkischen Armee gefährlich, auch dort leben inzwischen kaum noch Christen.

Wirtschaftlich gesehen ist es überall im Land katastrophal. Es fehlt uns einfach an allem. Strom ist etwa immer zwei Stunden an und dann wieder vier Stunden ausgeschaltet. Weil aber in den zwei Stunden alle versuchen, ihre Geräte anzuschalten, geht trotzdem regelmäßig nichts. 24 Stunden am Tag Zugang zu Elektrizität - das ist für uns ein unvorstellbarer Traum.

Treibstoff ist ebenfalls ein Riesenproblem, vor allem Diesel gibt es praktisch gar nicht. Deshalb können fast überhaupt keine Busse fahren. Auch Gas zum Kochen ist absolute Mangelware. Die Menschen stehen viele Stunden an, um sich eine Gasflasche zu besorgen - und stellen oft dennoch fest, dass es keine gibt. Dabei wäre Gas auch für das Heizen wichtig. Es ist durchaus sehr kalt in den nördlichen Regionen unseres Landes. Genau dort, wo gerade viele Menschen auf der Flucht sind.

Medizin ist extrem teuer und für viele Krankheiten einfach nicht bezahlbar: Gerade Krebsmedikamente können sich viele Kranke schlicht nicht leisten. Die Wirtschaft in Syrien ist praktisch zum Erliegen gekommen. Unsere Währung hat in den letzten Jahren derart an Wert verloren, dass wir im Grunde keine Kaufkraft mehr haben, auch wenn wir Vollzeit arbeiten.

Von 2004 bis 2011 war ich Pastor in Idlib, wo im Moment Tausende Menschen vor den Kämpfen um die Stadt fliehen. In den westlichen Nachrichten ist gar von bis zu einer Million Flüchtenden die Rede. Das erscheint mir ein wenig zu hoch. Wir sind hier vor Ort aber ohnehin nicht an den Zahlen interessiert. Klar ist: Viele, sehr viele Menschen haben schon ihr Zuhause verlassen. Und jede Flucht ist eine zu viel.

Alle Menschen in meinem Land leiden seit vielen Jahren fürchterlich. Und die Christen damit natürlich auch. Sie sind vom massenhaften Wegzug vieler Syrer ins Ausland und in andere Regionen innerhalb des Landes stark betroffen. Der Verlust so vieler Menschen in den Gemeinden und im täglichen Leben schmerzt gewaltig. In Städten wie Idlib gibt es überhaupt keine Christen mehr - nur in einzelnen kleinen Dörfern. Es gab einst 50.000 Christen in Qamishli, nun sind es nur noch knapp 12.000. Und in Aleppo gab es vor dem Krieg 300.000 Christen, jetzt sind es vielleicht noch 30.000.

So viele junge, gut ausgebildete Menschen haben das Land in den letzten Jahren verlassen. Die meisten gingen nach Schweden, Deutschland, in die Niederlande und nach Österreich. Ich kann das an meiner eigenen Familie gut belegen: Die große Mehrheit meiner Verwandten und Freunde wohnt inzwischen in Europa. Mein Vater, meine Mutter, meine Schwester und mein Schwager leben in Schweden. Es gibt dort Landstriche, wo man den Eindruck gewinnen könnte, dass man eher in Homs ist als in Nordeuropa.

Alle bemühen sich alle sehr, die Pastoren und Gemeindeverantwortlichen geben ihr Bestes. Viele Kirchen sind geschlossen, andere kurz davor. Aber es gibt auch gute Nachrichten: Einige Kirchen florieren wie nie zuvor. Ich habe mitten im Krieg, von 2012 bis 2018, als Pastor in der Gemeinde in Homs gearbeitet. Eine meiner Prioritäten war es, täglich so viele Gemeindemitglieder wie möglich zu besuchen. Viele hatten existenzielle Fragen - kein Wunder, wenn das Leben in großer Gefahr ist und große Teile des Landes in Schutt und Asche liegen. Viele Menschen hat das zu Gott und in die christliche Gemeinschaft geführt. Auch die Hilfe der europäischen Kirchen hat dazu beigetragen, dass wir diese wichtige seelsorgerliche Arbeit bis heute tun können.

Das Hauptgebäude der Gemeinde in Aleppo etwa ist durch Bomben vollständig zerstört und mithilfe von Spenden aus vielen Ländern inzwischen wieder neu errichtet worden. Wir leiden unter dem Krieg und unter der Politik. Aber wir erleben auch eine große Solidarität von Christen aus der ganzen Welt.

Ich hoffe und bete und tue mein Bestes, damit Christen in Syrien ermutigt werden. Denn viele verlieren ihre Hoffnung, und ich kann es ihnen, ehrlich gesagt, nicht verübeln. Wer sich mit Fluchtgedanken beschäftigt, hat dafür durchaus rationale Gründe. Dennoch ist es so wichtig, dass wir dieses Land gemeinsam wieder aufbauen. Syrien ist trotz allem ein wundervolles Land, in dem unter anderem viele historisch bedeutsame Zitadellen, Burgen und Denkmälern gibt. In Damaskus existiert beispielsweise noch das Haus von Hananias, der Paulus getauft hat. Dort befindet sich heute eine Kirche. Wer in Damaskus spazieren geht, bewegt sich irgendwie immer auch in der antiken Welt.

Ich hoffe auf Frieden für unser Land. Wir alle hier wünschen uns ein Leben in Frieden - und eine Erholung der wirtschaftlichen Lage. Wir haben immer noch Hoffnung: Syrien ist voller natürlicher Ressourcen, aber um sie zu nutzen, muss erst einmal wieder Frieden herrschen. Die Zukunft ist nicht besonders rosig. Aber sie ist auch nicht so düster, wie es lange schien."

Aufgezeichnet von Alexander Nortrup

Zur Person: Mofid Karajili

Mofid Karajili ist 40 Jahre alt und stammt aus der kurdischen Stadt Qamischli, das direkt an der Grenze zur Türkei und nahe an der Grenze zum Irak liegt. Dort verbrachte Karajili die ersten 18 Jahre seines Lebens. Dann studierte er in Kairo Theologie, kehrte 2004 nach Syrien zurück und trat eine Pfarrstelle in Idlib an. 2011 ging er von dort nach Homs und arbeitete bis Ende 2018 in der lokalen Kirchengemeinde. In dieser Zeit besuchte er auch die Landessynode in Hannover und berichtete dort eindrücklich von den Herausforderungen der syrischen Kirchengemeinden. Dann wollte er eigentlich nach Aleppo gehen, aber gesundheitliche Probleme mit seinen Bandscheiben hinderten ihn daran. Er schreibt aktuell an der „Near East School of Theology“ in Beirut eine Masterarbeit in theologischer Philosophie. „Es geht um das Neue Testament und ein Thema, an dem viele deutsche Theologen gearbeitet haben - den historischen Jesus“, sagt er. „Ein sehr schönes Themenfeld. Trotzdem bin ich froh, damit im Herbst durch zu sein - denn dann werde ich wieder als Gemeindepastor arbeiten.“

Landesbischof Meister: "Syrische Christinnen und Christen sind Hoffnungsmenschen"

Landesbischof Ralf Meister berichtet von Reiseeindrücken aus Syrien - und von seiner Hochachtung vor den syrischen Christen. Ein Auszug:

"Viele Menschen aus Syrien sind für mich Hoffnungsmenschen: Diejenigen, die an ein Weiterleben in ihrer zerstörten Heimat glauben ebenso wie die, die sich in grenzenlosem Gottvertrauen aufgemacht und alles riskiert haben, um einen sicheren Ort zum Leben zu finden. Kinder der Hoffnung, weil sie an einem Bild des Guten festgehalten haben angesichts von unglaublichem Terror und systematischer staatlicher Verfolgung. Die Ziele ihrer Hoffnung lagen in weiter Ferne: Homs sieht in weiten Teilen bis heute aus wie eine Geisterstadt. Mit welchen Worten soll man beten, wenn so viele klagende Bitten ungehört verklungen sind?"

Gebet zum Tag der verfolgten Christen

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) lädt auch im Jahr 2020 alle Kirchengemeinden in ihrem Bereich sowie in anderen Konfessionen dazu ein, am 8. März, dem Sonntag Reminiszere, für bedrängte und verfolgte Christen zu beten. Dabei geht es 2020 um die Situation der Menschen in Syrien. Eine umfängliche Broschüre gibt Auskunft über die Lage von christlichen Minderheiten und stellt zugleich liturgische Bausteine zur Verfügung.

EKD-Broschüre vermittelt Einblicke

Eine umfängliche Broschüre gibt Auskunft über die Lage von christlichen Minderheiten und stellt zugleich liturgische Bausteine zur Verfügung.