Startseite Archiv Tagesthema vom 16. Februar 2020

Wahrheit und Wirklichkeit

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Andacht zum Sonntag Sexageimae

Durchschnittlich 16.000 Wörter pro Tag sagen wir – Männer und Frauen wohlgemerkt. Das sind viele Geschichten und Geschichtchen, Nachrichten, Fragen und Antworten, die jeden Tag durch die Luft schwirren.

Mit diesen Worten erklären wir die Welt und unser Leben. Wir deuten und richten uns ein. Mit Worten machen wir uns die Welt, wie sie uns gefällt.

Was aber, wenn mir etwas nicht gefällt – und es trotzdem zu meiner Welt gehört? Manchmal verstumme ich dann. Wortpause. Was mir nicht gefällt, das sage ich einfach nicht laut. Denn was ich nicht sage, das bleibt ja wohl hoffentlich vor der Tür. Oder ich steigere meine Wörteranzahl. Erkläre, rechtfertige, drehe und wende alles bis das, was mir nicht gefällt, irgendwie doch in meine Welt passt. Nicht richtig gut, aber erträglich. Dann ist alles nicht so schlimm. Dann war es ja gar nicht so gemeint. Das ist ja auch schwierig. Und sowieso: Die anderen machen das doch auch so!

Und während ich noch schweige oder mich um Kopf und Kragen rede, kenne ich doch die Wahrheit, die mir nicht gefällt und die trotzdem zu meinem Leben gehört. Ich weiß um die Endlichkeit des Lebens, um meine Schuld und manche Ungerechtigkeit. Ich spüre, wie erleichternd es wäre, die Wahrheit zu sagen. Alles auf den Tisch zu legen. Denn erst wenn alles auf dem Tisch liegt, kann ich mich dazu verhalten. Ich weiß das – und scheue mich trotzdem. Weil die Wahrheit, die Wirklichkeit manchmal so verdammt hart und ungerecht ist. Weil ich ahne, dass es auch unangenehme Folgen haben kann, wenn ich klar Stellung beziehe.

Der Prophet Ezechiel kann weder schweigen noch um den heißen Brei herumreden. Er bekommt die ganze Wahrheit aufgetischt, kann sich ihr nicht entziehen. Eine Schriftrolle mit Klagen und Seufzern und Wehrufen beschrieben. Der Prophet muss sie essen. Kein Bissen darf übrig bleiben. Egal wie schwer die Kost ist, ob sie ihm schmeckt oder nicht. Gott lässt ihm keine Wahl: Er stellt den Propheten auf seine Füße, richtet ihn auf, denn er soll und muss die Wahrheit sagen. Dann die Überraschung: Die Schriftrolle wird in Ezechiels Mund süß wie Honig.

Ich glaube mit unbequemer Wahrheit und Wirklichkeit ist es wie mit unbekanntem Essen. Wir müssen es probieren, auch wenn es bisweilen Angst macht und Überwindung kostet. Und vielleicht werden wir überrascht, wie es schmeckt, wie gut es tut. Vielleicht nicht gleich, vielleicht müssen wir besonders gut kauen. Aber am Ende schmeckt die Wahrheit besser als Schweigen oder viele Worte drumherum.

Dr. Dorothea Noordveld-Lorenz

Der Bibeltext

Und er sprach zu mir: Du Menschenkind, stelle dich auf deine Füße, so will ich mit dir reden. Und als er so mit mir redete, kam der Geist in mich und stellte mich auf meine Füße, und ich hörte dem zu, der mit mir redete. Und er sprach zu mir: Du Menschenkind, ich sende dich zu den abtrünnigen Israeliten und zu den Völkern, die von mir abtrünnig geworden sind. Sie und ihre Väter haben sich bis auf diesen heutigen Tag gegen mich aufgelehnt. Und die Kinder, zu denen ich dich sende, haben harte Köpfe und verstockte Herzen. Zu denen sollst du sagen: »So spricht Gott der HERR!« Sie gehorchen oder lassen es – denn sie sind ein Haus des Widerspruchs –, dennoch sollen sie wissen, dass ein Prophet unter ihnen gewesen ist.

Und er sprach zu mir: Du Menschenkind, iss, was du vor dir hast! Iss diese Schriftrolle und geh hin und rede zum Hause Israel! Da tat ich meinen Mund auf und er gab mir die Rolle zu essen und sprach zu mir: Du Menschenkind, gib deinem Bauch zu essen und fülle dein Inneres mit dieser Schriftrolle, die ich dir gebe. Da aß ich sie, und sie war in meinem Munde so süß wie Honig.

Hesekiel 2, 1-5; 3,1-3

Die Autorin