Startseite Archiv Tagesthema vom 26. Februar 2019

Reden und Schweigen

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"Zeit für Freiräume" - Zeit zum Schweigen?

„Reden und Schweigen“ ist das Monatsthema von „Zeit für Freiräume“. Was bedeuten diese Themen für Familien? Antworten von Diplompsychologin Christina Komodromos-Scharff - sie ist spezialisiert auf Familien und die Beratung von Eltern. Komodromos-Scharff ist verheiratet und Mutter zweier Töchter im Alter von 9 und 5 Jahren. 

Frau Komodromos-Scharff, was bedeuten „Reden und Schweigen“ für eine Familie?

Zunächst einmal muss man sich über eines bewusst werden: Teil einer Familie zu sein ist im Prinzip das Urbedürfnis eines jeden Menschen, hat für Kinder sogar überlebenswichtige Bedeutung. Teil einer Familie zu sein heißt im besten Falle Schutz, Sicherheit, Geborgenheit, Liebe und Vertrauen. Das geschieht auch durch gegenseitige Kommunikation. Insofern ist miteinander reden ein bedeutsames und notwendiges Mittel, um gegenseitige Bedürfnisse zu erfüllen. Wenn dies gelingt, dann funktioniert in der Regel auch gegenseitiges Verstehen. Dies wiederum erlaubt es den Familienmitgliedern, dem jeweils anderen den für ihn notwendigen Freiraum geben und akzeptieren zu können. 

Ist es egoistisch, sich in der Familie „Freiräume“ zu nehmen?

Denn einen gewissen Freiraum braucht jeder Mensch – mancher mehr, mancher weniger – und ist im gesunden Maße überhaupt nicht egoistisch. Wird in Familien jedoch viel geschwiegen, dann fällt es eher schwer, dem anderen Freiräume zu lassen. Zu wenig miteinander zu sprechen fördert Unsicherheiten beim anderen, das führt zu Misstrauen. Insofern hängen die Dinge alle unmittelbar miteinander zusammen und bedingen sich gegenseitig. 

Heute ist immer die Rede davon, alles müsse besprochen werden, auch Gefühle. Kann eigentlich in einer Familie auch zu viel geredet werden? 

Generell ist es immer gut, seine Gefühle zu kommunizieren, weil es den anderen hilft, einen zu verstehen. Auch man selbst profitiert davon, da durch das Reden über Gefühle innerpsychischer Druck abgebaut wird, wenn man sich etwas „von der Seele redet“. Normalerweise fühlt man sich danach deutlich besser, erleichterter als zuvor. Gerade in meinem Beruf bin ich eigentlich immer mit schwierigen Familienverhältnissen bzw. gescheiterten Ehen konfrontiert, die im Prinzip alle eines gemeinsam haben: es ist zu wenig über die eigenen Gefühle gesprochen worden. Dies ist jedoch klar zu unterscheiden von dem „vertrauten miteinander Schweigen können“ zwischen zwei Partnern, die sich auch ohne Worte verstehen. 

Was passiert, wenn zu wenig über Gefühle gesprochen wird?

Dann entstehen oftmals Missverständnisse, da jeder das „Schweigen“ oder unkommentierte Verhalten des anderen falsch interpretiert. Allerdings gibt es auch Situationen, in denen man einfach noch nicht dazu bereit ist, über seine Gefühle zu sprechen, oder weil eine andere Person außerhalb der Familie als der bessere Ansprechpartner angesehen wird. Gerade unter Jugendlichen, die sich bei Problemen oftmals eher ihren Freunden anvertrauen wollen als den eigenen Eltern, tritt dies gehäuft auf. 

Man sollte dann also auch nicht zu massiv nachfragen?

Wenn man auf massive Ablehnung stößt, sollte man dies akzeptieren und nicht darauf bestehen, dass der andere seine Gefühle offenlegt. Ein „Zuviel“ an Kommunikation innerhalb Familien kann es aber im Prinzip nicht geben, solange sich alle Familienmitglieder damit wohl fühlen. 

Anders gefragt. Es gibt sicher das Problem, dass in Familien viel gesprochen, aber wenig miteinander geredet wird? 

Ich denke, dass es dieses Problem tatsächlich gibt. Die Familienmitglieder bleiben in einem solchen Fall ausschließlich an der Oberfläche bei ihrer Kommunikation, reden dann zum Beispiel nur über organisatorische Belange, ihren Tagesablauf oder unverfängliche Themen. Nach außen hin wirken diese Familien zwar oftmals sehr harmonisch. Wenn allerdings kaum oder gar nicht über tiefergehende Themen wie Bedürfnisse, Emotionen und/oder Probleme gesprochen wird, fehlt im Prinzip die Grundlage, auf welcher das Familiensystem wirklich funktionieren kann. Denn dann besteht die Gefahr, dass bei aufkommenden Krisen die „Fassade bröckelt“ und die Familienmitglieder sich voneinander entfernen, da sie sich auf Grund mangelnder Kommunikation eigentlich gar nicht wirklich kennen. 

Und kann man das ändern?

Der erste Schritt wäre zunächst, sich dieser Dynamik innerhalb der Familie bewusst zu werden. Dann muss man mutig und stark genug sein, die eingefahrenen – oberflächlichen – Kommunikationsmuster auch den anderen Familienmitgliedern aufzuzeigen. Erst wenn das Bewusstsein darüber auch bei den anderen Personen entstanden ist und der Wille zur Veränderung tatsächlich entwickelt wurde, kann hier ein gelingender Veränderungsprozess entstehen. Dabei können professionelle Beratungsstellen oder Therapeuten besonders wertvolle Unterstützung leisten, zum Beispiel in Form einer systemischen Familientherapie. 

Früher gab es die Regel „Bei Tisch wird nicht gesprochen!“. Ist das eigentlich schlicht antiquiert oder kann das sogar einen Sinn haben? Ist es wichtig, dass eine Familie auch zusammen schweigen kann? 

Ganz ehrlich – diese „Tradition“ konnte ich noch nie wirklich nachvollziehen. Denn in vielen Familien mit berufstätigen Eltern ist es doch tatsächlich so, dass gemeinsame Mahlzeiten oftmals die einzige Gelegenheit darstellen, alle Familienmitglieder zumindest einmal am Tag zusammen zu bringen. Was würde das für einen Sinn machen, wenn man sich dann anschweigen würde? Gerade die gemeinsamen Mahlzeiten haben meistens sinnstiftenden Charakter. Gemeinsamer Austausch findet statt, die Befindlichkeiten der anderen Familienmitglieder können wahrgenommen können. Tiefschürfende Gespräche, die auch schon mal länger andauern oder viele Emotionen wecken könnten, sollte man jedoch auf einen anderen Zeitpunkt verschieben, da es einem ansonsten „auf den Magen schlagen“ könnte. Zusammen schweigen zu können, hat sicherlich dann eine positive Wirkung, wenn sich alle Familienmitglieder damit wohl fühlen und das „Schweigen“ nicht missinterpretiert wird. 

Stichwort „Freiräume“. Haben Sie einen Tipp, woran Eltern merken könnten, dass sie ihren Kindern mehr Raum für eigene Entscheidungen geben müssten? 

Wenn Ihr Kind sich von Ihnen distanziert, Sie gehäuft provoziert oder plötzlich nicht mehr so viel mit Ihnen redet wie sonst, sollten Sie hellhörig werden. Zum einen sollten Sie durch einfühlsame Nachfragen sicherstellen, ob Ihr Kind ernste Probleme hat, die Ihr Einschreiten erforderlich machen – etwa bei Mobbing oder der Ausprägung psychischer Störungen wie zum Beispiel Depressionen, Essstörungen. Ist dies nicht der Fall, kann ich Ihnen - sowohl als Tochter als auch als Mutter von zwei Töchtern – nur raten: Wenn Sie sich unsicher sind, ob Sie Ihrem Kind genügend Freiraum geben, nehmen Sie sich fünf Minuten und erinnern Sie sich an Ihre eigene Kindheit und Jugend. Was hat Sie selbst damals an Ihren Eltern gestört? Welches elterliche Verhalten haben Sie selbst damals als einengend empfunden? Wo hätten Sie sich selbst mehr Freiraum bzw. Entscheidungsfreiheit von Ihren eigenen Eltern gewünscht? Seien Sie bei der Beantwortung dieser Fragen so ehrlich wie möglich und reflektieren Sie dann Ihr eigenes Verhalten als Elternteil Ihrem Kind gegenüber.

Das hängt sicher auch vom Alter der Kinder ab.

Ja. Bei jüngeren Kindern müssen Eltern sicherlich diejenigen sein, die in grundsätzlichen Belangen die Regeln vorgeben. Man kann jedoch auch hier den Kindern schon kleinere Entscheidungen selbst überlassen, etwa bei der Kleidungsauswahl oder welches Buch heute vorgelesen werden soll. Bei älteren Kindern bzw. Jugendlichen sollten Sie Ihr Kind ganz konkret fragen, ob es sich von Ihnen eingeengt oder in seiner Entscheidungsfreiheit beschnitten fühlt. Auch wenn es schwerfällt und die Medienflut einen eher zu überbehütender Erziehung verleitet – versuchen Sie, sich in Ihr Kind hineinzuversetzen, indem Sie selbst sich noch einmal als Kind oder Jugendlicher fühlen. Und dann: geben Sie sich einen Ruck und trauen Sie Ihrem Kind mehr zu. Es kann ihm nur helfen, sein Selbstbewusstsein zu stärken und zu einem eigenständigen Menschen heranzuwachsen. 

Gibt es auch Anzeichen, wo Sie Müttern oder Vätern sagen würden, dass sie selbst Freiraum brauchen? 

Wie viel Freiraum in einer Beziehung notwendig ist, damit beide Partner zufrieden sind, kann von Fall zu Fall sehr unterschiedlich sein und sich im Laufe der Zeit auch verändern. Jeder sollte dabei auf sein eigenes, subjektives Gefühl achten und nicht ausschließlich die Erwartungen des anderen zulasten der eigenen Bedürfnisse erfüllen. Am einfachsten ist es auch hier sicherlich, den anderen konkret darauf anzusprechen, dass man für sich mehr Freiraum benötigt. Gelingt dies nicht, sind als Anzeichen für mangelnden Freiraum unter anderem eine stetig wachsende Unzufriedenheit und Gereiztheit, das Empfinden eingefahrener Muster und ein schwindendes Redebedürfnis in der Partnerschaft zu nennen. 

Wie könnten Freiräume aussehen? 

Es könnte helfen, sich zum Beispiel jeweils einen Tag unter der Woche für alleinige Unternehmungen einzuräumen, abwechselnd ein Wochenende mit der besten Freundin oder dem besten Kumpel zuzugestehen oder ein Hobby zu beginnen, das man schon immer gerne machen wollte. Da entsteht zeitlich begrenzter Abstand vom Partner, das hätte dann zur Folge, dass man wieder Gesprächsstoff untereinander hätte und die Sehnsucht zum Partner wiedererweckt wird. Dann würden die Chancen, dass man sich als Paar durch den einander gewährenden Freiraum wieder annähert, deutlich erhöht werden.

Das Interview führte Dirk Altwig

Zeit für Freiräume - Worum geht es?

2019 wird es in der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers "Zeit für Freiräume" geben: ein Jahr für Aufbrüche und Fragen, für Unterbrechungen, Besinnung und vielleicht auch für Neubeginn. Die Welt verändert sich rasant, was bedeutet das für uns persönlich und für die kirchliche Arbeit? Was wollen wir tun? Was wollen wir lassen oder verändern? Was gibt uns Kraft, und wo finden wir Hoffnung? Wir nehmen uns Zeit und denken über "Freiräume" nach. Um des Menschen willen.

"Sagen Sie mal nichts"

„Sagen Sie mal nichts!“ Bei einem Seminar übers Reden und Vorträge-halten wurde uns die alte Regel der rhetorischen Pause neu ans Herz gelegt. Sagen Sie mal nichts. Machen Sie gezielt Pausen, während Sie reden! Dann mussten wir das üben. Eine kleine Rede halten und dabei Pausen einlegen. Wie unbeholfen das bei den meisten von uns klang! Wie künstlich uns das beim Sprechen vorkam. Der Drang, schnell und möglichst viel zu reden, ist übermächtig. Dabei ist erwiesen, wie gut Pausen in einer Rede wirken. Ein kurzes Schweigen – und die Aufmerksamkeit der Zuhörenden ist wieder da. Eine kleiner Stopp – und das, was gesagt wurde, kann noch mal nachklingen. Nachdenken wird möglich. Die Rede wirkt besonnener. Der Inhalt bekommt mehr Bedeutung. Die Beziehung zu den Zuhörenden verändert sich. Und es gibt nachgewiesen weniger Versprecher. Eine Pause eröffnet Freiräume. „Üben Sie das, nehmen Sie sich Raum für eine Pause, es wird sich viel verändern! Nicht nur bei Ihren Reden!“ gab die Seminarleiterin uns mit. Im Alten Testament heißt es: „So spricht Gott: Im Stillsein und im Vertrauen würde eure Stärke sein“ (Jesaja 30,15). Vielleicht erleben wir Unerwartetes, wenn wir mal eine Pause einlegen. Freiraum, im Stillsein und Vertrauen. 

Silvia Mustert