Startseite Archiv Tagesthema vom 05. Februar 2019

Kirchenvorstand mit Freiraum

Lange Kirchenvorstandssitzungen sind in der Martin-Luther-Gemeinde in Hildesheim passé. Statt endloser Diskussionen gibt es jetzt ein gemeinsames Abendessen. Die Idee hatte der Kirchenvorstandsvorsitzende Chris Hasemann.

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Sich Freiräume schaffen im Alltag, im Beruf, in der Kirche: Wie kann das aussehen? Was sind gelungene Beispiele für einen bewussten Umgang mit Zeit und Ressourcen? Wo und wie kann man ansetzen, um sich und andere zu entlasten?

Der Kirchenvorstandsvorsitzende der Martin-Luther-Gemeinde Hildesheim Chris Hasemann ist einer von denen, die darauf eine Antwort gefunden haben. Als er bei der Gemeinde zu arbeiten begann, fielen ihm die oftmals langen Kirchenvorstandssitzungen sofort auf. Entscheidungsfindungen können anstrengend sein und ziemlich viel Zeit und Nerven kosten, gerade dann, wenn man sie in größeren Gruppen treffen muss. Sitzungen, die sich ins Endlose ziehen. Stundenlange Diskussionen, die zu keinem Punkt kommen. Manchmal bis spät in den Abend hinein.

Genauso lief es häufig in der Martin-Luther-Gemeinde ab. Man konnte nie wissen, wie lange es dauern würde, erzählt Hasemann. Die Sitzungen dauerten mitunter vier Stunden. Dann kam man nach Hause, und der Kopf ratterte noch und es dauerte eine Weile, bis die Gedanken zur Ruhe kamen. Eine Belastung, besonders wenn man nächsten Tag der Wecker früh klingelt und der Job ruft.

Chris Hasemann arbeitet als Lehrer am Hildesheimer Scharnhorstgymnasium. Studiert hat er Germanistik und Theologie in Leipzig. 2010 zog er für den Beruf nach Hildesheim.  Zur gleichen Zeit begann er auch sein ehrenamtliches Engagement in der Martin-Luther-Gemeinde. 2011 wurde er dann zum Kirchenvorstandsvorsitzenden gewählt und ist es bis heute. Das Ehrenamt war ihm, gerade frisch in den Lehramtsberuf eingestiegen, ein willkommener Ausgleich. „Ich habe dabei von Anfang an das Gefühl gehabt, etwas bewirken zu können“, erinnert er sich.

Der Kirchenvorstand der Martin-Luther-Gemeinde setzt sich aus sieben gewählten Mitgliedern –  darunter eine Verwaltungsangestellte des öffentlichen Dienstes, eine Abteilungsleiterin und zwei Rentnerinnen – und den zwei Pastoren zusammen. An den Sitzungen, die alle drei Wochen stattfinden, nehmen außerdem die Diakonin und der Finanzbeauftragte der Gemeinde teil.

Für Hasemann ist sein Ehrenamt eine Herzensangelegenheit. Man merkt es an der Begeisterung, mit der er davon erzählt. Er kennt sich aus. Kann jede Frage über die Martin-Luther-Gemeinde sofort beantworten. Wie viele Sitze hat die Martin-Luther-Kirche? Wie viele Quadratmeter misst das Gemeindehaus? Welche Vorteile bietet ein Gemeindebrief? Was sind die speziellen Herausforderungen, die diese Gemeinde zu meistern hat?

Hasemann hat aber auch einen klaren Blick auf die Dinge. Ist ehrlich, was Problematiken angeht.  Lässt sich davon aber nicht abschrecken, sondern packt es an und sucht nach Lösungen.  So war es auch im Falle der Kirchenvorstandssitzungen. Die gingen nämlich nicht nur sehr lange, es gab auch ein Problem: Sie erwiesen sich häufig als nicht sehr konstruktiv. Statt Fragen zu lösen, schraubte man sich tiefer und tiefer hinein.

Also schlug der Kirchenvorstandsvorsitzende vor, die Sitzungen auf einen zeitlichen Rahmen zu begrenzen und danach konsequent zu beenden. Der Vorschlag wurde damals sehr gut angenommen. „Der Frust war groß genug“, sagt Hasemann lachend. Er habe die neue Struktur als Entlastung für alle Beteiligten wahrgenommen. Die Sitzungen gehen jetzt von 18 bis 20 Uhr, genau wie vorher finden sie alle drei Wochen statt. Schnell habe sich die Atmosphäre in den Sitzungen geändert. Die Eigendynamik sei eine ganz andere geworden. Es geht jetzt effizienter und bewusster zu. Probleme werden beherzter angegangen und die Runden sind insgesamt konstruktiver.

Natürlich schaffe man nicht immer alle Tagesordnungspunkte in der vorgegebenen Zeit. Deswegen werden am Anfang jeder Sitzung die Tagesordnungspunkte priorisierst und die Themen, die zur Not vertagt werden können, ans Ende der Sitzung geschoben – und gegebenenfalls beim nächsten Mal besprochen. Das System funktioniert gut, nur hin und wieder müssen noch zehn Minuten hinten dran gehängt werden, damit nicht mitten in der Besprechung eines Tagesordnungspunktes aufgehört wird.

Nach dem Treffen bleibt nun noch Zeit für ein gemeinsames Essen. Mal gibt es ein klassisches Abendbrot mit belegten Broten und Salzgurken, mal eine deftige Käsesuppe oder einen Topf Chilli con Carne. Ein angenehmer Ausklang für die Sitzungsabende. Statt geschlaucht von überlangen Sitzungen, geht es dann gestärkt nach Hause. „Für mich ist das letztlich ein urprotestantisches Thema“, sagt Hasemann, „sich zu fragen: Wovon mache ich mich frei? Wovon bin ich befreit? Und auch: was mache ich mit dieser Freiheit?“

Ralf Neite, Kultur und Kommunikation, Hildesheim

Kirchenvorstandsarbeit in der Landeskirche

Über 10.000 ehrenamtliche Kirchenvorsteherinnen und Kirchenvorstehern leiten die Kirchen- und Kapellengemeinden in der Landeskirche. Im Haus kirchlicher Dienste bietet der Arbeitsbereich Gemeindeleitung Beratung und Informationen rund um die Arbeit im Kirchenvorstand:

  • Fortbildungen zu speziellen Fragen der Kirchenvorstandsarbeit
  • Orientierungskurse für Ehrenamtliche
  • Vermittlung von Coaching oder Supervision für leitende Ehrenamtliche
  • Leitbildentwicklung für Kirchengemeinden
  • Konflikte im Kirchenvorstand bearbeiten und klären

 

Material für Kirchenvorstände

Die neuen Kirchenvorstände, die im Sommer 2018 ihre Arbeit aufgenommen haben, bekamen zum ersten Mal ein Workbook und ein Kartenspiel als Arbeitsmaterial: Mit dem "Team-unser-Spiel" werden Gesprächsanregungen gegeben, die zur Teambildung im Kirchenvorstand beitragen können.