Startseite Archiv Tagesthema vom 03. November 2018

Mein Brief an Paulus

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Andacht zum 23. Sonntag nach Trinitatis

Lieber Paulus!

Hier schreibt dir eine Frau aus dem 21. Jahrhundert. Ja! Die Erde gibt es immer noch, Jesus ist noch nicht wiedergekommen zum Gericht. Da staunst du! So viel ist passiert in der Geschichte von dir und deiner Zeit bis heute – das konntest du dir alles gar nicht vorstellen. Deine Worte über die Regierungsgewalt von Menschen sind so voller Vertrauen: die Chefs, die Könige, Kaiser und Beamten sind Werkzeuge Gottes. Du hast geglaubt, deshalb können sie gar nichts falsch machen.

Ich kann mir vorstellen, warum du so gedacht hast. Du hattest in den ersten Jahren des Kaisers Nero keine großen Sorgen. Die Christenverfolgungen hattest du noch gar nicht erlebt und auch nicht erwartet. So meintest du: wer Gutes tut, dem passiert auch nichts Schlimmes. Nur wer Böses tut, muss Angst haben vor dem Zorn der Regierung, vor der Rache der Regierung – so schreibst du das.

Aber, mein Lieber, heute können wir deine Worte nicht mehr so akzeptieren! Wir haben allein in unserer europäischen Geschichte, besonders im letzten Jahrhundert, Schreckliches erlebt. Bei uns haben Menschen regiert, die haben Gottes Gebote mit Füßen getreten! Die haben nicht gute Taten belohnt und schlechte bestraft! Die Nazis wollten die Juden vernichten, sie wollten auch die christliche Kirche zerstören. Sie haben das Leben und die Würde des Menschen verachtet und gemordet ohne Bedenken. Im Gegenteil! Gut und Böse haben sie ganz anders verstanden als du, lieber Paulus. Und einige in der Kirchenleitung haben sich an deinen Worten festgehalten und mit schuldig gemacht. Viele gehörlose Menschen z.B. sollten keine Kinder mehr bekommen. Die Kinder konnten ja auch taub sein?? Es gab Ärzte, die haben die Gehörlosen sterilisiert. Dadurch haben sie vielen Menschen großen Schaden zugefügt. Und ich bekenne mit Scham: auch Pastoren haben das unterstützt. Im Jahr 2016 hat die Mitgliederversammlung der deutschen Arbeitsgemeinschaft für evangelische Gehörlosenseelsorge dazu eine öffentliche Schulderklärung abgegeben.

Du, Paulus, hast gesagt:  es gibt keine Regierungsgewalt – nur von Gott?! Deshalb haben viele geglaubt: die Nazis haben recht mit ihrem Rassismus und der Abwertung von behinderten Menschen. Ich weiß, du hast es gut gemeint. Du konntest nicht wissen, dass im 20. Jahrhundert nach Christus ein Hitler kommt – wer konnte das wissen??? Und du hast geglaubt: wenn sich alle Menschen der Staatsgewalt unterordnen, dann können sie in Frieden leben.

Was sollen wir nun machen mit deinen Worten?

Ich glaube, wir müssen etwas sehr Wichtiges lernen von deinem Beispiel und dafür danke ich dir! Wir müssen von dir lernen: wir Menschen alle sind immer geprägt von unserer Zeit, von den Gedanken und Vorstellungen unserer Zeit. Wir können uns irren und wir irren uns auch. Das ist heute so und das war früher genauso. Nur Gott selbst steht da drüber. Deshalb müssen wir immer unterscheiden: zwischen den Worten der Menschen – und du, lieber Paulus, bist ja auch nur ein Mensch in deiner Welt früher gewesen – und dem einen Wort Gottes, das in Jesus Christus zu uns gekommen ist. Und deshalb dürfen wir die Bibel auch nicht lesen wie ein Gesetzbuch. Sie ist ein Schatz, in dem uns Menschen wie du, Paulus, begegnen – Menschen, die selber Begegnungen mit Gott, mit Jesus erlebt haben und uns davon in den Worten ihrer Zeit erzählen. Wenn wir die Bibel so lesen, hilft sie uns zum Leben.

Dann sehen wir in deinem Römerbrief, wie stark dein Vertrauen war: die Welt ist ein gerechter Ort. Wie schade – da hast du dich geirrt.

Dann sehen wir aber auch in deinem Lebenslauf, wie fest dein Glaube an Jesus Christus war – denn dem bist du treu geblieben, auch als die Welt nicht mehr gerecht war, als du selbst dein Leben lassen musstest – ohne Schuld. Die Kraft von Jesus hat dich wirklich ganz erfüllt!

Deshalb bin ich trotz allem ein großer Fan von dir! Ich weiß nämlich auch: du hast viel gesagt und geschrieben, was wahr ist und bleibt. Was zum Beispiel? Immer wieder hast du deinen Brüdern und Schwestern gepredigt: allein Jesus Christus rettet uns! Da hast du dich nicht geirrt!! Du hast geschrieben: für Jesus leben wir und für ihn sterben wir. Wenn wir Jesus im Herzen haben, sind wir frei und gut. Gut – wie Gott will: dann helfen wir einander, dann unterscheiden wir nicht: wer darf leben und wer nicht. Dann achten wir alle Menschen. Denn Gott hat uns allen das Leben gegeben und ist und bleibt der Herr! Und nur, wenn wir mit Jesus Christus verbunden sind, kommen wir ins ewige Leben. Du hast den Kirchenvätern, z.B. Augustinus und auch Martin Luther und so auch uns so wichtige Impulse gegeben! Und du bist am Ende selber für deinen Glauben, für Jesus Christus gestorben.

Ich musste dir das alles mal schreiben. Ich bin mir völlig bewusst: ich stehe nicht über dir. Im Gegenteil: ich habe großen Respekt vor deinem Leben und Sterben und verneige mich vor dir. Ich hoffe, wir begegnen uns eines Tages im Licht Gottes. Friede sei mit Dir! 

Deine Christiane Neukirch, Pastorin der im Jahr 2018 nach Christi Geburt.  

PS: Übrigens: Jesus hat nie gesagt, dass Frauen nicht Gemeinden leiten sollen. Deshalb schreibt dir hier eine Frau, die Pastorin ist. Und das ist richtig so – aber das weißt du ja längst, denn du bist ja jetzt bei Gott und kennst die ganze Wahrheit. Amen.

Pastorin Christiane Neukirch

Der Bibeltext

Jeder soll sich den staatlichen Gewalten unterordnen. Denn alle staatlichen Gewalten sind von Gott eingesetzt. Es gibt keine Staatsgewalt, die nicht von Gott kommt. Wer sich also der Staatsgewalt widersetzt, widersetzt sich der Ordnung Gottes und wird dafür sein Urteil bekommen.

Wer Gutes tut, braucht keine Angst zu haben vor den Regierenden! Nur wer Böses tut, muss sich fürchten. Willst du ohne Angst vor der staatlichen Gewalt leben, dann tu Gutes und du wirst Lob von ihr bekommen. Denn sie ist Gottes Dienerin und bewirkt Gutes für dich. Wenn du aber Böses tust, fürchte dich! Denn die Staatsgewalt trägt das Schwert nicht ohne Grund! Denn sie ist Gottes Dienerin und rächt das Böse im Zorngericht über den, der Böses tut.

Deshalb muss jeder sich der Staatsgewalt unterordnen, nicht nur, weil das Gericht kommt, sondern auch, weil jeder ein Gewissen hat. Deshalb zahlt ihr auch Steuern! Denn die Regierenden sind Diener Gottes.

Gebt also allen, was ihr geben sollt: zahlt eure Steuern und den geforderten Zoll, fürchtet die Macht der Regierung und ehrt sie.

Römer 13, 1-7

Die Autorin