Startseite Archiv Tagesthema vom 10. August 2018

"Ein unglaublich überzeugendes Zeichen von Humanität"

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Über die Notwendigkeit der privaten Seenotrettung im Mittelmeer wird aktuell viel diskutiert. Am Mittwoch lief im Kino am Raschplatz eine Dokumentation, die die Arbeit eines Rettungsschiffes aus nächster Nähe zeigt.

Das Bild der beiden toten jungen Frauen geht Jonas Buja (26) nicht aus dem Sinn. Gleich am zweiten Tag seiner ersten Rettungsmission an Bord der "Iuventa" vor der libyschen Küste erlebte er mit, dass die beiden Flüchtlinge nur noch tot aus einem völlig überladenen Schlauchboot bergen. "Da habe ich gedacht, was machst du hier eigentlich? Das ist doch alles Sch..." Doch dann habe er sich umgedreht und in das Gesicht eines jungen Mannes geblickt, der noch vor wenigen Minuten in dem selben Schlauchboot um sein Leben bangte und ihn nun freudig anstrahlte. "Da war mit klar, ich tue das Richtige, ich rette hier Menschen vor dem sicheren Ertrinken."

Die Arbeit von Jonas Buja und seinen Kolleginnen und Kollegen an Bord eines Schiffes, das im Mittelmeer geflüchtete Menschen aus Seenot rettet, zeigt die Dokumentation "Iuventa - der Film", die am Mittwoch im vollbesetzten Kinosaal im Kino am Raschplatz in Hannover gezeigt wurde.

Die evangelischen Kirchen stehen laut Landesbischof Ralf Meister zweifelsfrei und fest hinter der Seenotrettung von Flüchtlingen durch zivilgesellschaftliche Initiativen. "Ihr habt unsere volle Unterstützung", sagte der evangelische Theologe bei der Diskussion im Anschluss an den Film zu den Mitgliedern der Organisation "Jugend rettet", die mit ihm auf dem Podium saßen.

Die im Dokumentarfilm des italienischen Regisseurs Michele Cinque dargestellte Rettungsarbeit habe ihn "unglaublich beeindruckt", sagte Meister. "Für mich seid ihr Helden." Für einen kleinen Kreis anderer Menschen seien private Seenotretter hingegen Kriminelle, vielen Menschen sei ständen der Rettungsarbeit gleichgültig gegenüber. Es seien jedoch oft kleine Kreise engagierter Menschen, die für gesellschaftliche Veränderungen sorgten, betonte Meister.

In Deutschland gebe es inzwischen den gefährlichen Trend, über die Sinnhaftigkeit der Seenotrettung von Flüchtlingen zu debattieren - selbst in liberalen Blättern wie der "Zeit". Dies sei ein starkes "Alarmsignal", warnte Meister. Denn damit würden bereits zentrale Werte der Bundesrepublik infrage gestellt. "Unser Grundrechtekatalog darf nicht ausgehöhlt werden", unterstrich der Landesbischof.

Sophie Tadeus von "Jugend rettet" betonte, jeder Mensch habe das Recht aus Notsituationen gerettet zu werden, egal wohin er gerade unterwegs sei. "Jede andere Haltung führt in die Barbarei." Retter dürften nicht kriminalisiert werden, sagte Tadeus, die im Vorstand des 2015 in Berlin gegründeten Vereins aktiv ist. Die Kritik an der Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer weise auf Rassismus in der Gesellschaft hin, ergänzte sie. "Über Seenotrettung in der Nordsee diskutiert ja niemand."

Das Rettungsschiff "Iuventa", mit dem die jungen Aktivisten auf mehrwöchigen Missionen 2016 und 2017 nach eigenen Angaben 14.000 Menschen retteten, wurde vor einem Jahr von den italienischen Behörden beschlagnahmt. Den Aktivisten werde Kooperation mit Schlepperbanden vorgeworfen. Es lägen jedoch weder Beweise noch eine Anklage vor, sagte Tadeus. Die Beschlagnahme sei eine präventive Maßnahme der Behörden gewesen, die diese ohne jede Frist fortsetzen könnten. Auch viele Schiffe anderer ziviler Rettungsorganisationen würden durch die Behörden blockiert.

epd-Landesdienst Niedersachsen-Bremen

Iuventa- der Film

Der Film ist ab September für Kirchengemeinden und kirchliche Einrichtungen über den Medienverleih der Landeskirche für Vorführungen ausleihbar.

"Es ist unsere Pflicht zu helfen"

Jonas Buja (26) ist Kirchenvorsteher der Kirchengemeinde Holtland (Ostfriesland) und war im Mai und Juni 2017 als Kapitän an Bord, der „Iuventa“. Schon 2016 ist er als Erster Offizier dabei gewesen. Derzeit ist Buja Offizier auf einem Gastanker.

Herr Buja, welche Szene aus dem Film ist für Sie die wichtigste?

Jonas Buja: Der Film zeigt viele sehr intensive Momente. Sehr eindringlich ist für mich die Szene, in der wir zwei Leichen auf ein anderes Rettungsschiff bringen. Eine davon habe ich vorher selbst mit an Deck getragen. In dem Moment habe ich gedacht: „Was soll das hier eigentlich?“ Und dann habe ich mich umgedreht und in das lächelnde Gesicht eines Geretteten gesehen. Das war die Antwort.

Leichen zu tragen ist ja nichts Alltägliches. Belasten Sie Ihre Erlebnisse?

Ich bin für das Elend etwas abgestumpft, ich habe davon in fünf Missionen viel gesehen. Mir hilft, dass ich gut über meine Erlebnisse reden kann. An Bord und auch mit Freunden zu Hause. Ich kann loslassen.

Es gibt Menschen die sagen, die Flüchtlinge würden sich gar nicht aufs Mittelmeer wagen, wenn es die privaten Rettungsschiffe nicht gäbe. Was denken Sie?

Es war schon immer klar, dass das nicht stimmt. Und jetzt, wo keine zivilen Rettungsschiffe im Einsatz sind, wissen wir es mit trauriger Gewissheit. Die Leute kommen trotzdem. Und der Juli war der Monat, in dem seit langem am meisten Menschen ertrunken sind. Die Leute kommen ja nicht, weil das Wetter hier so schön ist, sondern weil sie ihre Kinder in Afrika nicht satt kriegen oder weil sie verfolgt werden.

Wieso haben Sie sich entschieden auf ein Rettungsschiff zu gehen? Hat Ihr Glaube da eine Rolle gespielt?

Ja, wir sind alle von Gott geschaffen. Als Christen ist es unsere Pflicht, anderen Menschen zu helfen, Hautfarbe oder Religion spielen da keine Rolle. Ich wollte schon lange bei humanitären Projekten mitmachen, aber als Schüler und Student geht das nicht. Nach dem Studium hatte ich aber eine Lücke. Und es wurde gerade nach meinem „Typ“, also nach Nautikern, verlangt.

Wenn Sie sich bei einem anderen Arbeitgeber bewerben, wird die Iuventa im Lebenslauf dann schaden oder nützen?

Dafür muss ich mich nicht schämen. Das würde ich auf keinen Fall rauslassen.

Italienische Behörden haben die Iuventa vor einem Jahr an die Kette gelegt, könnte sie überhaupt noch auslaufen?

Schwer zu sagen, das wird vor allem vom Zustand der Maschine abhängen. „Jugend rettet“ darf derzeit nicht aufs Schiff. Aber die „Iuventa“ schwimmt!

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