Startseite Archiv Tagesthema vom 12. Juli 2018

Sommerlektüre (Teil 1)

Die vollständige Darstellung von Archivmeldungen befindet sich noch im Aufbau. Schauen Sie in Kürze noch mal vorbei!

Die Redaktion des Themenraums hat sich Sorgen gemacht, ob Sie schon die richtige Lektüre für den Sommer 2018 gefunden haben ... Deshalb stellen wir Ihnen in zwei Folgen einige unserer Lieblingsbücher vor und wünschen Ihnen eine angenehme Lesezeit!

Ausgesucht und beschrieben von Benjamin Simon-Hinkelmann

Historische Romane oder Krimis, die in der Vergangenheit spielen, sagen oft viel über die Zeit aus, in der sie geschrieben werden. Deshalb macht es nachdenklich, dass in den letzten Jahren eine ganze Reihe von Krimis erschienen sind, die im Berlin der 20er und 30er Jahre spielen.

Eine der aktuell bekanntesten Krimireihen stammt von Volker Kutscher; erschienen sind mittlerweile sechs Bände. Der erste Band  „Der nasse Fisch“ wurde gerade als eine der teuersten Serienproduktionen überhaupt von Tom Tykwer unter dem Titel „Babylon Berlin“ verfilmt. Darin kommt der aus gut bürgerlichen Verhältnissen stammende Kriminalkommissar Gereon Rath von Köln nach Berlin. Er sieht sich selbst als weitgehend unpolitischen Menschen, der darauf bedacht ist, sich aus den sich immer stärker zuspitzenden Auseinandersetzungen zwischen links- und rechtsextremistischen Kräften herauszuhalten. Das gelingt ihm im Verlauf der Krimireihe zunehmend weniger.

Rath erlebt mit, wie sich die weltoffene und tolerante Metropole Berlin innerhalb weniger Jahre in das Gegenteil verkehrt. Die grundlegenden Menschen- und Freiheitsrechte, die der Kommissar für selbstverständlich hält, werden immer stärker von der anfangs nur belächelten rechtsextremistischen Ideologie verdrängt. Auf diesem Hintergrund entwirft Volker Kutscher sehr gut komponierte und fesselnde Kriminalfälle, die man nur schwer aus der Hand legen kann, wenn man einmal begonnen hat, zu lesen.

Der nasse Fisch. Gereon Raths erster Fall. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2008, ISBN 978-3-462-04022-7.

Ausgesucht und beschrieben von Dirk Altwig

„Nicht winken, oder unsere Aufnahme ist im Arsch ...“ Eine Handbewegung des damaligen Kanzlers Gerhard Schröder (SPD) wird Teil eines Politkrimis. Frank Stauss beschreibt auf 256 Seiten, wie Schröder 2005 fast wieder Kanzler geworden wäre.  Und ja, Schröder hat natürlich den Passanten gewunken und damit die aufwendigen Dreharbeiten für einen Werbespot ruiniert.

 Stauss’  „Höllenritt Wahlkampf“ zeigt den Wettkampf der Parteien um die Macht von Innen, der Werber war für die Kampagne der SPD verantwortlich. Das Buch ist eine flüssig aufgeschriebene, spannende Geschichte, ohne Marketing-Kauderwelsch. Die letzte aktualisierte Auflage stammt von Februar 2017. Wer das Buch liest, wird hinterher besser verstehen, wie Parteien versuchen, die Stimmen der Wählerinnen und Wähler zu bekommen. Stauss erklärt, welchen Einfluss das Internet hat, wie gezielt Menschen gesucht werden, die den eigenen Kandidaten dann auch tatsächlich wählen.

Vielleicht nützlich: Wer selbst eine Wahl gewinnen will, sei es als Klassensprecher, für den Betriebsrat oder einen Kirchenvorstand, findet eine Checkliste mit Tipps für die Kandidatur.  Leider wird Frage 10. vom Autor nicht beantwortet: „Wie bringe ich die Botschaft unters Volk?“

Frank Stauss, Höllenritt Wahlkampf, dtv Sachbuch, 256 Seiten, ISBN 978-3-423-34918-5 

Ausgesucht und beschrieben von Johannes Neukirch

Wer kennt nicht dieses Gefühl großer Ratlosigkeit angesichts moderner und zeitgenössischer Kunst?  Wie kann es sein, dass ein handelsübliches, auf den Kopf gestelltes, mit einem Phantasienamen signiertes Urinal im Museum landet und zu einem einflussreichen Werk der Kunstgeschichte wird?

„Die Kunst ist die Idee, nicht das Objekt“, so erklärt der britische Journalist und frühere Direktor der Tate Gallery Will Gompertz diese Wirkung. Im Unterschied zu anderen gelehrten Werken wollte er „ein persönliches, anekdotisches und informatives Buch“ über die Geschichte der modernen Kunst schreiben - was ihm hervorragend gelungen ist.

Das Wissen über Künstler und ihre Werke ist das Eine. Gompertz will mehr – dass die Leserinnen und Leser begreifen, „warum etwas, das sie als etwas wahrnehmen, was jedes Kind könnte, ein Meisterwerk sein soll.“ Dafür präsentiert er verständlich und vergnüglich mehr als 150 Jahre, „in denen die Kunst half, die Welt zu verändern, und in denen die Welt half, die Kunst zu verändern.“ Das geht bei den Impressionisten los und endet mit Namen wie Ai Weiwei oder Jeff Koons.

Für die Impressionisten –um nur ein Beispiel zu nennen - war sehr wichtig, dass es Mitte des 19. Jahrhunderts Ölfarben in Tuben gab. Damit konnten sie sich vom Atelier befreien und in der Natur malen. Wegen des ständigen Lichtwechsels mussten sie viel schneller malen, es entstand ein völlig neuer Stil. Sie waren „von dem Gedanken besessen, genau die Lichteffekte wiederzugeben, die sie mit eigenen Augen sahen“. Und wenn sie das Gefühl hatten, dass die Erdbeere in einem bestimmten Licht blau war, dann haben sie eben die Farbe Blau genommen. Heute geradezu ehrfürchtig betrachtete Maler wie Claude Monet oder Pierre-Auguste Renoir waren seinerzeit „die radikalste und rebellischste Künstlergruppe der gesamten Kunstgeschichte“ – mit ihnen begann „die weltweite Revolution (…), die wir heute moderne Kunst nennen.“

Wer sich dieses Buch vornimmt, erfährt auch, warum Andy Warhol ein Bild mit 32 Suppendosen schuf und Ai Weiwei einen Hallenboden mit 100 Millionen Sonnenblumenkernen aus Porzellan bedeckte. Spannende Lektüre!

Will Gompertz, Was gibt’s zu sehen? 150 Jahre moderne Kunst auf einen Blick, 2. Aufl. Köln 2013, ISBN 978-3-8321-9710-0 (Taschenbuch: ISBN 978-3-8321-6298-6)