Startseite Archiv Tagesthema vom 15. März 2018

"Ich muss mich auf meinen Rollstuhl verlassen können"

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Paralympics-Star Anna Schaffelhuber ist Botschafterin des Orthopädie-Unternehmens Ottobock

Anna Schaffelhuber hat es gepackt: Nach ihrem Fünffach-Triumph in Sotschi hat die 25-jährige Monoskifahrerin ihren sechsten Paralympics-Sieg geholt und ist in der Abfahrt im Jeongseon Alpine Centre zu Gold gerast. 

„Ich bin unfassbar glücklich. Es kann sich kaum jemand vorstellen, wie ich mich fühle“, sagte Anna Schaffelhuber sichtlich erleichtert. Nach einem Fehler im mittleren Abschnitt habe sie im Ziel nicht gewusst, ob ihre Zeit von 1:33,26 Minuten überhaupt reichen würde.

„Der Druck und die Erwartungshaltung waren schon ziemlich hoch“, gab Schaffelhuber zu und schob direkt hinterher: „Doch das ist jetzt völlig weg. Ich wollte Gold in PyeongChang holen, das ist mir gelungen. Diese Medaille bedeutet mir sehr viel.“ 

Der Münchner Paralympics-Star blickte im Vorfeld mit gemischten Gefühlen auf die Winterspiele in Südkorea. "Wenn man es nur aus Medaillensicht sieht, kann ich nur verlieren", sagte sie. Seit ihrer frühen Kindheit ist die Mono-Ski-Fahrerin querschnittsgelähmt - und hat bereits alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt.

Bei den Paralympics 2014 war sie mit fünf Goldmedaillen die erfolgreichste Sportlerin der Welt. "Ich weiß, dass ich immer an Sotschi gemessen werde, aber ich weiß auch, dass ich noch nicht an meinem Limit bin." Seit ihrem Triumph in Russland hat Schaffelhuber viele öffentliche Auftritte und Ämter. Unter anderem ist sie Botschafterin für Ottobock, dem weltmarktführenden Orthopädie-Unternehmen im südniedersächsischen Duderstadt.

Die Firma beschäftigt rund 7.000 Menschen in mehr als 50 Ländern und ist seit 30 Jahren Partner der Paralympics. Ursprünglich wurde das Unternehmen 1919 vom Orthopädiemechaniker Otto Bock in Berlin gegründet, um möglichst vielen Kriegsversehrten aus dem Ersten Weltkrieg Prothesen zu liefern. Nach dem Zweiten Weltkrieg zog der Unternehmenssitz unter der Leitung von Bocks Schwiegersohn Max Näder nach Duderstadt.

Schaffelhuber ist "ziemlich eingeschossen" auf Ottobock, verrät sie. Ihr Rollstuhl und Handbike aus Duderstadt seien einfach praktisch: sehr leicht und trotzdem stabil. "Ich benutze meinen Rollstuhl in einem extremen Maß auch für das Training, da muss ich mich drauf verlassen können."

Julian Napp (30) arbeitet als Orthopädie-Techniker bei Ottobock. Er fährt zum vierten Mal zu den Paralympics, die vom 9. bis 18. März stattfinden. Dort leitet Napp die rund 300 Quadratmeter große Ottobock-Werkstatt. 23 Techniker aus zehn Nationen reparieren vor Ort kostenfrei Rollstühle und Prothesen der Sportler. Schon im Dezember wurden dafür Fräs- und Nähmaschinen, Werkbänke und Werkzeug sowie Ersatzteile nach Südkorea verschifft - alles in allem rund zehn Tonnen Fracht.

Am meisten Arbeit gebe es direkt vor den Wettkämpfen, erzählt Napp. "Wir reparieren alles, was beim Flug kaputt gegangen ist." Bei Rollstühlen etwa breche leicht mal eine Speiche. Die Techniker werden aber auch während der Wettkämpfe gebraucht: "Gerade beim Sledge-Eishockey oder Mono-Ski geht viel kaputt", weiß Napp. Eigentlich sei kein Tag vorhersehbar. "Jede Reparatur ist individuell, da muss man kreativ sein." In Rio etwa kam ein Schiedsrichter mit seiner kaputten Brille in die Werkstatt. In Sotschi habe sich ein Sportler einen Rollstuhl leihen wollen, weil seine Prothese schmerzte. "Da haben ihm die Kollegen in anderthalb Tagen eine neue Prothese gebaut, weil er mit seiner eigenen nicht mehr hätte laufen können."

Als Ottobock-Botschafterin besucht Anna Schaffelhuber Firmen-Veranstaltungen und hält Vorträge für Mitarbeiter. Die Athletin ist für viele Menschen ein Vorbild. "Auch nicht-behinderte Menschen sagen oft, dass ich sie motiviere, Neues auszuprobieren", berichtet sie. Kein Wunder, denn sie sieht nicht die Einschränkungen im Leben, sondern die Lösungen: "Ich kann die meisten Dinge genauso machen, nur auf eine andere Weise: Ich fahre eben nicht Ski, sondern Mono-Ski."

Weil ihre zwei Brüder Ski liefen, wollte sie das mit fünf Jahren auch lernen, denkt Schaffelhuber zurück. "Sobald ich im Schnee und auf Skiern war, bin ich überall hingekommen." Mit 14 wird sie Mitglied im Rennkader des Deutschen Paralympic-Skiteams. Neue Herausforderungen nimmt sie gerne an: So überquerte sie in sechs Tagen per Handbike die Alpen und flog dabei zum ersten Mal Gleitschirm. Ihre unerschrockene und zupackende Art nennt sie "eine krasse Einstellungsgeschichte". "Ich hab das schon immer gehabt, meine Eltern und Geschwister haben mich sehr geprägt."

Julian Napp lässt sich vom Sportsgeist der paralympischen Athleten gern anstecken. Während seiner Arbeit bekomme er zwar nicht viel von den Wettkämpfen mit, trotzdem sei er "total im Sportfieber", lacht er. "Wir arbeiten eng mit den Athleten zusammen, viele kenne ich mittlerweile gut." Amputation und Prothesen seien intime Themen, das schaffe Nähe. Wenn er die Startzeit eines Sportlers kenne, denke er in diesem Moment an ihn. "Und fast alle kommen hinterher in die Werkstatt und erzählen, wie es gelaufen ist."

Leonore Kratz (epd)

Paralympics-Pastor in Pyeongchang

Der Paralympics-Seelsorger Christian Bode ist als einziger Seelsorger der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zu den Paralympischen Winterspielen ins südkoreanische Pyeongchang. Gemeinsam mit einem Kollegen der katholischen Kirche begleitet Bode das deutsche paralympische Team mit 22 Athleten und rund 50 Betreuern. Insgesamt treten bei den Spielen rund 670 Athleten in 80 Wettkämpfen an. 

Angesichts eines gestiegenen Leistungsdrucks und einer zunehmenden Professionalisierung im Behindertensport könnte auch dort die Verführung groß sein, zu illegalen Methoden zu greifen, sagte Bode, der seit 2012 die paralympischen Spiele als Seelsorger begleitet. Wie auch schon bei den vorangegangenen olympischen Winterspielen dürfen bei den Paralympics nur ausgewählte russische Sportler unter neutraler Flagge antreten. Dies sei im Sinne der Sportler eine faire Lösung, sagte Bode. Denn es dürfe nicht eine ganze Generation unter Generalverdacht gestellt werden. Bei den Sommerspielen im brasilianischen Rio de Janeiro hatte das paralympische Komitee noch alle russischen Sportler aufgrund eines offenbar staatlich gelenkten Doping-Systems ausgeschlossen.

Bode will vor allem als Ansprechpartner an den Wettkampfstätten präsent sein. Auch bei den Team- und Mannschaftsbesprechungen sei er dabei. Natürlich richte sich dabei der Blick der Sportler auf die Wettkämpfe, sagte Bode: "Aber es schwingt immer noch so viel anders mit, was man vielleicht nicht dem Trainer anvertraut." So gebe es beispielsweise Sportler, die kurz vor den Wettkämpfen einen Angehörigen verloren hätten und die nun ohne dessen Unterstützung starten müssten. 

Gemeinsam mit seinem Kollegen organisert er vor Ort auch Gottesdienste und Andachten. Jeden Morgen gibt es außerdem für interessierte Sportler und Team-Mitglieder einen religiösen Impuls per SMS, WhatsApp oder Mail. Auch eine 24-seitige Broschüre unter dem Titel "Mittendrin" haben die Seelsorger im Gepäck. Im kleinen Format könnte dieses "geistliche Trainingsheft" auch zu den Wettkampfstätten mitgenommen werden. Kurze Texte zu Themen wie Sieg oder Niederlagen regten zu kurzen Pausen der Besinnung an.

epd