Für Radbruch und auch für Simon ist dabei allerdings wichtig, dass sich der Arzt zuvor davon überzeugt, dass der Sterbewunsch wohlüberlegt ist. Alle wichtigen Informationen sollten bekannt sein, und die Entscheidung dürfe nicht auf sozialem Druck oder einer psychischen Erkrankung beruhen.
Trotzdem ist das Sterbefasten unter Ärzten umstritten. Einige sehen darin Hilfe zur Selbsttötung, so etwa der Münchner Mediziner und Medizinethiker Ralf Jox. Er argumentiert in einem Beitrag für die englische Fachzeitschrift BMC Medicine, ohne ärztliche Hilfe könnten viele Patienten ihren Wunsch zu fasten, bis der Tod eintritt, nicht realisieren.
Radbruch hält dagegen: "Der freiwillige Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit ist ja nicht unbedingt auf pflegerische oder ärztliche Begleitung angewiesen, eine gute Mundpflege können auch die Angehörigen machen." Wenn aber eine Begleitung durch ein Palliativteam gewünscht werde, könne er das gerne anbieten: "Genauso wie ich auch jeden Patienten, der lebenserhaltende oder lebensverlängernde Therapien beenden will, begleiten kann."
Der Göttinger Ethikexperte Simon ergänzt, die ärztliche Betreuung beim Sterbefasten beschränke sich auf menschliche Zuwendung und das Lindern von Schmerzen, Atemnot und Mundtrockenheit. Hilfe beim Sterben also, nicht Hilfe zum Sterben.
Zu dieser Basisversorgung sei jeder Arzt gemäß den Grundsätzen der Bundesärztekammer sogar verpflichtet, meint Simon. Er hat allerdings Verständnis dafür, dass einige Ärzte das anders sehen. Wer moralische Bedenken gegenüber dem Sterbefasten habe, solle einen Kollegen bitten, die Begleitung zu übernehmen, rät der Medizinethiker.
Umstritten ist auch, wie das Sterbefasten verläuft - relativ leicht erträglich oder schwer. Wie schnell der Tod eintritt, hängt am Ende vom individuellen Gesundheitszustand ab und auch davon, wie radikal auf Flüssigkeit verzichtet wird, also ob die Aufnahme abrupt oder erst nach und nach auf nahezu Null reduziert wird. Nach einer Untersuchung aus den Niederlanden unter 97 Sterbefastenden starb die Mehrheit (70 Prozent) innerhalb von 16 Tagen.
Simon ist überzeugt, dass der Tod durch Sterbefasten nicht qualvoll ist. Die meisten Augenzeugen würden ihn als überwiegend friedlich beschreiben. Er komme dem Bild eines natürlich Sterbenden sehr nahe. Das deckt sich mit dem, was Peter Auer über seine Schwester berichtet. "Sie war froh, dass sie jetzt sterben durfte. Ich hatte den Eindruck: Sie zerfällt." Nach sieben Tagen war Marlies B. tot.
Dieter Sell (epd)