Eine andere Bewohnerin wird wenige Minuten nach Beginn des Gottesdienstes unruhig. „Ich kann das jetzt nicht hören, das ist mir heute alles zuviel“, sagt die gebeugt in einem Rollstuhl sitzende Frau. Schnell wird Platz gemacht. Ihre Betreuerin schiebt sie durch die Tür nach draußen. Auch das ist im Piccolo-Gottesdienst unkompliziert machbar. „Normalerweise würde ich sagen: `ach, bleiben Sie doch noch, versuchen Sie es! ́ Aber hier ist das anders. Niemand muss sich anstrengen – was nicht geht, das geht nicht“, sagt Pastorin Angelika von Clausewitz. „Anfangs war ich sehr aufgeregt, das hat sich inzwischen gelegt“, sagt die Pastorin und lächelt. „Wir haben hier eine tolle Möglichkeit, mit Menschen in unterschiedlichen geistigen Stadien zu kommunizieren, und vielleicht auch, es auszuhalten.“ Einmal im Monat findet der Ökumenische Piccolo- Gottesdienst statt. Von Clausewitz wechselt sich dabei mit Kaplan Stefan Tietje ab. Das sechsköpfige Seelsorgeteam ist immer dabei.
„Gott spricht: ich schenke Euch ein neues Herz und lege einen neuen Geist in euch.“ So lautet die aktuelle Jahreslosung. Anschließend heißt es im Alten Testament: „Und ich nehme das steinerne Herz aus Eurem Leib weg und gebe Euch ein Herz aus Fleisch.“ Dieses neue Herz aus Fleisch, dass das alte, steinerne ersetzt, das hat hier für Landessuperintendentin Birgit Klostermeier eine besondere Bedeutung: „Für viele Menschen und auch Angehörige ist der Umgang mit Demenzkranken sehr schwer, weil sie nicht verstehen können, wohin der `alte ́ Geist entschwunden ist. Wer in diesen neuen, vielleicht oder wahrscheinlich letzten Lebensabschnitt übergeht, der wird von Gott aber ebenso geliebt wie alle anderen. Dass jemand sein Gedächtnis verliert und nicht mehr `der Alte ́ ist, das bedeutet nicht, dass er weniger menschlich oder weniger wertvoll ist“, sagt die Osnabrücker Regionalbischöfin bei ihrem Besuch in Ankum.
Nach einem gemeinsamen Lied spricht Pastorin von Clausewitz ein Gebet. Auch das Glaubensbekenntnis wird später noch gesprochen. Die Jahreslosung ist auch Thema dieses Piccolo-Gottesdienstes. Angelika von Clausewitz nimmt ein großes Herz aus Fotokarton in die Hände und trägt es direkt an die Bewohner heran. „Was ist das?“ fragt sie, „welche Farbe hat es?“ „Das ist ein Herz. Mein Herz schmerzt auch manchmal“, sagt der quirlige Bewohner, der sich schon zu Beginn des Gottesdienstes zu Wort gemeldet hat. Die Pastorin trägt das Herz weiter. Sie nimmt den Gedanken des Mannes auf und spricht von Herzschmerzen, die kleiner werden, wenn jemand einen lieb hat, und wie man selbst dann größer wird. „Auch wenn unser Herz für jemanden schlägt, wenn wir verliebt sind, dann klopft das Herz ganz besonders“, sagt die Pastorin an die Bewohner gerichtet.
Der Name „Piccolo-Gottesdienst“ kommt - wie der Name schon sagt – von den kleinen Sektfläschchen. Spritzig sollen die Gottesdienste sein, und kurz. Sie sollen anregen und munter machen. Deshalb gestalten die beiden Seelsorger und das sechsköpfige Team die Gottesdienste so, dass sie alle Sinne berühren – im wahrsten Sinne des Wortes. Es sind vertraute Lieder und Klänge zu hören; passend zu den Themen des jeweiligen Gottesdienstes gibt es Gegenstände, die ertastet werden können; duftende Blumen sind dabei; eine Kerze; die Klangschale, und die liturgische Kleidung der Geistlichen sorgt für das gewohnte Umfeld eines Gottesdienstes. Außerdem wichtig: eine einfache Sprache und Ansprache. Als die Pastorin den Segen spricht, geht sie direkt zu jedem der etwa ein Dutzend Demenzkranken. Sie legt jedem einzelnen vorsichtig die Hände an die Stirn und sagt die Worte der Jahreslosung. Für einen Moment wird es völlig still im Raum.