Startseite Archiv Tagesthema vom 26. Mai 2017

#smartchurch

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Tag zwei auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag

Ach du armes Digital! Wir sind auf Inhalte spezialisiert aber Infrastruktur hat uns noch nie gelegen. So bemängelt Wolfgang Huber bei einem Podiumsgespräch im Berliner Dom am gestrigen Himmelfahrtstag zum Thema „Das Netz: unendliche Freiheit, gesteigerte Angst“ dass die Veranstalter zwar eine Twitterwall aufgestellt hätten, jedoch vergaßen, ein WLan einzurichten. Der ehemalige EKD Ratsvorsitzende warnte vor einer Entkopplung von Freiheit und Verantwortung. Die fortschreitende Digitalisierung dürfe Menschen nicht aus der Verantwortung für Zukunftsentscheidungen nehmen. So verzichte Huber bei Vorträgen grundsätzliche auf Powerpoint und andere technische Illustrationen, die oft ablenkten und thematisch wenig zielführend seien.

Einige Stunden zuvor hatten unter dem Berliner Fernsehtum in direkter Nähe zum Dom digital Kreative ihre innovativen Projekte auf dem Weg zu einer #smartchurch vorgestellt. „Begeisterung teilen“ will Pfarrer Rasmus Bertram aus Frankfurt am Main, der mit seinem Team und einer speziellen Software (sublan.tv) interaktive Gottesdienst mit über Smartphones und Tablets von den Besucherinnen und Besuchern eines Gottesdienstes geposteten Fragen und Anregungen realisiert. Die Begeisterung für diese neue Art der Interaktion im Kirchenraum ist dem Theologen und Schauspieler anzumerken. Jeder kann sich in seinem Gottesdiensten einbringen. Das verstehe er als Umsetzung des Missionsbefehls: Gehet hin in alle Welt. 

Kleine und große Geheimnisse aus dem Leben von Vikarinnen und Vikaren hat Johanna Waldmann einige Monate digital ausgeplaudert. Zwar stieß der Hastag #wasvikaresomachen im Netz auf großes Interesse, bei den Kolleginnen und Kollegen in der Theologischen Ausbildung jedoch auch auf Widerstand. Manche fanden nicht lustig, dass aus dem inner circle etwas nach außen gegeben wurde. Die mittlerweile seit 1 1⁄2 Jahren als Pastorin arbeitenden Twitterin ist anzumerken, dass diese Form der Kommunikation ein wichtiger Webbegleiter auf dem Weg ins Pfarramt war. Nun habe sie drei Kirchen und viele Leitungsgremien zu versorgen, stellt Johanna Waldmann mit einem Seufzer fest.

Mit einer ganz neuen Form kirchlicher Infrastruktur überzeugte Fabian Kretschmar aus der gastgebenden Kirche Berlin Brandenburg schlesische Oberlausitz. Das offene Wlan „godspot“ habe sich mittlerweile quer durch die EKD zum „Verkaufsschlager“ entwickelt. 148 Spots seien bereits installiert, das Modell stehe mittlerweile jeder Landeskirche zur Verfügung und anfängliche Widerstände aus den eigenen Reihen seien ebenfalls überwunden. Ob nun englischer Name oder populistischer Titel – am Ende überzeugte die Akzeptanz. 

Am Nachmittag konnten Micha Steinbrück und ich live ein ebenfalls auf dem Podium vorgestelltes Projekt bestaunen: Die multimediale Dorfkirche, mit digitalem Gästebuch und einer mit Medien ausgestatteten Kirchenbank. Die beinhaltete neben Wandsteckdosen in Reichweite Ladestationen für Handys und ein iPad für Orientierungshilfen im Gottesdienst und Unterstützung beim Gesang.

Machen wir uns nichts vor. Das sind zarte digitale Pflänzchen auf einer analogen Blumenwiese. Die meisten Pastorinnen und Pastoren dulden keine aktiven Handys im Gottesdienst, twittern nichts Theologisches und schon gar nichts Privates, wollen bei der

Predigt weder analog noch digital unterbrochen werden und halten „godspot“ bestenfalls für einen kirchlichen Werbeclip. Aber: Ein Anfang ist gemacht.

Projekte wie godspot sollten aus Kirchensteuermitteln ebenso weiter gefördert werden wie Projektstellen für digitale Innovationen. Vielleicht bietet der nächste Kirchentag auch endlich Livestreams der Hauptbühnen und Parallel eine Kommentarfunktionen, denn „Miteinander reden und einander verstehen“ wird durch Soziale Medien gefördert. Durch wachsende Kompetenz im Umgang mit diesen Medien kann Hasskommentaren (#hatespeech)und falschen Informationen (#fakenews) zudem selbstgewußt begegnet werden. 

Kay Oppermann

Wie verletzlich sind wir im Zeitalter der fortschreitende Digitalisierung? Bei der Veranstaltung #guckstduhier zum Thema "Freiheit und Angst im Netz" sprach sich Landessuperintendentin Dr. Petra Bahr dafür aus, innerhalb des digitalen Wandels die ermutigenden Signale und den Zuwachs an Möglichkeiten stärker wahrzunehmen. "Der christliche Glaube ist nicht die Referenz für Veränderungsabstinenz", sagte die Regionalbischöfin im Berliner Dom. "Das Bekenntnis zu Jesus Christus geht nicht zusammen mit Fatalismus und noch viel weniger mit Nihilismus." 

In einem Gespräch im Anschluss an die Veranstaltung fügte die leitendende Theologin hinzu: "Digitalisierung ist eine Veränderungsdynamik, in die wir alle involviert sind. Der christliche Glaube setzt Kapazitäten frei, sich nochmal ganz anders mit dem Thema auseinander zu setzen, als vielleicht Informatiker. Es ist an der Zeit, dass Theologinnen und Theologen sich in diese Diskussionen einmischen und fragen, was das für unser Verhältnis zu uns selbst bedeutet."

Meret Köhne

In Berlin unterwegs:

Obama beim Kirchentag

Der freundlich-harmlos moderierende EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm war es nicht, der Barack Obama auf dem Podium vor dem Brandenburger Tor für einen Moment in Bedrängnis brachte. Was er dazu sage, dass durch die von ihm verstärkt befohlenen Drohneneinsätze bis zu 1.000 unschuldige Menschen gestorben seien, fragte ein Jugendlicher den ehemaligen US-Präsidenten. Obama zögerte kurz. Drohneneinsätze würden dazu beitragen, die Zahl der Opfer unter Zivilistinnen und Zivilisten zu reduzieren, antwortete er dann. Denn trotz aller politischen Bemühungen seien solche Einsätze notwendig, um seine Bürgerinnen und Bürger zu schützen.

Dieses eine Mal gab es keinen Applaus von den 70.000 Menschen, die gekommen waren, um den Mann zu sehen, der gerade im Vergleich mit seinem Nachfolger für ein Stück heile Welt steht. Dabei war die Welt natürlich auch während der Präsidentschaft Obamas alles andere als heil. Aber Obama – und phasenweise auch Bundeskanzlerin Angela Merkel – konnten in dem neunzigminütigen Gespräch am Donnerstagvormittag glaubhaft machen, dass sie trotz aller Professionalität damit ringen, in ihrem Handeln hinter den eigenen Werten und Ansprüchen zurückzubleiben. „Du kannst nie 100 Prozent von dem erreichen, was du erreichen willst. Was wir tun, ist nicht immer perfekt.“ Sätze, die aus dem Mund des aktuellen US-Präsidenten nur schwer vorstellbar erscheinen.

Ob der Auftritt Obamas beim Kirchentag nun historisch war oder eher Wahlkampfhilfe für Angela Merkel? Wahrscheinlich irgendwas dazwischen. Was hängen bleibt, ist ein Gespräch mit einem Politiker, der eigene Schwächen und Selbstzweifel einräumt. Und dem man es abnimmt, wenn er sagt: „In den Augen Gottes ist ein Kind auf der einen Seite der Grenze nicht weniger wert als ein Kind auf der anderen.“ In einer Zeit, in der Populismus und Nationalismus zunehmend die politische Kultur prägen, ist das schon eine ganze Menge.

Benjamin Simon-Hinkelmann