Startseite Archiv Tagesthema vom 25. Januar 2017

Der Widerstand kommt in die Jahre

Die vollständige Darstellung von Archivmeldungen befindet sich noch im Aufbau. Schauen Sie in Kürze noch mal vorbei!

40 Jahre nach der Benennung zum Atomstandort ist ein Endlager in Gorleben immer noch möglich

Die Protestbewegung im niedersächsischen Wendland ist in die Jahre gekommen. "In die besten Jahre", witzeln die Alten bei einem Treffen im Gasthaus Wiese in Gedelitz. Hausherr Horst Wiese zum Beispiel, Gastwirt, Landwirt und einer der Veteranen des Widerstandes gegen die Atomanlagen, ist schon 81. Im politischen Ruhestand ist er noch nicht. Allenfalls in Teilzeit.

Die Kneipe in einem Nachbardorf von Gorleben zählt seit Jahrzehnten zu den "Hotspots" der Protest-Szene. Hier startete im März 1979 der legendäre Treck der Lüchow-Dannenberger Bauern nach Hannover. Auf dem Hof und der Wiese mit den Obstbäumen kampieren bei Castortransporten die auswärtigen Atomkraftgegner, im rustikalen Saal schmieden sie Pläne für die nächste Blockade. "Und wenn wir Alten uns hin und wieder treffen, haben wir immer guten Gesprächsstoff", sagt Wiese. 

Er zählte zu den ersten, die vor 40 Jahren mit ihren Traktoren gegen die Pläne demonstrierten, in Gorleben ein "Nukleares Entsorgungszentrum" zu errichten - einen gigantischen Atomkomplex mit Wiederaufarbeitungsanlage, einem Endlager, mehreren Pufferlagern und einer Fabrik für Brennelemente. Bei der Benennung des Standortes verwies Niedersachsens damaliger Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) auf den unterirdischen Gorlebener Salzstock, in dem sich der Atommüll für Jahrtausende sicher verwahren ließe. Salzformationen gab es allerdings auch anderswo in Niedersachsen. Sie hätten sich nach Ansicht von Geologen sogar besser als Lagerstätte geeignet.

Ausschlaggebend für Albrechts Entscheidung waren wohl andere Gründe. Im strukturschwachen, konservativen Wendland, so sein Kalkül, würden die Leute schon nichts gegen die geplanten Atomfabriken haben, und gegen die versprochenen Arbeitsplätze erst recht nicht. Die Rechnung ging aber nicht auf, viele Lüchow-Dannenberger lehnten die Atomanlagen strikt ab.

Schon am Abend der Standortbenennung demonstrieren in Gorleben empörte Bürger. Drei Wochen später versammeln sich bereits 20.000 Menschen am geplanten Baugelände - Bauern, die sich um den Absatz ihrer Produkte sorgen, Rechtsanwälte und Kaufleute, Lehrer und Schüler. Der Treck Hunderter Landwirte nach Hannover von 1979 beeindruckt auch die Politiker. Eine Wiederaufarbeitungsanlage in Gorleben sei politisch nicht durchsetzbar, telegrafiert Albrecht an Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD).

Die Erkundung des Salzstocks geht aber weiter, bei der Endlagersuche bleibt Gorleben als möglicher Standort im Pool. Auch zwei Zwischenlager und eine "Pilotkonditionierungsanlage" zum Verpacken von Atommüll entstehen im Gorlebener Wald. Im Mai 1980 besetzen Tausende Atomgegner ein Stück Land über dem Salzstock. Sie errichten ein Hüttendorf und rufen die "Republik Freies Wendland" aus. Nach einem Monat räumt die Polizei das Gelände, Bulldozer walzen die Hütten nieder. 

Den Widerstand rund um Gorleben kann der massive Polizeieinsatz nicht brechen. "Wenn Du die Atomanlagen vor der Nase hast", sagt Wolfgang Ehmke von der Bürgerinitiative Umweltschutz, "kannst Du dir nicht aussuchen, ob Du dich mal engagierst und mal nicht". Ständig stünden Entscheidungen an, die nach politischen Antworten und Reaktionen verlangten.

Neben der Bürgerinitiative entstehen weitere Protestgruppen - und gehen zum Teil wieder ein: Die "Bäuerliche Notgemeinschaft", die Gorleben-Frauen, die "Grauen Zellen", in der sich die Senioren zusammenschließen, der Motorradclub Idas - schon in der griechischen Mythologie war Idas ein Widersacher von Castor. Auch viele Christen engagieren sich im Widerstand. Sie veranstalten Gottesdienste, Kreuzwege und jeden Sonntag am Endlager-Bergwerk das "Gorlebener Gebet". Bei den Castor-Transporten mit Atommüll, die seit 1995 ins Zwischenlager rollen, vermitteln Pastoren bei den teils heftigen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei.

Um den Konflikt zu entschärfen, entscheiden die Politiker 2011, die Transporte mit hochradioaktivem Atommüll einzustellen. Seitdem ist Gorleben nicht mehr der Kristallisationspunkt der Anti-Atom-Bewegung. "Dem außerparlamentarischen Protest wurde die Bühne genommen", räumt Wolfgang Ehmke ein. "Wir sind nur noch eine Initiative von vielen."

Bis 2031 soll ein Endlagerstandort gefunden sein. Fällt die Wahl dann auf Gorleben, stellt Horst Wiese seinen Traktor wohl nicht mehr selber quer. Er baut darauf, dass seine Kinder und Enkel den Widerstand fortsetzen. "Ich glaube, sie würden noch mehr machen als wir", sagt er. "Bei meinem Sohn, der mich in all den Jahren unterstützt hat, bin ich mir sogar sicher."

Reimar Paul (epd)

Erinnern

Mit einer Aktionswoche wollen Umweltschützer an die Benennung von Gorleben als Atomstandort vor 40 Jahren erinnern. Vom 18. bis zum 26. Februar sind im niedersächsischen Wendland zahlreiche Veranstaltungen geplant, teilte die Bürgerinitiative (BI) Umweltschutz Lüchow-Dannenberg mit. "Wir haben Geschichte geschrieben, Atom-Ausstiegsgeschichte. Doch es ist weiter Aufklärung und Widerstand nötig", sagte ein Sprecher.

Die Umweltschützer wollen ihre Protestwoche am 18. Februar mit einem Trecker-Konvoi zu den Atomanlagen einläuten. Dort soll es Redebeiträge und ein Kulturprogramm geben, anschließend lädt die Bürgerinitiative zu einem "Klönschnack" in die "Trebeler Bauernstuben" ein. In den folgenden Tagen gibt es unter anderem Zeitzeugengespräche mit Altvorderen des wendländischen Widerstandes, Lesungen, Filmvorführungen und Podiumsdiskussionen über die Zukunft des Standortes Gorleben. Am 25. Februar will der Wissenschaftler Attila Dészi sein Forschungsprojekt "Archäologie der Republik Freies Wendland" vorstellen.

epd

Gorlebener Gebet

Auch 40 Jahre nach der Benennung Gorlebens als Atomstandort, zeichnet sich der Widerstand in der Region durch Beharrlichkeit aus. Das gilt auch für das sonntägliche Gorlebener Gebet im Wald, das in fast 28 Jahren noch nie ausgefallen ist.

Wenn Umweltschützer vom 18. bis zum 26. Februar mit einer Aktionswoche an den Jahrestag der Standortbenennung erinnern, beteiligt sich auch die ökumenische Initiative. Elke Mundhenk wird dann die Andacht halten. Worüber, da legt sie sich noch nicht fest. "Meistens wird kurz vorher etwas ganz wichtig", sagt sie. Mundhenk, die für die Grünen bis zum vergangenen Jahr Bürgermeisterin im nahe gelegenen Dannenberg war, fühlt sich dem Gorleben-Protest verbunden. "Und ich finde es gut, dass auch Christen sich da positionieren", ergänzt das Mitglied der baptistischen Freikirche.

Längst ist die Initiative anerkannt, sowohl in der Anti-Atom-Bewegung als auch in der Kirche. Der evangelische Landesbischof Ralf Meister aus Hannover predigte schon an den Gorleben-Kreuzen, das katholische Bistum Hildesheim machte mit einem Kreuzweg dort Station. In den Anfangsjahren allerdings gab es teils heftige politische und theologische Auseinandersetzungen.

Karen Miether (epd)