Startseite Archiv Tagesthema vom 10. Dezember 2016

Feuer und Flamme

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Dritter Advent

Ob er im Kerker sein Gesicht noch dem Himmelsblau entgegenstreckte? Von dort hätte Gott kommen sollen. Berge wären geschliffen, Täler gefüllt worden, um Gott gewaltsam Wege in die Welt zu ebnen. Axt und Feuer seines Gerichts hätten alles Unnütze und Böse verzehrt. Es gab zu viel davon.

Wenn er die Augen fest schloss, sah er Blitze hinter seinen Lidern zucken. In seinem Herz rührte sich der alte Zorn. Diesen Zorn hatte er früher denen entgegengeschleudert, die zu ihm an den Jordan kamen. Was bildeten sie sich ein? Dass es einfach wäre, sich zu verändern? Dass es einfach wäre, Gott zu überleben?

Er würde ihn nicht überleben. Die Axt, durch die er Herodes und all die anderen korrupten Handlanger der Macht hatte fallen sehen wollen, war an seinen eigenen Hals gelegt. Gott holte nicht Schwung, um die Mächtigen zu fällen. Er ließ es zu, dass Johannes fiel. Vielleicht schon morgen.

Sein Gesicht suchte den Himmel, das Licht. Der Zorn wurde schwächer, die Sehnsucht drängender, seine Gebetsworte verzweifelter. Es konnte nicht alles umsonst gewesen sein. Die Einsamkeit. Das Feuer für Gott. Die geballte Faust und das schneidende Wort. Das Glitzern der Sonne auf dem Wasser des Jordans.

Wie ein Lichtregen war das Wasser vom Kopf der Getauften gespritzt, wenn sie prustend wieder auftauchten. Oft hatten sie gelächelt, erleichtert, gelöst, und er spürte dann ein Echo dieses Lächelns auf den eigenen Lippen. Vielleicht würde doch noch alles gut.

„Was sollen wir denn tun?“ fragten sie. „Was sollen wir tun, um zu leben?“ Früher hatte er eine Antwort gewusst. Es war doch so einfach. Teilen, was man hat. Nicht mehr haben wollen, als man zum Leben braucht. Keinen mit Unrecht oder Gewalt quälen. Das würde Gott gefallen, wenn er kam. Aber er kam nicht. Noch nicht. Johannes schaute ins Licht. Seine Welt zerriss. Die Axt holte Schwung. Er fiel.

Mit Schwung hat er das Streichholz angerissen, um die erste Adventskerze zu entzünden. Die zweite. Zu wenig Licht für die Dunkelheit der Welt. Er liebt Tannenduft, Lebkuchengeschmack, Glitzerschmuck. Aber es hilft nicht. Er ist wütend, manchmal geradezu verzweifelt.

Advent als Endlosschleife. Jedes Jahr wieder die Rede vom Sturz der Mächtigen und von Gottes Geburt, die die Finsternis verwandelt. Und jedes Jahr wieder legen Terror und Lüge die Axt an, um die Gerechtigkeit zu fällen und die Liebe zu verwunden. Er blickt in die Kerze. „Gott, komm“, betet er. „Gott, bitte, komm endlich in deine Welt!“

Am letzten Sonntag haben sie die Tochter getauft. Das Wasser auf ihrer Stirn fing für einen Moment den Glanz der Adventskerzen auf, funkelte und ließ ihn lächeln. Was soll er denn tun, für sein Kind und für diese Welt? Er weiß es. Er hat es von Anfang an gelernt. Es ist so einfach und doch so schwer. Teilen. Nicht gierig sein. Keine Gewalt. Und vor allem: Sehnsüchtig bleiben. Das ist das Schwerste. Warten. Sehnsüchtig bleiben. Er schaut ins Licht. Er holt Schwung, um die dritte Kerze anzuzünden. Die Flamme schießt hoch und brennt.

Pastorin Sabine Schiermeyer

Der Bibeltext

Da geschah das Wort Gottes zu Johannes, dem Sohn des Zacharias, in der Wüste. Und er kam in die ganze Gegend um den Jordan und predigte die Taufe der Buße zur Vergebung der Sünden.

(Aus Lukas 3,1-14)