Ob er im Kerker sein Gesicht noch dem Himmelsblau entgegenstreckte? Von dort hätte Gott kommen sollen. Berge wären geschliffen, Täler gefüllt worden, um Gott gewaltsam Wege in die Welt zu ebnen. Axt und Feuer seines Gerichts hätten alles Unnütze und Böse verzehrt. Es gab zu viel davon.
Wenn er die Augen fest schloss, sah er Blitze hinter seinen Lidern zucken. In seinem Herz rührte sich der alte Zorn. Diesen Zorn hatte er früher denen entgegengeschleudert, die zu ihm an den Jordan kamen. Was bildeten sie sich ein? Dass es einfach wäre, sich zu verändern? Dass es einfach wäre, Gott zu überleben?
Er würde ihn nicht überleben. Die Axt, durch die er Herodes und all die anderen korrupten Handlanger der Macht hatte fallen sehen wollen, war an seinen eigenen Hals gelegt. Gott holte nicht Schwung, um die Mächtigen zu fällen. Er ließ es zu, dass Johannes fiel. Vielleicht schon morgen.
Sein Gesicht suchte den Himmel, das Licht. Der Zorn wurde schwächer, die Sehnsucht drängender, seine Gebetsworte verzweifelter. Es konnte nicht alles umsonst gewesen sein. Die Einsamkeit. Das Feuer für Gott. Die geballte Faust und das schneidende Wort. Das Glitzern der Sonne auf dem Wasser des Jordans.
Wie ein Lichtregen war das Wasser vom Kopf der Getauften gespritzt, wenn sie prustend wieder auftauchten. Oft hatten sie gelächelt, erleichtert, gelöst, und er spürte dann ein Echo dieses Lächelns auf den eigenen Lippen. Vielleicht würde doch noch alles gut.
„Was sollen wir denn tun?“ fragten sie. „Was sollen wir tun, um zu leben?“ Früher hatte er eine Antwort gewusst. Es war doch so einfach. Teilen, was man hat. Nicht mehr haben wollen, als man zum Leben braucht. Keinen mit Unrecht oder Gewalt quälen. Das würde Gott gefallen, wenn er kam. Aber er kam nicht. Noch nicht. Johannes schaute ins Licht. Seine Welt zerriss. Die Axt holte Schwung. Er fiel.