Startseite Archiv Tagesthema vom 30. Oktober 2016

Doppelpass

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23. Sonntag nach Trinitatis

Was bist du denn genau? Deutsche oder Türkin? Kelin hat diese Frage schon oft gehört. Sie ist neunzehn Jahre alt und lebt seit ihrer Kindheit in Deutschland. Wir unterhalten uns in der Schlange vor dem Schulkiosk. „Deutsche oder Türkin? Beides natürlich,“ antwortet sie auf meine Frage und lacht. Kelin gehört zu den etwa vier Millionen Deutschen, die neben dem deutschen noch einen anderen Pass besitzen. Doppelte Staatsbürgerschaft heißt das offiziell und ist politisch gerade einmal wieder heftig umstritten.

„Wer bin ich und wenn ja, wie viele?“ Mit diesem Titel feierte der Philosoph Richard David Precht vor einigen Jahren einen Bestseller. Ich selbst bin in Deutschland geboren und habe deutsche Eltern. Auf die Frage, wer ich denn eigentlich sei, kann ich aber ebensowenig wie Kelin eine eindeutige Antwort geben. Es sträubt sich etwas in mir dagegen, einfach zu sagen: Ich bin Deutscher, punktum. Könnte ich nicht ebenso gut sagen: Ich bin Europäer? Wenn ich jemand bin, dann gewiss viele.

Bürger Deutschlands, Bürger Europas. Beides bin ich. Der Apostel Paulus schreibt mir noch ein Drittes zu: Bürger des Himmels soll ich sein. Eine seltsame Vorstellung: ein „Bürgerrecht im Himmel“. Ist meine Taufurkunde dann so etwas wie ein zweiter Pass? Martin Luther hat auf seine Art versucht zu erklären, was das bedeuten könnte. Er spricht davon, dass der Christenmensch Bürger zweier Reiche sei. Einerseits ist er Bürger eines bestimmten Staates und dessen Gesetzen unterworfen. Andererseits gehört er bereits auf Erden zum Reich Gottes. Wir sind nicht nur Bürger Deutschlands, der Türkei oder Europas. Wir sind immer auch zugleich Kinder Gottes. Mitten im politischen Leben stehen wir mit einem Bein in der Ewigkeit. Eine „zweite Staatsangehörigkeit“ sozusagen, von Gott verliehen. Eine zweite Identität, ein Doppelpass.

Wer bist du denn genau? Und wenn ja, wie viele? Kaum eine Frage finde ich schwerer zu beantworten als diese. Ich bin Sohn und Vater, Ehemann und Freund, Arbeitnehmer und Privatmensch, Deutscher und Europäer. Alle diese Ichs sind Ich. Und es ist nicht immer einfach, alles zugleich zu sein. Da empfinde ich es als großen Trost, dass zumindest eines feststeht: Du bist Bürger des Himmels, Kind Gottes. Diese Identität, die Gott mir in der Taufe verliehen hat, steht jenseits aller Fragen. 

Zugegeben: Fußballfan gehört nicht gerade zu meinen vielen Identitäten. Doch weiß ich zumindest, dass es auch dort einen Doppelpass gibt, den mehrfachen Ballwechsel innerhalb einer Mannschaft. Ähnlich stelle ich mir das auch mit meinen verschiedenen Ichs vor, die alle zugleich Ich sein sollen: Der Sohn und Vater, der Ehemann, der Privat- und der Berufsmensch. All diese Ichs müssen wie eine Mannschaft zusammenarbeiten, soll mein Leben gelingen. Eine Aufgabe, die mich manchmal überfordern kann. 

Als Christ weiß ich aber: Ich bin mit dieser Aufgabe nicht allein. Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist, dirigiert meine Mannschaft wie ein guter Trainer. Er ist bei mir mit der „Kraft, mit der er sich alle Dinge untertan machen kann“. Er ist es, der meine vielen Ichs zusammenhält. Als Bürger Himmels muss ich nicht fürchten, dass ich das Spiel verliere. Ich bin Kind Gottes. Das ist meine Identität. Und darum ist mir meine Taufurkunde genauso wichtig wie Kelin ihr zweiter Pass.

Vikar Dr. Hendrik Klinge

Folgt mir, liebe Brüder, und seht auf die, die so leben, wie ihr uns zum Vorbild habt. Unser Bürgerrecht aber ist im Himmel; woher wir auch erwarten den Heiland, den Herrn Jesus Christus, der unsern nichtigen Leib verwandeln wird, dass er gleich werde seinem verherrlichten Leibe nach der Kraft, mit der er sich alle Dinge untertan machen kann. (Aus Philipperbrief 3,17-21)

Der Autor

Vikar Dr. Hendrik Klinge aus Hannover