Startseite Archiv Tagesthema vom 19. Oktober 2016

Der Bestseller ist wieder da

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Bei Bibelnacht werden bundesweit die ersten neuen Lutherbibeln ausgegeben

Jan-Peter Graap ist der Erste in ganz Deutschland, der die neue Lutherbibel sein Eigen nennen kann. Um 0.01 Uhr hält er das Werk in der hannoverschen Marktkirche in Händen. „Ich bin ein echter Lutherfreund und verbinde sehr viel mit dem Buch“, sagte er unserer Zeitung. Schon als Schüler bekam er einst eine Lutherbibel. Mit dem Buch hatte er seitdem häufiger zu tun - Graap ist Pastor der Freien evangelischen Gemeinde in Hannover-Bothfeld.
 
Fünf Jahre Arbeit stecken in dieser „Lutherbibel 2017“. Anlass zur Revision ist das Jubiläumsjahr der Reformation, das am 31. Oktober beginnt. Die letzte Revision hatte es 1984 gegeben. 70 Theologen überprüften und überarbeiteten die Bibeltexte seit 2010. An insgesamt 44 Prozent der knapp 36 000 Bibelverse habe es Änderungen gegeben, erläuterte Steffen Marklein von der Hannoverschen Bibelgesellschaft. Dies reicht jedoch von veränderter Kommasetzung bis zur vollständigen Neuübersetzung ganzer Verse.
 
Bei der Revision sei es vor allem um Treue zu den hebräischen und griechischen Ausgangstexten sowie um Treue zum Luthertext von 1545 gegangen, erläuterte Marklein. Luthers damalige Bibelübersetzung sei durch seine starke und verständliche Sprache berühmt geworden. Er habe dem Volk aufs Maul geschaut, umgekehrt seien aber auch viele der von ihm erfundenen Begriffe wie etwa „Lückenbüßer“ oder „Lästermaul“ in den umgangssprachlichen Gebrauch eingegangen.

Dementsprechend seien gute Sprachbilder Luthers oder besonders bekannte Passagen beibehalten worden. Revisionen seien trotzdem sinnvoll, da sich Sprache verändere. So wurde beispielsweise aus der „Wehmutter“ bei Benjamins Geburt die „Hebamme“. Zudem muss der Text immer wieder an den neuesten Forschungsstand angepasst werden, heißt es von Seiten der Bibelgesellschaft. Auch Luther selbst habe seine Bibelübersetzung immer wieder überprüft und verändert.
 
Die neue Lutherbibel ist umfangreicher als vorherige Ausgaben, denn nun sind darin die Apokryphen zu finden. Dabei handelt es sich um Texte, die zeitlich zwischen Altem und Neuem Testament entstanden und von denen auch Luther meinte, sie zu kennen, sei nützlich, so Marklein. Weitere Änderungen habe es im Schriftbild gegeben: Anmerkungen sind nun deutlich vom eigentlichen Bibeltext unterscheidbar und Psalmen sind ihrem Charakter entsprechend wie Gedichte abgebildet.
 
Bevor es um Mitternacht zum Büchertisch ging, auf dem die „Buchhandlung an der Marktkirche“ die neue Bibel in 14 Varianten anbot, gab es ein umfangreiches Programm zur Einstimmung. „Bestseller verdienen eben besondere Aufmerksamkeit“, erklärte Pastor Stephan Lackner, der die Bibelnacht mitorganisierte und moderierte. „Und die Bibel ist der Bestseller schlechthin.“

Mit Musik, Lesungen und informativen Gesprächen ging es durch den Abend. Der Europäische Synagogalchor trat auf und erinnerte damit indirekt an die jüdische Herkunft vieler Bibeltexte und darin handelnder Personen. Anschließend trugen Sprecher verschiedene Versionen des Psalms 23 vor („Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal…“). Vom Hebräischen über Luthers Version bis hin zu kindlicher Formulierung machte dies deutlich, dass die Bibel viele verschiedene Menschen ein Leben lang begleitet. Für Erheiterung sorgte besonders die schwäbische Variante des Psalms.
 
In einer folgenden Gesprächsrunde erinnerte sich der Theologe und Journalist Michael Berger an eine aus seiner Sicht missratene Bibelrevision von 1975. Diese sei durch besonders platte Sprache aufgefallen. „Die Bibel muss aber auch eine archaische, teils aufgeladene und rätselhafte Sprache haben“, betonte Berger. Nach seichter Unterhaltungsliteratur habe man keine Fragen mehr, das sei bei der Bibel ganz anders. Jedoch biete die Bibel zu wenig gute Literatur, kritisierte er. „Da ist vieles drin, wofür man einen Exegeten braucht. Das ist auch ein Problem.“

Stefan Korinth, Evangelische Zeitung

Gewinner des Abends war aber auch eine Kulturtechnik, an die man heute bei der Bibel kaum noch denkt: das Vorlesen. Zu Luthers Zeiten wurde sie oft laut vorgelesen, erinnerte Steffen Marklein. Und als der Schauspieler Ernst-Erich Buder mit seiner angenehmen Erzählstimme erst die Schöpfungsgeschichte und dann die Weihnachtsgeschichte nach Lukas vorlas, herrschte eine geradezu feierliche Atmosphäre in der großen Kirche. Ja, man müsse die Bibel nicht nur lesen, sondern auch mal hören, resümierte Stephan Lackner beeindruckt und scherzte: „Als nächstes bringen wir die Bibel als Hörbuch heraus.“

Die Lutherbibel

Die Lutherbibel hat eine Startauflage von 260.000 Exemplaren. An der Revision haben 70 Wissenschaftler sechs Jahre lang gearbeitet. Insgesamt wurden 15.700 Verse geändert. Martin Luther hatte zusammen mit mehreren Mitarbeitern im 16. Jahrhundert die Bibel ins Deutsche übersetzt.

Die Übersetzung des Neuen Testaments lag 1522 vor, 1534 war die vollständige Bibel übersetzt. Bis 1545 fügte Luther immer noch Änderungen hinzu. Im 19. und 20. Jahrhundert gab es insgesamt drei kirchenamtliche Durchsichten. Bislang galt die Lutherbibel von 1984 als maßgeblicher Bibeltext der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und ihrer Landeskirchen.