Als er sich auf den Weg zur Erde machte, um Mensch zu werden, ließ er alle Göttlichkeit hinter sich. Er schlüpfte in die Haut des Menschen, ganz und gar, ohne doppelten Boden, ohne Notausgang oder Hintertür.
Jesus erniedrigte sich, er lieferte sich aus. Dem Menschsein. Und den Menschen. Geboren werden, über die Erde gehen, vergänglich sein. Weinen und klagen, feiern und glücklich sein. Verstanden werden und verspottet. Freunde finden, von Gegnern bespuckt werden. Jubelnd willkommen geheißen und später mit Dornen bekrönt.
Und doch war und blieb er ein besonderer Mensch. Was macht die Gottgleichheit aus, von der es heißt, er habe sie nicht als Raub betrachtet?
Ich stelle mir vor, dass Jesus sich vollkommen in Gott eingefühlt hat, als käme er ganz aus dessen Herzen. Er hat ihn bis auf den Grund verstanden:
Gott ist so frei, die Trennlinie zwischen Himmel und Erde behutsam fortzuwischen. Er ist so verwegen, die Perspektive zu wechseln und sich einzufühlen in die Menschen. Und er ist so beherzt, seine Allmacht nicht mit Gewalt durchzusetzen, sondern sie der Liebe anzuvertrauen. Darum kommt er nicht als gewaltiger Herrscher daher, sondern als Kind: angewiesen auf andere Menschen, die ihn unterstützen, damit er groß werden kann.
Durch Jesus erfahren wir: Gott verringert das Machtgefälle zwischen sich und der Welt nicht nur, er kehrt es sogar um. Verletzbar wird er und bedürftig. Ein Säugling, ungeeignet als Projektionsfigur für Allmachtsphantasien und Größenwahn.
Gott zieht das Wagnis den unumstößlichen Gewissheiten vor. Er wählt die Menschlichkeit als göttliches Antlitz. An jedem Morgen zittert er sich neu ins Leben.