Startseite Archiv Tagesthema vom 04. Dezember 2015

Lieber, heilger Nikolaus

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Es kommt nicht oft vor, dass der 6. November ein Sonntag ist. Wenn es schon mal der Fall ist, kann Nikolaus von Myra an 'seinem' Tag auch mal im Mittelpunkt einer Andacht stehen. Ich halte sonst nichts vom Heiligenkult, aber in diesem Fall …

Ich mache deshalb eine Ausnahme, weil der heilige Nikolaus von Kindheit an zu meinem Leben dazugehört hat. Und das sagt viel bei einem gut lutherisch erzogenen Kind vom Lande. Er ist der einzige Heilige, der es zu einer solchen Bedeutung in meinem Leben geschafft hat. Obwohl ich gar nicht wusste, dass er in die Reihe der christlichen Heiligen gehört. Für mich war er eher eine Märchengestalt – nein, er war mehr als das. Denn ein paar Mal stand er leibhaftig vor mir; roter Mantel, weißer Rauschebart, Fitzelrute, Jutesack. Er ging von Haus zu Haus, um die Kinder zu beschenken. Jedenfalls die artigen Kinder.
Meistens gehörte ich dazu. Sagte artig 'ja' auf die Frage, ob ich denn auch immer artig gewesen sei und sagte ebenso artig mein Gedicht auf. "Lieber guter Nikolaus, sieh doch nicht so böse aus. Stecke deine Rute ein, ich will auch immer artig sein." Oder ein anderes Gedicht vom Christkind – aber immer artig.

Nur einmal hat es nicht geklappt mit dem Artig-Sein. Da war ich einen Tag vorher vermutlich unartig gewesen. Der Nikolaus zog seine Rute und gab mir damit ein paar leichte Streiche auf den Po. Weh getan hat es nicht, aber demütigend war es. Süßigkeiten hatte er diesmal für mich nicht. "Vielleicht im nächsten Jahr, wenn du wieder artig gewesen bist." Was ich mir dann ganz fest vorgenommen habe.

So war das Ende der 50iger Jahre im letzten Jahrhundert. Jedenfalls bei uns in der Familie, bei uns im Dorf. Der Nikolaus als Zuchtmeister. Hat es mir geschadet? Ich hoffe nicht, bin mir aber nicht sicher. Für das Christkind (das dann Heiligabend vorbei kam) war es so einfacher; das Pädagogische war abgearbeitet; die Strafe war ausgesprochen – jetzt durften Gnade und Liebe sein; und Geschenke.

Der Nikolaus hat seine Rolle eingebüßt; jedenfalls in unserer Familie. Er droht nicht mehr und straft nicht mehr; die Enkelkinder müssen nicht mehr artig sein und finden doch ein paar Süßigkeiten in ihren Stiefeln. Ich finde es besser so, freue mich über meine unartigen, aufmüpfigen Enkel. Zu ihnen passte eher folgendes Gedicht: "Nikolaus, sei unser Gast, wenn du was im Sacke hast. Hast du was, so lass dich nieder, hast du nichts, so pack dich wieder!"
Das habe ich von meinen Enkeln so zwar noch nicht gehört, aber es würde mich nicht verwundern; nein: es würde mich freuen.

Der Droh-Nikolaus hat sich erledigt. Gut so. Besser wäre gewesen, meine Eltern hätten mir aus dem Leben dieses großen Christen des 4. Jahrhunderts erzählt. Er muss vorbildlich gelebt haben: gütig, liebevoll, engagiert für die Benachteiligten. Sonst wäre er nicht zum Vorbild geworden. Das kann er auch heute noch sein; oder heute wieder sein.

Davon erzählt dieses Gedicht: "Lieber heiliger Nikolaus, komm doch heut in unser Haus. Lehr uns an die Armen denken, lass uns teilen und verschenken. Zeig uns, wie man fröhlich gibt, wie man hilft und wie man liebt."
Da wird der alte Nikolaus plötzlich ganz aktuell und kann die Wege zu denen verkürzen, die auf unsere Hilfe angewiesen sind.
Dann hätte Nikolaus wieder eine Rolle. Eine gute.

Reinhard Fiola