Startseite Archiv Tagesthema vom 14. Oktober 2015

Luther: Fan von Maria

Das Niedersächsische Landesmuseum in Hannover eröffnet am 16. Oktober die internationale Ausstellung „Madonna“ über Marienbilder. Die Schau über Maria, die Mutter Jesu, zeichnet mit Leihgaben unter anderem aus London, Wien, Rom und Berlin den Weg von den antiken Muttergöttinen über den Marienkult im Mittelalter bis zu Darstellungen der Madonna in der zeitgenössischen Kunst nach. Schirmherrin der Ausstellung „Madonna. Frau - Mutter - Kultfigur“ ist die Theologin Margot Käßmann.

Die vollständige Darstellung von Archivmeldungen befindet sich noch im Aufbau. Schauen Sie in Kürze noch mal vorbei!

Redaktion: Auf welche Details legen Sie beim Aufbau wert?

Westphal: Natürlich, dass die Exponate den restauratorischen Anforderungen entsprechend wohlbehalten aufgestellt werden. Hier gibt es Klimavorgaben und auch „Schwergewichte“ zu beachten. Wir haben neben zahlreicher Objekte aus der Sammlung des Landesmuseums eine Vielzahl von Niedersächsischen Leihgebern aber auch das British Museum in London, die Musei Capitolini in Rom und das Kulturhistorische Museum in Wien an Bord. Wie schon gesagt, wir sprechen hier von Exponaten von der Steinzeit über das Mittelalter bis in die Gegenwart.
Alle diese Anforderungen müssen beachtet und ausgeführt werden.

Radaktion: Diese unterschiedlichen Sichtweisen der entsprechenden der Exponate...

Westphal: Ja, die sind wirklich spannend und herausfordernd! Manchmal ist es mehr Fruchtbarkeit, manchmal mehr Glaube, manchmal mehr Liebe, manchmal mehr Verehrung...Mich hat in diesem Falle besonders die Antike angesprochen, ich habe das Gefühl, dass sie unvoreingenommener - oder besser gesagt – unprätentiöser mit der Darstellung und unseren Wunschvorstellungen umgeht.
Wir haben hier sehr viel Fruchtbarkeitssymbolik, aber auch einen wunderbar zärtlichen Umgang mit den existentiellen Wünschen der Menschen.

Redaktion: Welche Ideen stecken hinter der Art und Weise Ihrer Anordnung der Ausstellungsstücke?

Westphal: Wir haben die Ausstellungsfläche als eine Art „begehbare“ Zeitreise inszeniert, und dadurch erlebnisreich aber auch klar für den Besucher strukturiert.


Der große Bogen in der kulturhistorischen Entwicklung von Mariendarstellungen wird durch eine Art „Kabinett-Gestaltung“ deutlich. Es wechseln sich farblich gestaltete Räume, die die einzelnen Epochen  beschreiben mit den jeweiligen kontextualen Bedingungen ab. So beginnt der Ausstellungsbesuch mit einem Videoraum, dannach geht es „dicht“ durch die Antike, da die unterschiedlichen Darstellungen auch sehr nah miteinander verbunden sind. Die Räume öffnen sich zu der Darstellung im Mittelalter „Trohnende Madonnen“, „Votiv und Prozession“, „Marienleben“ bis zu den Rezeptionen „Reformation“, „Gegenreformation“ und »Raffael-Rezeptionen«, wo ein Gegenbild geboten wird. Die Auflösung folgt ab der Jahrhundertwende mit Munch, Kolwitz, Nolde und erfährt mit Sichtweisen von Kurt Schwitters, Henry Moore und Niki de St. Phalle einen Übergang in der Divergenz.

Die Gegenwart im letzten Raum konfrontiert gekannte Fragestellungen mit neuen Sichtweisen. Eine Pieta von Sam Jinks stellt die gekannte Bildwahrnehmung auf den Kopf und zeigt einen Businessman mit einer Greisin auf dem Schoß. Vielleicht eine Frage an uns alle: Sind wir noch zu retten? Wie steht es mit dem Gottesglauben, der menschlichen Sehnsucht oder auch mit der Trauerkultur in unserer postmodernen Gesellschaft?


Redaktion: Welche Darstellungen faszinieren Sie besonders?


Westphal: Hmmm, eigentlich alle, weil alle ihre Berechtigung und ihre Wahrheit in ihrem speziellen Kontext haben. Aber eigentlich sprechen mich persönlich besonders die „Crossover-Fenster“ an. Sie sind verstreut in den unterschiedlichen Epochen eingeordnet. Da findet sich ein Cranach zwischen Aphrodite-Darstellungen aus dem 2. Jahrtausend v. Chr., eine Reisemadonna von Dieter Fröhlich zwischen mittelalterlichen Darstellungen oder ein zynischer Schwitters zwischen den Raffael-Rezeptionen.

Hier werden Perspektiven der unterschiedlichen Zeiten deutlich und mit den Sichtweisen moderner Fragestellungen konfrontiert. Die Ideen einer eigenen und zugleich kollektiven Sichtweise: Der Glaube, das Weibliche aber auch die kommerziellen Abbildungen stehen hier im Vordergrund. Julia Krahns Portraits fragen nach der Weiblichkeit in der Postmoderne: Bedeutet Weiblichkeit ein Kind zu gebären?

....und vielleicht beantworten sie diese Frage in der ein oder anderen Weise.
Dieter Fröhlichs „Schabmadonnen“ setzen sich nocheinmal vorzüglich mit der Frage von Glaube, Hoffnung und vielleicht auch ein wenig Scharlatanerie auseinander.

Alles ist drin, ich bin besonders gespannt, was auch junge Besucher sagen,
wenn sie diesen Reichtum an Mariendarstellungen sehen – wie zum Beispiel eine kleine Terrakotte mit zwölf Brüsten!

Nicole Westphal ist Dipl.-Designerin und hat die Madonna-Ausstellung in Hannover gestaltet

Frau - Mutter - Kultfigur

Die evangelische Reformationsbotschafterin Margot Käßmann wird Schirmherrin der Ausstellung „Madonna“ des Niedersächsischen Landesmuseums in Hannover. Die Schau über Maria, die Mutter Jesu, zeichnet mit Leihgaben unter anderem aus London, Wien, Rom und Berlin den Weg von den antiken Muttergöttinnen über den Marienkult im Mittelalter bis zur Darstellung der Madonna in der zeitgenössischen
Kunst nach, teilte das Museum mit. Maria wird seit Jahrhunderten als „Madonna“ verehrt.

„Für Protestanten war Maria lange Zeit eher ein Tabuthema, weil sie sich absetzen wollten von römisch-katholischer Marienverehrung“, schreibt Käßmann in einem Grußwort: „Dabei war der Reformator Martin Luther ein großer - heute würden wir sagen - 'Fan' Marias.“ Käßmann ist für die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) als Botschafterin für das 500-jährige Reformationsjubiläum im Jahr 2017 tätig.

Bilder die beherrschen

Bildwerke aus mehr als 1.500 Jahren zeigten, wie wandelbar die Kultfigur der Gottesmutter sei, erläuterten die Initiatoren. So beschreibe die Ausstellung unter anderem die Geschichte der Marienverehrung während der Reformationszeit. Maria sei von Luther verehrt, später aber als Heilige abgelehnt worden. Ihr Bild beherrsche dennoch bis heute nicht nur Kirchen und Klöster, sondern sei auch in zeitgenössischen Werken als willkommene Folie für das Weibliche weit verbreitet: „Kaum eine Frau hat die Menschheit bis heute so bewegt wie die Madonna.“

Die Bilder zeigten, wie wandelbar die Kultfigur der Gottesmutter sei, erläuterte Museumsdirektorin Katja Lembke. „Kaum jemand war bildmächtiger.“ So gehe die Ausstellung unter anderem den Ursprüngen der Marienverehrung nach. Die Vorläufer der Madonna seien in der Antike zwar bereits als Mutter bezeichnet, aber ohne Kind abgebildet worden. Statuen wie die der jungfräulichen Stadtgöttin Artemis von Ephesos wiesen aber bereits vertraute Attribute der Maria auf. „Jungfräulichkeit ist keine Erfindung des Christentums.“

Die Ausstellung läuft bis zum 14. Februar 2016.

epd