Startseite Archiv Tagesthema vom 04. Oktober 2015

Im Herzen der Stadt

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Rechtzeitig zu seinem 175-jährigen Bestehen hat das Friederikenstift in Hannover mit einer sehr alten Tradition gebrochen. Erstmals wurden zwei Männer in die Schwesternschaft der Friederiken aufgenommen. „Ich wollte dazugehören und irgendwer von den Männern musste ja anfangen“, sagt Pfleger Matthias Redder. Anfangen und anpacken wollte auch die Hannoveranerin Ida Arenhold. Im Jahr 1840 gründet sie den Frauenverein für Armen- und Krankenpflege, mit dem die Geschichte der ältesten Klinik Norddeutschlands beginnt. Zum Jubliläum feierten Mitarbeiter, Freunde und Gäste des evangelischen Krankenhauses am 4. Oktober in der Neustädter Kirche einen Festakt.

Heute ist das Stift mit seiner Palliativstation und eigenen Demenzlotsen beispielhaft für die Versorgung älterer Patienten. Landesbischof Ralf Meister, der im Festgottesdienst predigte, sieht in dieser Vorreiterrolle eine historische Tradition. Ida Arenhold sei ein „Inbegriff für Beharrlichkeit und Gottvertrauen gewesen, mit Mut zu ungewöhnlichen Ideen, voll beharrlicher Präsenz“, schreibt er in einer 265-seitigen Festschrift: „Eine Grundhaltung, mit der Lebensrettendes, Lebenserhaltendes aufgebaut werden konnte. Eine Haltung, die auch heute die Arbeit im Friederikenstift prägt.“ Das Bemühen um die persönliche Situation der Patienten stehe dabei im Mittelpunkt.

Das hängt nach Ansicht von Öffentlichkeitsreferentin Christel Suppa maßgeblich mit der Arbeit der Diakonieschwestern zusammen. „Sie verstehen sich als Friederiken und haben einen anderen Umgang mit Patienten. Die Pflege soll mehr als satt und sauber sein.“ 580 Mitglieder zählt die Schwesternschaft derzeit, das sind 75 Prozent des Pflegepersonals.

Wer in die Gemeinschaft eintritt, hat viele Vorteile. Mitgliedern mit Kindern etwa werden flexible Arbeitszeiten angeboten. Zu erkennen sind die Schwestern an ihrer silbernen Brosche mit der aufgeprägten Lutherrose. Die dunkelblauen oder schwarzen Trachten aus schwerem Stoff mit weißem Kragen und weißen Manschetten ziehen die Friederiken nur noch zu Festtagen an.

In der Mitte des 19. Jahrhunderts, als Ida Arenhold den Verein gründete, lebten viele Familien in elenden Verhältnissen, eine Folge der Industrialisierung. Der damalige König Ernst August schenkte dem Verein ein Grundstück. Ein Jahr später gab er ihm den Namen Friederikenstift, benannt nach seiner verstorbenen Frau.

Für Oberbürgermeister Stefan Schostok (SPD) ist das Stift untrennbar mit der Geschichte Hannovers verbunden. „Das Haus befindet sich noch immer an seinem angestammten Platz in der heutigen Calenberger Neustadt - im Herzen der Stadt und im Herzen der Menschen.“ Obwohl es gleich zweimal ausgebombt wurde, nahm es den Arbeitsalltag nach kürzester Zeit wieder auf. Auch das größte Hochwasser in der Geschichte Hannovers im Jahr 1946 konnte den Betrieb nicht lange stoppen.

Jetzt steht die Klinik vor einer neuen Herausforderung. Bereits seit 2006 ist sie Bestandteil der „Diakonische Dienste Hannover gGmbH“ - mit rund 4.300 Beschäftigten und einem jährlichen Umsatz von rund 330 Millionen Euro der größte Diakonie-Konzern in Niedersachsen.

Mit einer neuen Konzernstrategie will die Unternehmensgruppe nun nach mehreren Jahren mit Verlusten wieder schwarze Zahlen schreiben. Dabei sollen das Friederikenstift, die Henriettenstiftung und das Annastift bis 2017 zu einem einheitlich geführten Großkrankenhaus an drei Standorten zusammengeführt werden.

Für Pfleger Matthias Redder ist das Stift im Laufe der Jahre zu einem Stück Heimat geworden. Vor einem Vierteljahrhundert machte der 46-Jährige dort seine Ausbildung - und blieb. Vergangenes Jahr wurde er zum außerordentlichen Mitglied der Friederiken gewählt. „Die Schwesternschaft ist eine starke Gemeinschaft“, sagt er.

Dass Redder mit nur einem anderen männlichen Kollegen allein unter Frauen ist, stört ihn nicht. Im Pflegeberuf sei das schließlich nichts Neues. Eine Tracht habe er als außerordentliches Mitglied nicht, aber bei der Arbeit trage er die Brosche, sagt er. „Wenn ich schon beigetreten bin, soll man das ja auch sehen.“

Leonore Kratz (epd)

Predigt im Festgotteddienst

„Zum 175. Mal denken Sie in diesem Jahr an diese Gründungszeit, aus der die Friederikenschwesternschaft hervorging, eine der ältesten Schwesternschaften in Deutschland. Im Gegensatz zu vielen anderen Gemeinschaften kommen bei Ihnen immer neue Schwestern dazu. Dass Sie in diesem Jahr auch zwei Männer aufgenommen haben, zeugt davon, wie gut Tradition und Moderne bei Ihnen zusammengefunden haben. Heute, am Erntedanksonntag, blicken wir zurück auf die Jahre einer evangelischen Dienstgemeinschaft. Eine Dienstgemeinschaft, die momentan in beunruhigenden Zeiten lebt. (...) Enorme Anstrengungen prägen die Arbeit auf allen Ebenen, um zusammen zu kommen und ein ökonomisch stabiles Fundament zu schaffen, auf dem gemeinsam weiter aufgebaut werden kann. Ein Veränderungsprozess, der Kraft und Vertrauen kostet. Der öffentlich beobachtet und auch mit kritischen Blicken begleitet wird.“
Landesbischof Ralf Meister
„Wenn wir zum Jubiläum Gottesdienst feiern, erinnern wir an die Kraft, die diese Frauen bewegt hat. Sie sind aufgebrochen im Vertrauen, dass wir beauftragt sind und Gott Stärke genug gibt den Unvermögenden. Ohne den Geist Gottes geht gar nichts! Unser Tun in der Kirche und Diakonie ist nicht zuerst gerechtfertigt durch Effizienz. Auch wenn jedes Qualitätsmanagement etwas anderes behauptet. Das sind zwei Wahrheiten, die sie miteinander aushalten müssen.“
Landesbischof Ralf Meister
„ Es ist die Zeit zu fragen, was wir nicht tun und haben dürfen. Was ist das Maß? Was brauchen diakonische Dienste und was nicht? Was dürfen sie und was nicht? Diese Fragen sind keine existenzverhinderten Beschränkungen, sondern der Ruf in eine größere Unabhängigkeit. Die Gebote und Verbote Gottes schützen unsere Freiheit und unsere Würde. Das in heutige Veränderungsprozesse einzusprechen ist unsere christliche Pflicht. In diakonischen Kliniken müssen Fragen behandelt werden, die in anderen Einrichtungen nicht einmal als Fragen mehr identifiziert werden. Fragen, die auch über die Grenzen der Möglichkeiten gestellt werden. Gott hat uns endlich geschaffen. Er weiß um unsere Schuld, er kennt unser Versagen. Welche Grenzen, ja, auch welche Begrenzungen lassen wir zu? Am Anfang des werdenden Lebens und am Ende?“
Landesbischof Ralf Meister