Startseite Archiv Tagesthema vom 14. August 2015

Auf dem Rathausmarkt

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Auf dem Hamburger Rathausmarkt steht ein Mann, der die Aufmerksamkeit der Passanten auf sich zieht. Er hat ein großes, etwa zwei Meter hohes Holzkreuz aufgestellt. Er geht immer um dieses Kreuz herum. Und er hat eine Bibel in der Hand. Er liest vor, sehr laut. Das weckt auch meine Aufmerksamkeit. Er liest einen Text aus der Offenbarung des Johannes. Es geht um Engel, um Verdammnis und Tod. Eine kleine Schar von Passanten ist stehengeblieben. Ein Mädchen sagt: „Komm, lasst uns mal schauen, was da los ist. Da führt einer was auf.“ Die jungen Leute halten gebührenden Abstand und schauen teils fasziniert und teils verständnislos auf dieses Spektakel.

Der Redner klappt seine Bibel zu und beginnt frei zu sprechen. Er predigt über die Bosheit und Verderbtheit der Welt. Er faltet demonstrativ die Hände zum Himmel und beginnt sein Gebet: „Herr, erlöse uns von der Verdammnis und von der Bosheit der Menschen. Nur Hurerei und Geld. Bestrafe all die verblendeten Menschen mit dem ewigen Feuer.“

Eine ältere Frau fragt den Prediger: „Ja, wer sind Sie denn, dass Sie hier so reden?“ Antwort: „Ich bin von Gottes Wort ergriffen, und ich bin erlöst! Halleluja! Amen! Und Gott möge geben, dass Ihnen auch die Augen geöffnet werden. Halleluja!“ Damit ist das kurze Gespräch beendet. Viele gehen weiter, einige schmunzeln. Und von den jungen Leuten höre ich noch ein paar Wortfetzen: „Ziemlich cool, aber mal in Echt: die Kirchenleute spinnen doch alle!“

Am liebsten hätte ich mich in dieses Gespräch der Jugendlichen eingemischt. Ich hätte gerne erklärt: „Das ist ganz sicher kein Herr von unserer Landeskirche. Er repräsentiert ganz sicher nicht die Meinung der Mehrheit der Christen, ganz gleich welcher Konfession. Diese Art des Auftretens ist uns fremd.“ Ich habe es dann doch gelassen und bin weitergegangen.

Was hat mich daran gestört? Warum sind die Jugendlichen zu ihrem drastischen Urteil gekommen? War es der Inhalt der Rede oder war es nur die Form? Denn eigentlich ist doch nichts dagegen zu sagen, dass Christen in öffentlicher Rede ihren Glauben bezeugen. Paulus hat auch schon davon gesprochen, dass die Christen auf die Marktplätze gehen sollen. Die alttestamentlichen Propheten hätten vielleicht sogar eine ähnliche Wortwahl benutzt.

Die Antwort finden wir im Lukasevangelium. Jesus hat sich dazu geäußert mit einem Gleichnis. Zwei Männer gehen in den Tempel, um zu beten. Der eine tut das öffentlich. Alle können und sollen ihm zuschauen und zuhören. „Ich danke Dir, Gott, dass ich nicht so bin wie die anderen…“. Der Pharisäer hat offenbar eine sehr hohe Meinung von sich selber, und er ist es gewohnt, von anderen bewundert zu werden für seine Frömmigkeit. Er scheint das zu genießen. Der andere, ein Zöllner, stand ferne, wahrscheinlich ohne Publikum: „Gott, sei mir gnädig.“

Es ist ganz einfach: „Wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden“, so die Worte Jesu. Das spüren die Menschen auch heute. Wer sich selbst erhöht und auf andere herabblickt, wird zum „Star“, aber er wird damit nicht automatisch glaubwürdiger.

Von Martin Luther sind als letzte Worte seines Lebens überliefert: „Wir sind Bettler. Das ist wahr.“

Uwe Junge

Der Text

Jesus sagte zu einigen, die sich anmaßten, fromm zu sein, und verachteten die anderen, dies Gleichnis: „Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel, um zu beten, der eine ein Pharisäer, der andere ein Zöllner. Der Pharisäer stand für sich und betete so: Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die andern Leute, Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner. Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme. Der Zöllner aber stand ferne, wollte auch die Augen nicht aufheben zum Himmel, sondern schlug an seine Brust und sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig! Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, nicht jener. Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.“

Lukas 18, 9-14

Der Autor

Uwe Junge ist Pastor in Grünendeich und Hollern-Twielenfleth.