In den ersten Jahren werden Schiffbrüchige zunächst mit Ruderbooten und Raketen geborgen, mit denen in Küstennähe eine Leine vom Strand zum verunglückten Schiff geschossen wird. Das sieht heute ganz anders aus: Allein die Reichweite der „Hermann Rudolf Meyer“ reicht von der stark befahrenen Außenweser bis in die Deutsche Bucht. „Wir haben hier die größten Containerschiffe der Welt, aber auch Freizeitskipper mit ihren Segelbooten“, sagt Vormann Brensing (55). Heute gibt sich das Revier des „Dampfers“ - wie die Crew ihre „Hermann Rudolf Meyer“ liebevoll nennt - außerordentlich zahm: Die Sonne strahlt, silbern glitzern die Wellen.
Mit Brensing sind auf der Station Bremerhaven neun Seenotretter fest angestellt. Vier von ihnen leben und arbeiten rund um die Uhr an Bord, 14 Tage lang. Eine Männer-WG auf Zeit. Anschließend haben sie genauso lange frei. Jede Woche wechselt jeweils die Hälfte der Besatzung. „Damit jeder mal mit jedem arbeitet“, sagt der Erste Maschinist Stev Klöckner (48). Im Ernstfall müssen sich alle aufeinander verlassen können.
Das fällt heute nicht schwer, denn die Tour bleibt ruhig. Mit langsamer Fahrt schiebt sich der Rettungskreuzer an riesigen Containerfrachtern der dänischen Maersk-Reederei vorbei, die an der kilometerlangen Bremerhavener Stromkaje von gewaltigen Portalkränen entladen werden. Nur die überall an Bord installierten Handläufe lassen erahnen, was los ist, wenn sich die „Hermann Rudolf Meyer“ bei Orkan durch Wasserberge pflügen muss.
„Bei drei, vier Meter Wellengang steht hier alles Kopf“, sagt Horst Danckert, „dann wird die Schwerkraft aufgelöst“. Der 73-Jährige fährt als Ehrenamtlicher mit. Auch er war bis zur Pensionsgrenze bei der DGzRS fest angestellt und gehört nun zu den etwa 800 Freiwilligen, die zusammen mit 180 Hauptamtlichen jährlich mehr als 2.000 Einsätze in Nord- und Ostsee stemmen. Dabei wurden allein im vergangenen Jahr 768 Menschen gerettet oder aus gefährlichen Situationen befreit. Seit Gründung der DGzRS sind es etwa 82.000.
„Wenn die Maschine ausfällt oder das Segel unklar ist und das Boot in die Fahrrinne der großen Pötte treibt, kann sich eine zunächst harmlose Situation schnell dramatisch entwickeln“, beschreibt Maschinist Wilm Willms (49). „Das ist besonders in den Sommermonaten unser tägliches Geschäft.“
In dieser Woche ist Willms nicht nur Seenotretter, sondern an Bord auch für das Essen zuständig. Schnitzel mit Kartoffelsalat, würziges Curry, Labskaus, Spaghetti Bolognese, am Sonntag Schweinebraten mit Rosmarin-Kartoffeln und Rotkohl - in der knapp zwei Quadratmeter kleinen Kombüse bereitet „Smutje“ Wilms das zu, was sich die WG wünscht. „Fünf Gänge gehen auch auf kleinstem Raum, das liegt nur am Willen“, sagt Danckert und lacht.
Am Mittag ankert die Crew in respektvollem Abstand zur Fahrrinne, immer mit einem Ohr am Funkverkehr. Die Seenotleitung der DGzRS-Zentrale in Bremen überwacht rund um die Uhr die internationalen Notruffrequenzen. Im Ernstfall kann die Besatzung der „Hermann Rudolf Meyer“ sofort starten. Das gilt auch für weitere 19 Kreuzer, die an Nord- und Ostsee stationiert sind und von 40 kleineren Rettungsbooten unterstützt werden. Sie verteilen sich auf 54 Stationen von Borkum bis Usedom - einer Küstenlinie, die in etwa der Entfernung von Berlin bis Nordgrönland entspricht.