Startseite Archiv Tagesthema vom 18. Februar 2015

„Du bist schön!“

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Langsam neigt sich der Rollstuhl nach hinten. Noch ein Stückchen, und noch ein paar Zentimeter. Dem Zuschauer schießen die Schweißperlen auf die Stirn: Halt, das kippt doch gleich! Doch es geht alles gut. Im kräftigen Ausfallschritt hält Hanna Lässig ihre Partnerin Kassandra Ruhm, die sich zur Tangomusik mit ihrem Rollstuhl nach hinten fallen lässt. So, als ob das gar nichts wäre. Die Szene ist Teil eines inklusiven Tanzprojektes: „bunter umso schöner tanzen“.

„Egal ob behindert oder nicht - wir wollen aus unseren Besonderheiten Kunst machen, uns zusammen bewegen und Spaß haben“, sagt die Bremerin Kassandra Ruhm und betont den treibenden Gedanken des Projektes: „Jeder Körper ist schön so wie er ist.“ Ob man nun jung oder alt ist, dick oder dünn, seit 15 Jahren Ballett oder Modern Dance trainiert, Rugby spielt oder nur einen Finger bewegen kann - die 44-jährige Künstlerin und Psychologin hat eine Methode entwickelt, nach der alle Menschen gemeinsam tanzen können.

Das Projekt könnte die Blaupause für die diesjährige Fastenkampagne „7 Wochen Ohne“ der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) sein. „Du bist schön! Sieben Wochen ohne Runtermachen“ lautet das Motto der Aktion, an der sich nach Schätzungen der Organisatoren zwischen Aschermittwoch und Ostersonntag bundesweit rund drei Millionen Menschen beteiligen werden. „Wir wollen dazu ermutigen, das Unverwechselbare zu entdecken und wertzuschätzen,“ sagt Geschäftsführer Arnd Brummer.

Die Kampagne will eine Kraft mobilisieren, die sich gegen den allgegenwärtigen Optimierungsdrang in der Gesellschaft stemmt. Zum Beispiel beim Blick auf den eigenen Körper: Könnte die Nase nicht gerader, der Busen nicht größer, der Bizeps nicht trainierter sein? Die Haut straffer, die Haare strahlender? Es gibt kaum mehr eine Körperzone, die nicht für Optimierung infrage käme. „Die Lebenserfahrung aber zeigt, dass es das Eigenwillige und das Besondere ist, das wir ins Herz schließen,“ sagt Brummer.

Begleitet von einem Fastenkalender, Fastengruppen, Facebook-Dialog, Mitmachaktionen und eigener App ermutigt die Aktion deshalb, die Schönheit zu suchen, zu würdigen und zu feiern - vor allem da, wo sie sich nicht herausputzt und in Pose wirft. „Es kommt darauf an, zu sich selber zu stehen und sich zu mögen, wie einen der liebe Gott gemacht hat und wie man sich nun mal entwickelt,“ beschreibt es die Kuratoriumsvorsitzende der Fastenkampagne und Münchner Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler. „Ob man jetzt Falten kriegt, ein Bäuchlein oder graue Haare, ganz gleich.“

Wer das schafft, entlastet sich, davon ist die evangelische Theologin überzeugt. „Es ist doch ein irrer Stress, immer toll sein zu wollen.“

Kassandra Ruhm wirbelt im Rollstuhl über das Parkett. In immer schnelleren Pirouetten, die ihren Seidenschal fliegen lassen, unter dem Arm ihrer Partnerin hindurch. „Vielfalt macht das Leben bunter“, sagt die Künstlerin und ergänzt, noch etwas atemlos von den letzten Drehungen: „Zum Leben und zum Glücklichsein ist es nicht nötig, in Normen zu passen.“

Wer immerzu damit beschäftigt ist, perfekt zu denken und zu handeln, lebt nach Auffassung der Organisatoren der Fastenkampagne in ständiger Angst. Ständig perfekt sein zu wollen, das koste auch Zeit, warnt Breit-Keßler. „In der Zeit kann ich doch locker einfach leben und meine Energie für etwas anderes verwenden. Für etwas, das mir Spaß macht. Oder ich entdecke das Schöne in anderen.“

Wer sich und andere nicht runtermachen wolle, müsse sein „Selbstmitgefühl“ stärken, empfiehlt die Münchner Psychologin und Psychotherapeutin Christine Brähler. „Um echtes Mitgefühl für andere entwickeln zu können, brauche ich ein Fundament.“ Fürsorge für andere, verdeutlicht die Expertin, bedarf der Fürsorge für sich selbst.

Um zu lernen, wie man der gnadenlosen Selbstverurteilung, der Grübelei über die eigenen Unzulänglichkeiten entfliehen kann, organisiert sie Kurse und Seminare zu Achtsamkeit, Verbundenheit und Freundlichkeit zu sich selbst. Teilnehmer üben beispielsweise, wie sie eine „Selbstmitgefühlspause“ einlegen oder einen mitfühlenden Brief an sich selbst schreiben. „Selbstmitgefühl zu üben, das ist kein egoistischer Akt, sondern gut für alle um uns herum,“ betont Brähler.

Auch den Hamburger Literaturwissenschaftler Rainer Moritz nervt „der Tanz um Optimierung und Selbstoptimierung“. Er hat ein Buch geschrieben, das inhaltlich das Thema der Fastenkampagne aufnimmt. Im Streben, immer noch perfekter sein zu wollen, wittert er eine Pervertierung protestantischen Pflichtbewusstseins. Im biblischen Sinne wunderbar zu sein, das heiße nicht perfekt zu sein, urteilt er. Sondern mit sich selbst klarzukommen, hinzunehmen, dass man so und nicht anders ist: „Mängel habe ich genug, Mängel sehe ich an anderen genug. Doch es hilft nicht, tagtäglich Mängelwirtschaft zu betreiben.“

Dieter Sell (epd)

Die Debatte, wie weit Satire gehen darf, dreht sich nach Ansicht der Direktorin des Deutschen Museums für Karikatur und Zeichenkunst, Gisela Vetter-Liebenow, zu selten um Bilder und Karikaturen. „Wir reden über Verbote und Gesetze. Wir schauen uns die Zeichnungen aber gar nicht an“, sagte sie beim Aschermittwoch der Künste zum Thema „Bild.Kritik“ in Hannover.

Viele Menschen hadern mit sich

Schön und gut gehört zusammen“, sagt Professor Hans-Robert Metelmann, Professor für Gesichtschirurgie an der Universität Greifswald. Dahinter stecke die Vorstellung, „wer schön ist, muss ein guter Mensch sein, hässliches Aussehen wird dagegen schneller mit einem bösen Charakter verbunden“, erklärt der Mediziner und nennt ein Beispiel: „Denken Sie an die heilige Maria – sie wird immer als wunderschön dargestellt, eine Hexe ist immer hässlich.“

Die Vorstellung von „schön und gut“ hat eine lange kulturgeschichtliche Tradition. „Unser heutiges Wort Kosmetik stammt von dem griechischen Begriff kósmos ab“, so Metelmann. Kósmos bedeutet zunächst schlicht Ordnung. Doch für die Griechen der Antike bedeutete „kósmos“ gleichzeitig auch Zierde, Verzierung. Für sie waren Ordnung und Schönheit dasselbe.

Fasten ist vielfältig

Der hannoversche Landesbischof Ralf Meister sieht in der traditionellen Fastenzeit eine Chance zur Selbstprüfung und zum Neuanfang. „Der Verzicht auf Speisen und Getränke wie Fleisch und Wein oder auch auf den Fernsehkonsum ist ein Zeichen der Besinnung,“ sagte er im Interview mit der „Neuen Presse“ in Hannover. „In dieser Zeit denken viele Gläubige an das Leiden und Sterben Jesu und nehmen sich mehr Zeit für Ruhe und Gebet.“

Der Verzicht unterbreche den Alltag und zeige dem Fastenden, dass er sein Leben auch anders führen könne, sagte der evangelische Bischof. Er selbst und seine Familie verzichteten in diesem Jahr auf Fleisch. In der heutigen Zeit gebe es aber eine Vielfalt an Formen, das Fasten in den sieben Wochen vor Ostern zu begehen.

Dazu gehöre zum Beispiel die Aktion der evangelischen Kirche „7 Wochen ohne“. Unter dem Motto „Du bis schön!“ gehe es dabei in diesem Jahr darum, andere und sich selbst nicht runterzumachen, erläuterte Meister: „Ich denke, dass jeder für sich ein ganz gutes Gespür dafür hat, welcher Verzicht ihm für eine Weile guttäte.“

epd