Startseite Archiv Tagesthema vom 18. Januar 2015

Gespräche bei Mezze und Gebäck

Die vollständige Darstellung von Archivmeldungen befindet sich noch im Aufbau. Schauen Sie in Kürze noch mal vorbei!

Der frühere Bundespräsident hat die Schuhe aus und nach Sitte des Hauses Pantoffeln angezogen. Christian Wulff ist zum familiären Essen bei der muslimischen Unternehmerfamilie Varol in Hannover zu Gast. Auch Freunde mit deutschen und türkischen Wurzeln und die drei ältesten Kinder sitzen mit am Tisch. Wulff unterstützt die muslimische Hilfsorganisation „Islamic Relief“. Sie ruft noch bis Anfang Februar Muslime und andere dazu auf, einander einzuladen und dabei Spenden für Waisenkinder im palästinensischen Gaza zu sammeln.

Das gemeinsame Essen soll Vorurteile abbauen helfen. Christian Wulff unterstreicht die Bedeutung solcher Alltagsbegegnungen. So etwas müsse es öfter geben, sagt er, während die türkischen Vorspeisen „Mezze“ gereicht werden. „Da müssen wir wahnsinnig viel mehr tun.“ Der ehemalige Bundespräsidenten stellt vor allem Fragen an die Gastgeber. Darf Tochter Merve (12) in der Schule am Schwimmunterricht teilnehmen?

Mutter Meriyem Varol erzählt, dass sie Bedenken gehabt hat, wegen des Schwimmunterrichts. „Der Lehrer hat gesagt, sie muss mitmachen, aber es gibt einen Ganzkörperanzug, den sie tragen kann.“ Dies sei für alle ein guter Kompromiss. Die Klasse sei darauf gut vorbereitet worden. „Und Merve hat das Selbstbewusstsein.“ Es gebe gegenseitige Rücksicht.

Dass es keine Einbahnstraße sein darf, wenn Menschen aufeinander zugehen, darüber sind sich alle am Tisch einig. „Ich interessiere mich für die deutsche Geschichte und andere Religionen,“ sagt Aris Karagöl, der in Hannover eine Kfz-Werkstatt betreibt. „Ich erwarte aber auch, dass man sich mit meiner Religion wenigstens ein bisschen auskennt.“ Bei seinen Kunden erlebe er oft Ahnungslosigkeit, etwa wenn es um den Fastenmonat Ramadan geht.

Noch bevor zum Dessert süßes Gebäck aufgetragen wird, ist die Runde bei aktuell brennenden Themen, wie den Reaktionen auf das Attentat in Paris, bei dem sich die Täter auf den Islam berufen haben. „Ich kriege einen Wutanfall, wenn Leute sagen, das ist der Islam,“ sagt Karagöl: „Das ist nicht der Islam, ich darf im Islam nicht töten.“

Johannes Köster, ebenfalls ein Freund der Familie Varol, fragt allerdings an, ob die Karikaturisten der französischen Zeitschrift „Charlie Hebdo“ zu weit gegangen seien. Es müsse mehr Respekt vor religiösen Überzeugungen geben, finden manche in der Runde. Wulff sieht das anders. „Jeder kann glauben, was er will,“ sagt er. „Aber auch jeder kann darüber Witze machen.“ Die im Grundgesetz garantierte Meinungs- und Pressefreiheit sei ein hohes Gut, das er trotz eigener negativer Erfahrungen mit der Presse hochhalte.

Die Mitte der Gesellschaft müsse zusammenstehen, fordert der frühere Bundespräsident. Die Kundgebung von Millionen Menschen, darunter vielen Staatsführern, am Sonntag in Paris sei dafür ein hoffnungsvolles Signal gewesen. Im Kleinen seien es auch Begegnungen wie das gemeinsame Essen in Hannover. Der Islam sei vielfältig, dafür stünden auch Hilfsorganisationen wie „Islamic Relief“. „Dass davon mehr Notiz genommen wird, ist mir ein Anliegen.“ Bei der vergangenen Aktion zugunsten von Waisenkindern in Syrien brachten rund 5.000 Teilnehmer nach Angaben von „Islamic Relief“ insgesamt 100.000 Euro auf.

Karen Miether, epd

Jeder kann Gastgeber sein

Die muslimische Hilfsorganisation „Islamic“ ruft noch bis zum 2. Februar 2015 zur Teilnahme der Benefizaktion „Speisen für Waisen“ auf. Bundesweit organisieren muslimische und nichtmuslimische Gastgeber dabei Essenseinladungen und bitten um Spenden. Der Erlös der dritten Aktion dieser Art geht an Waisenkinder im palästinischen Gaza.

Zu den weiteren prominenten Unterstützern der Aktion zählen die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), und der Osnabrücker Islamwissenschaftler Bülent Ucar.

Gerade jetzt sei es wichtig, Menschen unterschiedlicher Religion und Herkunft zusammenzubringen, betonte der Geschäftsführer Tarek Abdelalem: „Daher rufen wir alle Menschen in unserem Land auf: Laden Sie Verwandte und Freunde egal welcher Herkunft und Religion zum Essen ein. Engagieren Sie sich gemeinsam für Kinder in Not und tragen Sie dazu bei, hartnäckige Ressentiments abzubauen.“

Die Erlöse kommen dieses Mal vor allem traumatisierten Kindern in Gaza zugute, die im Krieg ihre Eltern verloren haben und psychologische Hilfe brauchen, hieß es. Bei der vergangenen Aktion zugunsten von Waisenkindern in Syrien brachten die 5.000 Teilnehmer den Angaben zufolge insgesamt 100.000 Euro auf. Für Muslime sei das Wohlergehen von Waisenkindern eine besondere Verpflichtung, erklärte "Islamic Relief".

2014 ging der Deutsche Fundraising Preis in der Kategorie „Beste Innovation“ an die Kampagne „Speisen für Waisen“ von Islamic Relief Deutschland.

Ein fruchtbarer Austausch

 „Mit ‚Speisen für Waisen‘ möchten wir Menschen verschiedener Religionen und Herkünfte zusammenbringen und sie zum fruchtbaren Austausch, aber auch zum Spenden für einen guten Zweck motivieren. Eine Brücke zu bilden sowohl zwischen den verschiedenen Teilnehmern untereinander als auch zu den traumatisierten Kindern in Gaza – das ist eines der Ziele der Aktion. Wir freuen uns, dass diese Idee bisher so regen Anklang gefunden hat.“

Tasnim El-Naggar von Islamic Relief über die Kampagne