Startseite Archiv Nachricht vom 04. Mai 2023

EEB-Netzwerktreffen: Wege zu einer enkelfähigen Gesellschaft

Zukunftsforscher Grabmeier und EKD-Ratsvorsitzende Kurschus geben Impulse

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Hannover. „Krisenzeiten sind Zeiten der Kreativität“, sagt der Zukunftsforscher Stephan Grabmeier. Was für manche vielleicht beschönigend klingen mag, ist für ihn nüchtern betrachtet ein Fakt: „Wir werden gezwungen, uns Gedanken zu machen und zu fokussieren.“ Grabmeier war einer der Impulsgeber beim Netzwerktreffen der Evangelischen Erwachsenenbildung Niedersachsen (EEB) im Stephansstift in Hannover, das unter dem Motto „Klima wandeln!“ stand. Weitere prominente Gäste waren die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus und der Niedersächsische Wissenschaftsminister Falko Mohrs.

Um Krisen bewältigen zu können, bedürfe es positiver Kipppunkte, so Grabmeier. Kipppunkte sind unumkehrbar. In der Klimadebatte werden sie deshalb mit Sorge gesehen. Doch man könne den Begriff auch positiv füllen, erläuterte der Berater und Buchautor aus Bonn. Etwa wenn regenerative Energien günstiger seien als fossile. Der größte Hebel seien für ihn die Finanzmärkte. Wenn hier ein Umdenken einsetzen würde, wäre viel gewonnen. „Der fossile Kapitalismus muss überwunden werden“, fordert Grabmeier. Es sei zu wenig, wenn das Wirtschaftssystem keinen Schaden anrichtet, also „klimaneutral“ sei. Nötig sei eine „regenerative“ Wirtschaft, die einen Mehrwert für die Natur schafft.

Stephan Grabmeier warb dafür, die Zukunft weniger vom Status Quo aus zu betrachten, sondern als Imagination: Was können und wollen wir uns vorstellen? Was können wir verändern, um es zu erreichen? Sein Leitsatz: Unser Handeln und Wirtschaften müsse „enkelfähig“ sein.

Das Motto des EEB-Netzwerktreffens sollte einerseits den menschengemachten Klimawandel in den Blick nehmen, andererseits auch das rauer werdende soziale Klima, wie EEB-Geschäftsführerin Ulrike Koertge in ihrer Begrüßung erläuterte. Letzteres hatte sich Annette Kurschus auf die Fahnen geschrieben. Die EKD-Ratsvorsitzende und Präses (leitende Theologin) der Evangelischen Kirche von Westfalen zitierte aus der Studie „Zwischen Nächstenliebe und Abgrenzung“, in der es um die Einstellungen von Kirchenmitgliedern geht.

Die Evangelische Kirche sei großartig, führte sie mit ironischem Unterton aus: „Da hat man gleich drei Frauen an der Spitze, da gibt es keinen Antisemitismus und gleichgeschlechtliche Liebe gilt als Gottesgeschenk. Da sieht man in jedem Fremden das Angesicht Jesu Christi und liebt den Mitmenschen wie sich selbst – wenn nur die Mitglieder nicht wären.“ Die nämlich fänden Juden nicht ganz geheuer, stießen sich an Schwulen, hielten die Genderdebatte für Kokolores und posteten auch gern mal die eine oder andere Hass-Mail. Die Kirchenmitglieder seien ein Spiegelbild der Gesellschaft. „Wir sind nicht besser als die anderen“, resümierte Kurschus. „Wir sind aber auch nicht schlimmer; wer das befürchtet hatte, kann aufatmen.“

Wobei das in kirchlichen Kreisen beliebte „Wir“ kein unschuldiges Wort sei, so die Ratsvorsitzende. Es klinge inklusiv, sei aber auch eine Vokabel des Ausschließens, zudem ideologieanfällig und ein Lieblingswort des Populismus. „Allein dass jemand Mitglied unserer Gemeinde ist, bewahrt ihn nicht davor, nach rechts abzudriften.“ Und jene Mitglieder, die für Populismus empfänglich seien, „fühlen sich von dem, was sie in ihrer Kirche hören, nicht so gestört, dass sie deswegen austreten. Sie bleiben. Es gäbe bessere Nachrichten.“

Andererseits wäre es noch schlechter, wenn diese Menschen in Parallelwelten auswanderten und gar nicht mehr erreichbar seien. Sie bemerke eine schwindende Bereitschaft, Differenzen und Vielfalt auszuhalten, sagte Kurschus. Dies gelte oft und gerade für Hochverbundene und Engagierte. „Jedes noch so banale Ärgernis kann zum Kirchenaustrittsgrund werden.“

Für das rauer werdende soziale Klima hatte die Theologin drei Erklärungsmodelle. Das Abdriften in Extrempositionen könne Folge einer Kränkung sein. Das Versprechen von Selbstbestimmung und Mündigkeit treffe in einer immer komplexer werden Welt auf die Erfahrung einer zunehmenden Machtlosigkeit. Für andere bedeute eine Gesellschaft im permanenten Krisenmodus eine Überforderung. Und wieder andere fühlten sich durch eine ständige Beschleunigung abgehängt. Die Gesellschaft müsse immer mehr Energie aufwenden, nur um das Bestehende zu erhalten. All dies könne zu negativen Affekten wie Scham, Zorn und Ressentiment führen.

Was kann die Kirche dem entgegensetzen? Sie könne den Menschen „ein Mehr an Hoffnung“ aufzeigen, so Kurschus. „Gott sei Dank hängt nicht alles an uns.“ Diese Zusage helfe, „das Oberlicht zum Himmel offenzuhalten“, damit die Menschen aufrecht bleiben können.

Für Falko Mohrs nimmt die Evangelische Erwachsenenbildung hier eine Schlüsselrolle ein. „Wir müssen die Gesellschaft stabiler gegen Populisten machen, die die Gesellschaft spalten wollen“, sagte der Niedersächsische Minister für Wissenschaft und Kultur. Die Herausforderungen würden durch eine Zunahme der Zuwanderung nicht kleiner. Es sei angesichts einer hohen Veränderungsgeschwindigkeit wichtig, ein Ziel zu haben, aber die Gesellschaft nicht zu überfordern, sagte der Politiker, der eine prägende Zeit im Verband Christlicher Pfadfinderinnen und Pfadfinder (VCP) erlebt hat.

Bischof Thomas Adomeit, Ratsvorsitzender der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen, lobte das Konzept des Netzwerktreffens im vollbesetzten Festsaal des Stephansstifts. „War nicht Jesus auch ein Netzwerker?“, fragte er in die Runde. Dessen Auftrag „Geht in alle Welt, tauft und lehret“ bedeute: Bildet ein Netzwerk!

Zahlreiche Initiativen nutzten die Chance, mit Ständen und bei einem abschließenden Podiumsgespräch auf ihre Arbeit aufmerksam zu machen, darunter die Per-Mertesacker-Stiftung, die sich um benachteiligte Kinder kümmert, das Haus der Religionen in Hannover, Umweltinitiativen und Projekte für Demokratie und gegen Rechtsextremismus.

Lothar Veit / EMA