Startseite Archiv Nachricht vom 20. Juli 2021

Notfallseelsorger: "Mit Nächstenliebe kann man da viel bewegen"

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Tim Kröger ist Pastor und seit 25 Jahren in der Notfall-Seelsorge aktiv, war zum Beispiel beim Zugunglück von Eschede vor Ort. Er koordiniert die Kräfte im Sprengel Hannover, sorgt für ihre Aus- und Fortbildung.

Herr Kröger, auch aus Ihrem Gebiet Garbsen, Neustadt, Wunstorf sind Feuerwehr-Leute nach NRW gefahren, ein Seelsorger hat sie begleitet. Wie ist die Lage dort?
Kröger: „Er hat die Situation als wirklich beeindruckend beschrieben in der Massivität der Zerstörung. So katastrophale Zustände und abgeschnittene Orte hat er noch nicht erlebt. Jetzt herrscht erstmal Aktionismus, alle bemühen sich, aufzuräumen und das ist für die Bewältigung des Ganzen sicherlich auch gut. Ich denke, der seelsorgerliche Bedarf wird nochmal in ein bis zwei Wochen kommen, wenn die körperlichen Kräfte sich erschöpfen und den Menschen bewusst wird, was da eigentlich passiert ist. Auch die, die sich retten konnten, haben ja teils lebensbedrohliche Lagen erlebt – das wird verarbeitet werden wollen. Und: Die Menschen sind dankbar für die Hilfsangebote, die aus allen Teilen Deutschlands kommen."

Über hundert Menschen sind gestorben, viele werden noch vermisst, viele haben ihre Häuser mit all ihrem Hab und Gut verloren. Wie kann man bei so viel Leid trösten?
Kröger: „Das erste ist, den Betroffenen einfach zuzuhören, da zu sein und ihnen einen Schutzraum zu geben, damit sie aus der Gefahrensituation herauskommen. Wenn man ihnen Gehör gibt und das Gefühl, dass da jemand ist, dann ist das schon sehr viel. In der Regel reicht das schon, um die körpereigenen Abwehrmechanismen in Gang zu setzen. Bei Bedarf können dann später andere Organisationen die weitere Begleitung übernehmen, da ist die Kirche gut vernetzt.“

Das klingt einfach: zuhören und da sein. Das hilft schon?
Kröger: „Ja, tatsächlich macht das einen großen Unterschied. Das bestätigen uns auch Therapeuten, wenn sie sich später um traumatisierte Menschen kümmern: Wenn die Patienten direkt vor Ort schon eine seelsorgerliche Begleitung hatten, können sie besser die spätere Therapie annehmen.“

Die Betroffenen sind eine Seite – und wie viel Seelsorge brauchen die Hilfskräfte selbst, Feuerwehr und Co.?
Kröger: „Das ist unterschiedlich, aber auch für sie sind wir da. Es gibt nach solchen Einsätzen immer Supervisionen, in denen über das Erlebte gesprochen wird und wo wir checken, ob alle damit zurechtkommen. Das ist zum Beispiel bei schweren Verkehrsunfällen nicht anders, auch da kann es belastende Bilder zu sehen geben. Die Einsatzkräfte sind da sehr dankbar für. Übrigens auch für die praktischen Handgriffe: Dass jemand die Scham der Opfer verdeckt, mit ihnen respektvoll umgeht und so weiter - das tröstet die Einsatzkräfte vor Ort auch schon.“ 

Es gibt auch Ehrenamtliche, die sich freiwillig als Seelsorgende melden und ausbilden lassen. Platt gefragt: Wieso tut man sich das an, dieses Leid so direkt mitzuerleben?
Kröger: „Es ist eine zutiefst erfüllende Aufgabe, Menschen zu begleiten. Die Situation ist hart und brutal – ob das die Überschwemmung ist, ein Verkehrsunfall, ein plötzlicher Kindstod oder ein Suizid vor einem Zug. Das Geheimnis für Seelsorgende ist eine professionelle Distanz: emphatisch sein, ohne sich Hineinziehen zu lassen. Den Menschen so beizustehen ist eine sehr segensreiche Aufgabe, denn die Begleitung ist ein Segen für die Betroffenen und aus unserer Sicht gelebte Nächstenliebe.“

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