Startseite Archiv Tagesthema vom 17. Dezember 2019

"Ich begleite die Soldaten - auch im Krieg"

Militärseelsorger wie Jürgen Stahlhut begleiten Soldaten und Soldatinnen auf ihren Einsätzen. Zu Weihnachten sind sie besonders gefragt.

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„Wenn man in einem Container in Afghanistan sitzt, mehr als 4.000 Kilometer weg von zu Hause, und einem die Raketen nur so um die Ohren fliegen, muss man wissen, warum man das tut.“ Jürgen Stahlhut weiß warum - er hat Situationen wie diese selbst erlebt. Der Militärpfarrer war zweimal im Auslandseinsatz, von 2001 bis 2002 für ein halbes Jahr in Bosnien und von 2006 bis 2007 für vier Monate in Afghanistan, beide Male über Weihnachten. Damals sprach man nicht von Krieg – aber für viele Soldaten fühlte es sich so an.


Als Militärpfarrer hielt Jürgen Stahlhut mit ihnen Gottesdienste, war aber vor allem auch als Seelsorger für die Soldaten da. „Wo die Schafe sind, ist der Hirte“, so fasst er sein Berufsverständnis zusammen. Kein Wenn, kein Aber. Seit November ist er offiziell Pfarrer in der Theodor-Körner-Kaserne Lüneburg. Er wird noch einmal in einen Auslandseinsatz gehen, vielleicht 2021. „Wenn ich es mir aussuchen könnte, würde ich wieder die Weihnachtszeit wählen“, sagt er. „Das ist auch für Pfarrer ein sehr intensives Erlebnis und die Soldaten sind aufgeschlossener, was Religion angeht.“

In Bosnien haben „seine“ Soldaten ein lebendiges Krippenspiel nachgestellt, erzählt er: einen Stall gezimmert, mit einem Soldaten als Jesus in der Krippe und hanfbehangenen lebensgroßen Schafen auf Rollen. „Wenn sie etwas machen, dann mit 200 Prozent“, sagt Stahlhut und lacht. Dabei sei egal, welche Religion jeder einzelne hat: „Ein Einsatz schweißt zusammen. Die Konfessionsgrenzen verschwimmen.“ Manche, die zu Hause nichts mit Kirche zu tun haben, kämen im Einsatz gern in den Gottesdienst und suchten einen Moment der Ruhe. „Manchmal sind von den 300 Soldaten im Lager 80 bis 100 im Gottesdienst – über diese Quote würde man sich in Deutschland sehr freuen."

Was er Soldaten sagt, die zu den Festtagen nicht bei der Familie sein können? Für Stahlhut ist die Weihnachtsbotschaft selbst die zentrale Antwort: Gott wird Mensch. „Das heißt, er teilt auch das Soldatenleben mit uns. In allen Schwierigkeiten, in allen Ängsten und aller Freude. Viel mehr braucht man da eigentlich nicht zu sagen.“ Das ist die theologische Antwort. Die weltliche ist: „Man führt sich vor Augen, warum der Bundestag den Einsatz beschlossen hat und dass man nicht einfach weggucken kann. Man hofft, dass man Kindern durch den Einsatz eine bessere Zukunft ermöglichen kann. Manchmal braucht es einen Einsatz für den Frieden.“

Persönlich hatte Jürgen Stahlhut nie viel mit der Bundeswehr zu tun, Wehrdienst hat er nicht geleistet. Umso überraschter war er, als ihn ein Landessuperintendent  Ende der 90er Jahre für die Stelle des Militärpfarrers in Munster vorschlug. Stahlhut hatte zu der Zeit eine halbe Probedienststelle im Harzvorland. „Ich habe gesagt: ,Haben Sie mal in meinen Lebenslauf gesehen? Wie kommen Sie ausgerechnet auf mich?‘ Aber ich bin dann nach Munster gefahren und war sehr angetan von den besonderen Aufgaben.

Anfangs war er überrascht, mit wie vielen und unterschiedlichen Anliegen die Soldaten zu ihm kommen: familiäre Fragen, Ärger in der Kompanie, Probleme mit der Mietwohnung oder Versetzungswünsche. „Ich bin oft die erste Anlaufstelle, an der sortiert wird, welches Problem wohin gehört und wie es angegangen werden kann“, sagt der 55-Jährige. Deshalb ist nicht nur die Kanzel sein Arbeitsplatz, sondern auch ein Büro in der Kaserne.

Dort steht ein weiches Ledersofa mit Kissen, davor ein Kaffeetisch. Bilder warten noch angehängt zu werden, Kurzhanteln glänzen silbern auf einer Kommode. Auf dem Schreibtisch liegen Papiere und Ordner, im Fenster hängt ein roter Leuchtstern. Den Zaun und die Kasernenbewachung sieht man vom Sofa aus nicht. „Hier können die Soldaten offener reden als in einem normalen Dienstgebäude“, erklärt Stahlhut, der gern und viel zuhört.

Ein Hauptmann betont, dass viele Soldaten froh sind über den neuen Pfarrer – denn nach 15 Jahren hat Lüneburg mit Jürgen Stahlhut wieder einen „eigenen“ Militärseelsorger. Vorher wurde die Kaserne vom Standort Munster aus mitbetreut. „Jetzt ist wieder jemand direkt ansprechbar, isst mit uns in der Kantine und bekommt die Stimmung viel besser mit“, erklärt ein Hauptmann.

Dafür zu sorgen, dass „das Personal nicht zum Material wird“, so versteht Jürgen Stahlhut seine Aufgabe bei der Bundeswehr. In Lüneburg wie im Ausland. „Meine Aufgabe ist die einer kritischen Solidarität mit den Soldaten. Als Mensch bin ich seelsorgerisch für sie da. Aber ich stehe genauso für kritische Gespräche über die Aufgaben als Soldat und Gewissensfragen bereit. Es sind Menschen, keine gewissenlosen Kampfmaschinen.

Christine Warnecke

Was sind Militärpfarrer?

Militärpfarrer sind Pfarrer, die von den landeskirchlichen Diensten freigestellt werden und Bundesbeamte auf Zeit. Sie halten Gottesdienste in Kasernen und in Feldlagern, bieten Seelsorge und unterrichten die Soldaten in ethischer Bildung. Das können schulähnliche Seminare sein oder „Rüstzeiten“ – also Ausflüge, teils auch mit den Angehörigen, auf denen sich die Familien der Soldaten kennenlernen und Diskussionen geführt werden. Derzeit gibt es 104 evangelische und etwa 80 katholische Militärpfarrer und -pfarrerinnen in Deutschland.