Startseite Archiv Tagesthema vom 21. November 2019

"Da liegen tote Menschen"

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Friedhofsführungen für Kinder sollen möglichst früh mit Tod und Trauer vertraut machen

Buntes, Zentimeter dickes Laub raschelt unter den Füßen. Die 20 Kinder halten vor einem schwarz polierten Marmor-Stein. Buchstaben leuchten darauf in Gold. "Weiß einer von euch, was ein Grab ist?", fragt Anja Kretschmer. "Da liegen tote Menschen", antwortet ein sechsjähriger Junge.

Die promovierte Kunsthistorikerin Kretschmer beschäftigt sich seit ihrem Studium mit der Bestattungskultur. Unter dem Motto "Friedhofsgeflüster" bietet die Rostockerin Führungen für Erwachsene in ganz Deutschland an. An diesem Tag führt sie auf dem Stadtfriedhof in Göttingen erstmals Kinder. 

Der Friedhof biete einen guten Ort, um Kinder auch spielerisch an Themen wie Tod und Trauer heranzuführen, sagt Kretschmer. Während der Tour fordert sie die Mädchen und Jungen auf, vor allem auf Details zu achten.

Sie sollen zum Beispiel alle Frauenfiguren zählen, denen sie unterwegs begegnet sind. "Wann stirbt man denn so?", fragt Kretschmer wie nebenbei. "Wenn man ganz, ganz, ganz, ganz, ganz, ganz alt ist", antwortet ein kleiner Junge. "Das stimmt nicht immer", widerspricht das Mädchen neben ihm.

Friedhofsführungen für Kinder gibt es bereits seit 2007 in Stahnsdorf bei Berlin und mittlerweile unter anderem auch in Köln oder Kassel. Seit 2013 bildet das Zentralinstitut für Sepulkralkultur in Kassel einmal jährlich zehn bis 15 Friedhofsverwalter, Pfarrer und Lehrer sowie andere Interessierte aus ganz Deutschland eigens für die Kinderführungen fort.

Solche Angebote vermittelten Kindern, dass Sterben und Trauern natürliche Bestandteile des Lebens sind, sagt Dagmar Kuhle vom Institut. Sich während einer Führung über Gräber, Blumen oder Grabzeichen zu unterhalten, bringe den Kindern bei, über den Tod zu sprechen, wie über anderes auch.

Cordula Caspary, Bestatterin aus Bremen, rät Eltern, frühzeitig damit anzufangen. "Niemand muss vor Trauer beschützt werden", erläutert die ausgebildete Kulturwissenschaftlerin. Trauer sei eine gesunde Reaktion auf Verlust. 

"Was bedeutet es denn, tot zu sein?", fragt Kretschmer die Mädchen und Jungen, die gerade um eine verzierte Grabstätte im Gras hocken und sie aufmerksam inspizieren. "Man muss gar nichts mehr machen", kommt eine Antwort aus der Runde. Die Kinderstimme klingt dabei gönnerhaft, fügt jedoch nach kurzer Pause hinzu: "Man muss aber auch nicht mehr essen und trinken."

Die neunjährige Lea und ihre sechsjährige Schwester Lina sind zum ersten Mal auf einem Friedhof. Zusammen mit der Mutter und Großmutter sind sie eigens dafür aus Nörten-Hardenberg bei Northeim gekommen. Edeltraud, die Mutter, durfte als Kind die Bestattung ihrer Oma nicht besuchen.

"Als mein Opa starb, war ich fast dreißig", erzählt sie. "Es war meine erste Beerdigung und deshalb für mich furchtbar." Sie wolle die zwei Mädchen vor einer derartigen Erfahrung bewahren.

Die 39-Jährige erzählt, dass Lea ihrem Onkel nach seinem plötzlichen Tod im vergangenen Jahr einen Brief schrieb. "Lieber Hans", stand darin: "Ich wünsche dir da, wo du jetzt bist, alles Gute. Und ich hoffe, du hast es auch so gut und schön im Himmel, wie du es hier hattest."

Edeltraud schießen Tränen über die Wangen, während sie frei aus der Erinnerung zitiert. "Und dass die Engel auf dich aufpassen." Die Tante habe sich den Brief eingerahmt.

Cristina Marina (epd)

Lebendige Friedhöfe

Preisgekrönte Biodiversität und würdevolle Grabstätten - in der Kirchengemeinde Meinerdingen im Heidekreis ist das kein Widerspruch. Ein Freiwilligen-Team von 20 Männern und Frauen arbeitet wöchentlich an der Verschönerung des Friedhofs, Verwalterin Siiri Eggers koordiniert deren Arbeit und hilft selbst ehrenamtlich mit. 

Frau Eggers, im November, insbesondere am Ewigkeitssonntag, denken viele Menschen an Verstorbene und besuchen deren Gräber. Warum sind Orte für Trauernde wichtig?

Ein Besuch der Grabstätte bietet die große Chance, wieder getröstet und gesammelt nach Hause zu gehen. Vielleicht auch, weil man andere Menschen getroffen hat, denen es ähnlich geht. Meine Erfahrung ist jedenfalls, dass viele Menschen einen Ort brauchen, den sie regelmäßig besuchen können. Jetzt im November sehen wir noch mehr Kerzen an den Gräbern leuchten. Es kommen mehr Besucherinnen und Besucher - sicher auch, weil sie sich in der dunklen Jahreszeit mehr Gedanken über Ewigkeit und Tod machen.

Sie haben mit vielen Freiwilligen einen Friedhof voller Leben geschaffen: Auf Ihren Beeten wachsen zahlreiche heimische Blühpflanzen, Sträucher und Bäume bieten vielen Insekten und Vögeln Platz. Was sind die wichtigsten Zutaten für einen schönen Friedhof?
Es hilft, eine gewisse Liebe zu den Menschen und dem Ort zu haben. Wir treffen uns wöchentlich mit bis zu 20 Ehrenamtlichen, die ihn pflegen und schön machen. Viele von ihnen haben einen Menschen verloren, dessen Grab auf unserem Friedhof liegt. Es werden in der stetig wachsenden Gruppe aber auch mit viel Spaß und Witz Kontakte gepflegt. Wir geben ihnen dafür Raum und freuen uns über eine positive Einstellung zum Friedhof.  

Wie kommt mehr Leben zu den Toten - und mehr Biodiversität auf die Friedhöfe?
Friedhöfe waren eigentlich immer schon traditionell grün, ein gewisser Erholungscharakter zeichnet die meisten aus. Als kirchlicher Friedhof nehmen wir aber ganz ausdrücklich den Auftrag ernst, die Schöpfung zu bewahren. Auch wenn in vielen Vorgärten inzwischen Kies aufgeschüttet wird. Wir pflanzen selbst lieber so, dass die Bepflanzung näher an der Umwelt ist und beraten Angehörige auch entsprechend: Wie empfehlen und nutzen Stauden, die bienenfreundlich sind. Dazu Totholz-Stapel, Insektenhotels und Nistmöglichkeiten für Vögel. Auf dem Friedhof kann man den Lebenszyklus beobachten: Im Frühjahr die Knospen, die pralle Fülle im Sommer. Und zum Ende des Jahres wartet eben alles auf den Neubeginn. Das ist ein tröstlicher Gedanke, finde ich.
 

Der Friedhof Meinerdingen im Film