Startseite Archiv Tagesthema vom 21. November 2016

Verdrängte Vergangenheit

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Untersuchung der Uni: Nachkriegsrektor Pestel als Student NS-Sympathisant

Der ehemalige Rektor der Technischen Universität Hannover, Eduard Pestel (1914-1988), hat sich Untersuchungen zufolge "während der NS-Zeit in einer aus heutiger Sicht inakzeptablen Weise verhalten". Ausweislich seiner Studenten- und Personalakte in der Hochschule sei er seit 1933 Mitglied des NS-Studentenbundes und der SA gewesen und habe dort auch Funktionen übernommen, teilte die Leibniz-Universität in Hannover am Sonnabend mit. Die Technische Hochschule, an der Pestel von 1935 bis 1938 Bauingenieurwesen studierte, war Vorgänger-Institution der Uni.

In einem Brief an die Technische Hochschule habe er sich zudem antisemitisch geäußert, hieß es. Das Schriftstück fand sich im Universitätsarchiv. Pestel war 1969 und 1970 Rektor der Technischen Hochschule Hannover.

Auf Pestels Initiative hin erfolgte 1982 die Neugründung der von Albert Einstein 1924 gegründeten und während der NS-Zeit verbotenen Deutschen Technion-Gesellschaft. Der Verein fördert seither die wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen deutschen und israelischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Sowohl Universität als auch Technion-Gesellschaft distanzieren sich nun "nachdrücklich" von Pestels Äußerungen.

Bedauerlicherweise habe sich Pestel nie öffentlich von seiner Sympathie für den Nationalsozialismus während der Studienzeit distanziert, hieß es. Seine späteren großen Verdienste um die wissenschaftlichen Beziehungen zu Israel könnten jedoch als bewusste Distanzierung von seinem früheren Verhalten interpretiert werden, erklärten Uni-Präsident Volker Epping und der Vorsitzende der Deutschen Technion-Gesellschaft, Thomas Scheper.

Von 1977 bis 1981 war Eduard Pestel Minister für Wissenschaft und Kunst des Landes Niedersachsen. Er war zunächst parteilos, trat 1978 aber auf Bitte des Ministerpräsidenten Ernst Albrecht in die CDU ein.

Die Erkenntnisse werfen nach Auffassung der amtierenden niedersächsischen Ministerin für Wissenschaft und Kultur, Gabriele Heinen-Kljajic (Grüne) einen "deutlichen Schatten" auf die Persönlichkeit und das Wirken von Pestel. "Man hätte ein ehrliches und klares Bekenntnis des Trägers der 'Max Born-Medaille für Verantwortung in der Wissenschaft' und zentralen Figur im 'Club of Rome' erwarten können", sagte die Ministerin.

epd

"Die Leibniz Universität Hannover hat in den letzten Jahren die Vergangenheit ihrer Vorgänger-Institution, der Technischen Hochschule Hannover, während der NS-Zeit aufgearbeitet. Am Rande dieser Arbeit wurden jetzt auch Unterlagen aus dem Bundesarchiv Berlin und dem Universitätsarchiv Hannover, die Rektoren der Technischen Hochschule Hannover nach der NS-Zeit betreffen, gesichtet und in einer gerade erschienenen Publikation zusammengefasst: M. Jung, Verdrängte Vergangenheit: Nachkriegsrektoren der Technischen Hochschule Hannover in der NS-Zeit. Hannoversche Geschichtsblätter 70 (2016). (...)

(...) Die Untersuchungen zu den Rektoren haben Unterlagen zutage gefördert, die belegen, dass Eduard Pestel sich während der NS-Zeit in einer aus heutiger Sicht inakzeptablen Weise verhalten hat."

Zur Person: Eduard Peste

1914: Eduard Pestel wird am 29. Mai in Hildesheim geboren.

1935-1938: Pestel studiert Bauingenieurwesen an der Technischen Hochschule Hannover.

1956: Professor für Mechanik an der Technischen Universität Hannover.

1966 Delegierter im Nato-Wirtschaftsausschuss.

1968 Mitbegründer des Club of Rome. Er schrieb unter anderem "Menschheit am Wendepunkt" (1974), "Das Deutschlandmodell" (1978), "Unsere Chance heißt Vernunft" (1980) sowie mehr als 150 Einzelveröffentlichungen.

1969-1970: Rektor der Technischen Hochschule Hannover.

1972: Mitentwicklung des "Weltmodells" am Massachusetts Institute of Technology, dem weltweit ersten computergestützten Simulationsmodell der dynamischen Systeme Bevölkerung und Wirtschaft ("The Limits of Growth").

1975: Gründung des "Instituts für angewandte Systemforschung und Prognose e.V." in Hannover, das nach seinem Tod in Pestel-Institut für Systemforschung umbenannt wurde.

1977-1979: Vorsitzender des Kuratoriums der Stiftung Volkswagenwerk.

1977-1981: Niedersächsischer Minister für Wissenschaft und Kunst.

1982: Pestel initiiert die Neugründung der von Albert Einstein 1924 gegründeten und während der NS-Zeit verbotenen Deutschen Technion-Gesellschaft. Der Verein fördert seither die wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen deutschen und israelischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Er bleibt Präsident bis zu seinem Tod.

1988: Pestel stirbt am 19. September in Hannover.

epd