Startseite Archiv Tagesthema vom 14. Dezember 2015

Weltreisender in Sachen Frieden

Der kirchliche Friedensbeauftragte Renke Brahms fordert mehr Mittel für zivile Konfliktbearbeitung und Krisenprävention. Zwar seien die Gelder in diesem Bereich aufgestockt worden, sagte der Beauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und leitende Bremer Theologe dem Evangelischen Pressedienst (epd). Doch politisch und finanziell müsse dieser Ansatz deutlich gestärkt werden, um ohne Gewalt auf Krisen in der Welt reagieren zu können: "Viele Prozesse sind erfolgreich und verdienen deutlich mehr Aufmerksamkeit."

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Gestern war Hagen Berndt noch im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit im nordirakischen Dohuk. Heute verhandelt der 55-jährige Experte des Forums Ziviler Friedensdienst in der Kleinstadt Osterholz-Scharmbeck bei Bremen. Auf dem Landweg liegen die Orte 4.200 Kilometer voneinander entfernt. Und doch haben sie etwas gemeinsam, denn sowohl in der deutschen Kreisstadt als auch in der kurdischen Provinzhauptstadt geht es um zivile Konfliktbearbeitung. Berndt hilft dabei: Ein Weltreisender in Sachen Frieden. Einer, der zuhört und Fragen stellt, die weiter bringen.

Irak, Afghanistan, Indien, Tschad, Sri Lanka, Israel und Palästina, Nepal, Ägypten, Tunesien, Bosnien-Herzegowina: In vielen Krisenregionen der Welt hat der Indologe und Islamwissenschaftler, der neben Englisch auch Hindi, Sinhala und Urdu spricht, schon gearbeitet. Aktuell geht es in der Region um Dohuk um Hunderttausende, die auf der Flucht vor der Terrormiliz Islamischer Staat sowie den Milizen des Assad-Regimes sind und Zuflucht im kurdischen Nordirak suchen. "In einigen Orten gibt es inzwischen mehr Flüchtlinge als Einheimische", berichtet Berndt. Die Stimmung ist gereizt. Die Frage lautet: Wie können gewalttätige Auseinandersetzungen vermieden werden?

In Osterholz-Scharmbeck arbeitet Hagen Berndt seit 2011 in einem sozialen Brennpunkt, einer Siedlung, die ehemals für US-Soldaten gebaut wurde. Nach ihrem Abzug leben dort nun etwa 740 Menschen, mehr als die Hälfte von ihnen mit ausländischen Wurzeln. Drogenhandel und offene Gewalt, auch gegen Polizeibeamte, ließen die Situation im Quartier eskalieren. Berndt entwickelte gemeinsam mit Vertretern der Polizei, der Stadt, des Landkreises und des örtlichen Präventionsrates ein Konzept, um dem zu begegnen.

Dabei geht es in erster Linie um - Gespräche. „Friedensprozesse beginnen mit der Artikulation von lange vernachlässigten Bedürfnissen von Minderheiten - gelegentlich auch von Mehrheiten“, betont Berndt, der zusammen mit Kindern der dänischen Minderheit in Flensburg aufwuchs. Seine Mutter stammt aus Polen, sein Vater aus Stettin. Flucht und Vertreibung in seiner Familie prägten den Mann, der seit mehr als 25 Jahren als Berater und Trainer zur Konfliktbearbeitung für verschiedene Auftraggeber im In- und Ausland unterwegs ist.

Manchmal schaltet er sich auch bei Problemlagen ein, die gar nicht weit weg sind. Zum Beispiel, wenn Berndt Gespräche in Auseinandersetzungen zwischen der Leitung und der Elternvertretung eines Kindergartens moderiert. Oder wenn er die Ziele örtlicher Protestbewegungen gegenüber einer Firma vermittelt, die mit gentechnisch manipulierten Pflanzen experimentiert. Oder in Gesprächen mit der Einsatzleitung der Polizei bei Atomtransporten im Wendland.

Während die Situation im Irak gerade analysiert wird und die Arbeit noch am Anfang steht, hat sie in Osterholz-Scharmbeck längst Früchte getragen. Das zeigte sich vergangenes Jahr, als nach einer Messerattacke ein junger Mann aus der Siedlung starb. Familienmitglieder im Libanon forderten Blutrache, die aber nach vielen Gesprächen verhindert werden konnte. „Das war nur möglich, weil wir über Jahre Kontakte aufgebaut haben“, sagt Berndt, der lange in der „Kurve Wustrow“ gearbeitet hat, einer Bildungs- und Begegnungsstätte für gewaltfreie Aktion nahe Gorleben.

Ein wichtiges Instrument der Prävention in Osterholz-Scharmbeck ist das „Quartiersforum“ im Jugendhaus „Pumpelberg“, gleich neben dem Brennpunkt. Das Forum ist aus dem Beratungsprozess heraus entstanden und trifft sich mehrmals jährlich. Doch trotz jahrelanger Bemühungen wie in Osterholz-Scharmbeck könne man als Friedensarbeiter den Prozess nicht kontrollieren, räumt Berndt ein. „Wir stoßen an Grenzen. Ein Erfolg stellt sich oft erst spät und manchmal auch gar nicht ein. Aber am wichtigsten ist: Wir müssen auf Konflikte vorbereitet sein.“

Dieter Sell (epd)

Jugendliche aus Niedersachsen haben am dritten Adventssonntag das „Friedenslicht aus Betlehem“ verteilt.

Das diesjährige Motto „Hoffnung schenken - Frieden finden“ treffe genau den Nerv der Zeit, in der über die Würde und Rechte derer gesprochen werde, die in Deutschland Frieden suchten, sagte der Geschäftsführer des Verbandes Christlicher Pfadfinder, Wilfried Duckstein.

Der offizielle Twitter-Acount der Pfadfinder-Ringverbände (RdP) zur Aktion Friedenslicht in Deutschland bietet eine Vielzahl an interessanten Informationen und Hintergründen. Unter #friedenslicht können Nutzer genau verfolgen an welchen Orten das Licht sich gerade befindet und Hinweise zu Andachten und Gottesdiensten zur Aussendung bekommen.

Eine riesige Lücke

epd: Herr Brahms, wo sehen Sie Chancen und Grenzen ziviler Konfliktbearbeitung?

Renke Brahms: Zivile Konfliktbearbeitung umfasst ein großes Bündel von Maßnahmen für eine gewaltfreie Lösung von Konflikten. Das geht von der Prävention über Deeskalation bis hin zur Konfliktnachsorge. Viele Prozesse sind erfolgreich und verdienen deutlich mehr Aufmerksamkeit. Die Chancen sind groß und die Grenzen noch nicht ausgelotet. Allerdings stecken die Untersuchungen über die Wirksamkeit noch in den Anfängen. Dafür ist Forschung nötig. Ein wichtiger Grundsatz ist sicher die Allparteilichkeit und das Bemühen, in Konflikten einen Interessenausgleich so zu finden, dass es keine Gewinner oder Verlierer gibt, weil dies wiederum neue Konflikte schüren kann.

epd: Tut Deutschland in diesem Bereich genug?

Renke Brahms:
Im Koalitionsvertrag aus dem Jahr 2013 wird die Rolle der Krisenfrüherkennung und der zivilen Krisenprävention eine bedeutende Rolle zuerkannt. Der Etat des Zivilen Friedensdienstes wurde 2015 um fünf Millionen auf 39 Millionen Euro erhöht und das Außenministerium hat eine neue Abteilung aufgebaut, in der humanitäre Hilfe, Frühwarnung, Krisenprävention, Stabilisierung, Friedenskonsolidierung und Mediation gebündelt werden.

Das alles sind Schritte in die richtige Richtung. Und dennoch bleibt viel zu tun. Politisch und finanziell muss dieser Ansatz in Zukunft deutlich gestärkt werden. Noch klafft eine riesige Lücke zwischen dem, was für das Militär ausgegeben wird und dem, was für zivile Konfliktbearbeitung zur Verfügung steht. Denn der Verteidigungsetat 2015 beträgt knapp 33 Milliarden Euro. Alleine für den Einsatz der Bundeswehr gegen die Terrorgruppe "Islamischer Staat" in Syrien rechnet die Bundesregierung mit Kosten in Höhe von rund 134 Millionen Euro.

epd: Könnte zivile Konfliktbearbeitung in Syrien helfen?

Renke Brahms
: Zu ziviler Konfliktbearbeitung gehören auch Verhandlungen auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene. Insofern bedarf es auch in und für Syrien dieser Instrumente. Die Wiener Verhandlungen auf internationaler Ebene gehören genauso dazu wie der Zusammenschluss von Oppositionsgruppen innerhalb Syriens und die Verhandlungen und Gespräche auf lokaler Ebene zwischen unterschiedlichen Gruppen, zwischen Sunniten und Schiiten. Die Information durch einen überparteilichen Journalismus ist genauso Bestandteil dieser Konfliktbearbeitung wie die Stärkung zivilgesellschaftlicher Gruppen vor Ort. Das ist vor allem im Hinblick auf die Zukunft Syriens wichtig.

epd