Startseite Archiv Tagesthema vom 15. April 2015

Späte Suche nach Gerechtigkeit

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70 Jahre nach der Befreiung deutscher Konzentrationslager beginnt in Lüneburg einer der letzten großen NS-Kriegsverbrecherprozesse. Der frühere SS-Unterscharführer Oskar Gröning muss sich ab dem 21. April vor dem Landgericht Lüneburg verantworten.

Die Staatsanwaltschaft Hannover wirft ihm vor, im Frühjahr 1944 in Auschwitz Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen geleistet zu haben. Nach Angaben seines Anwaltes will sich der 93-jährige Angeklagte aus der Lüneburger Heide vor dem Gericht äußern.

Mehr als 50 Journalisten haben sich nach Angaben des Gerichtes für das Verfahren angemeldet, das unter hohen Sicherheitsvorkehrungen stattfindet. Darunter sind Reporter von der New York Times und der britischen BBC. In dem auf 27 Termine angesetzten Prozess treten 67 Nebenkläger unter anderem aus den USA, Kanada, Ungarn oder Israel auf.

Unter ihnen sind Menschen, die selbst das Lager Auschwitz durchlitten haben und Angehörige von Ermordeten. Weltweit verfolgten Auschwitz-Überlebende mit Beklemmung und Anteilnahme den „jahrzehntelang überfälligen Versuch“ der deutschen Justiz, das Mordsystem des Lagers und einen beteiligten Täter vor Gericht zu stellen, teilte das Internationale Auschwitz Komitee mit.

Gröning war für das Gepäck der verschleppten Menschen auf der Bahnrampe von Auschwitz mit zuständig und verbuchte das Geld, das sie bei sich hatten. Nach den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft hat er Spuren der Massentötung verwischt, indem er half, Gepäck wegzuschaffen. Dabei sei ihm bewusst gewesen, dass die bei der Selektion als nicht arbeitsfähig eingestuften Häftlinge in Gaskammern ermordet wurden. Er habe dem NS-Regime wirtschaftliche Vorteile verschafft und die systematische Tötung von Menschen unterstützt.

Die Anklage beschränkt sich auf die Zeit der sogenannten „Ungarn-Aktion“. Zwischen dem 16. Mai und 11. Juli 1944 trafen in Auschwitz mindestens 137 Eisenbahntransporte mit rund 425.000 Menschen aus Ungarn ein, von denen mindestens 300.000 in den Gaskammern getötet wurden.

Frühere Ermittlungen gegen Gröning hatte die Staatsanwaltschaft Frankfurt 1985 mangels Beweises eingestellt. Die jetzt von der Staatsanwaltschaft Hannover erhobene Anklage geht auf Ermittlungen der „Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen“ in Ludwigsburg zurück. Diese hatten 2013 zu bundesweiten Untersuchungen von Wohnungen ehemaliger SS-Angehöriger geführt. Von 30 Verfahren, die die Zentralstelle an die zuständigen Staatsanwaltschaften abgegeben hat, kommen nach ihren Angaben noch zwei weitere zur Anklage. Die Beschuldigten sind ebenfalls über 90 Jahre alt.

Die Ludwigsburger Zentralstelle war nach dem Prozess gegen den ukrainischen KZ-Helfer John Demjanjuk der Frage nachgegangen, ob es weitere niedere Ränge der SS-Wachmannschaften gebe, die belangt werden könnten. Demjanjuk war 2011 wegen Beihilfe zum Mord in Tausenden Fällen im Vernichtungslager Sobibor verurteilt worden. Dabei reichte die Tatsache, dass er als Wärter Teil der Vernichtungsmaschine war. Demjanjuk starb, bevor das Urteil rechtsgültig wurde.

Beihilfe bedeute die Unterstützung eines Täters in jeglicher Hinsicht, sagt der Anwalt Thomas Walther, der in Lüneburg viele der Nebenkläger vertritt. Andere Urteile etwa gegen einen Helfer des Attentates auf das World-Trade-Center seien da eindeutig. Bei den NS-Tätern sei dies aber zu spät berücksichtigt worden. Walther hatte auch den Prozess gegen Demjanjuk vorbereitet.

epd

Pnina Katsir ist kaum fertig mit ihrem Jiddisch-Unterricht, schon geht‘s weiter zum Chi Gong. In zwei Monaten wird sie 85, doch das Alter ist ihr nicht anzusehen. „Dass ich noch so rege bin, habe ich Amcha zu verdanken“, sagt sie lebhaft. Amcha, zu deutsch „dein Volk“, war einst ein Codewort, mit dem sich Holocaustüberlebende nach dem Zweiten Krieg in Europa gegenseitig zu erkennen gaben.

Heute heißen so auch die 14 israelischen Anlaufstellen für Überlebende, die hier Hilfe zur Selbsthilfe erfahren, psychologisch unterstützt werden oder einfach „Menschen treffen, denen ich nichts erklären muss“, wie Katsir sagt.

Zum 70. Mal jährte sich am 27. Januar die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz. Mit der schrumpfenden Zahl der Überlebenden sollte auch Amcha seine Aufgabe bald erfüllt haben, denkt man. Doch das Gegenteil ist der Fall.

Prozess um Schindlers Liste

Im Prozess um die Rechte an historischen Dokumenten Oskar Schindlers, die einst in Hildesheim gefunden worden waren, hat das Bezirksgericht in Jerusalem die Verhandlung vertagt. Beide Seiten sind aufgerufen, innerhalb der kommenden zwei Monate ihre Standpunkte zu verifizieren und dokumentieren. Richter Aharon Farkasch äußerte sein Bedauern darüber, dass es den Parteien nicht gelungen sei, eine außergerichtliche Einigung zu erreichen. Die nächste Verhandlung ist auf den 8. Juli festgesetzt.

Streitobjekt ist eine Liste des Industriellen Schindler mit den Namen von mehr als 1.200 in der NS-Zeit geretteten Juden. Schindlers Witwe hatte die Klägerin Erika Rosenberg-Band als Alleinerbin eingesetzt. Seit 1999 wird die Liste allerdings in Jerusalem aufbewahrt. Rosenberg-Band fordert nun von der Gedenkstätte Jad Vaschem die Herausgabe der Dokumente.

Rechtsanwalt Jehuda Schwarz, der die Klägerin vor Gericht vertritt, signalisierte Bereitschaft zu einem weiteren Versuch der gütlichen Streitbeilegung. Laut Gerichtsprotokoll zeigte sich auch Jad Vaschem an einem Kompromiss interessiert. In einer Pressemitteilung der Gedenkstätte hieß es, die Dokumente seien von „historischer Bedeutung“. Die Liste sei der Öffentlichkeit sowie Forschern aus aller Welt zugänglich. „Jad Vaschem lehnt den kommerziellen Handel mit Holocaust-Dokumenten ab.“

Der Industrielle Oskar Schindler (1908-1974) rettete Juden vor den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten, indem er sie auf eine Liste qualifizierter Metallarbeiter für seine Munitionsfabrik setzte. Weltbekannt wurde sein Wirken durch Steven Spielbergs Film „Schindlers Liste“ aus dem Jahr 1993.

epd