
Anfänge im Glauben
In seinem Bericht vor der in Hannover tagenden Landessynode ging Bischof Ralf Meister am Donnerstag ausführlich auf „Anfänge im Glauben“ ein, den zentralen Schwerpunkt im Zukunftsprozess der hannoverschen Landeskirche. „Dieses Konzept geht davon aus, dass eine Kirche die Kommunikation des Evangeliums für alle Menschen ermöglichen muss. Sie bewegt sich dafür in der Welt, auch auf öden Straßen.“ Mit dieser Formulierung nahm er direkten Bezug auf die biblische Geschichte vom Kämmerer aus Äthiopien, der auf „öder Straße“ unterwegs ist, dort auf einen der Jünger Jesu stößt, mit ihm ins Gespräch kommt und sich am Ende der Begegnung taufen lässt (Apostelgeschichte 8, 26-39).
Für die kirchliche Haltung sei entscheidend, dass ihr Auftrag und nicht Ämter im Fokus stehen sollten. Sie habe ein Alleinstellungsmerkmal in der Zivilgesellschaft. Christenmenschen seien „Agentinnen und Agenten der Hoffnung“, die über das biblische Wort, über Deutungskraft und Symbole verfügten. „Anfänge im Glauben“ verstünden sich als lebenslange Begegnung mit dem Evangelium, aber Voraussetzung für diese Begegnung sei nicht eine lebenslange Bindung. Es gebe allerdings eine Voraussetzung, die die Kirche selbst erfüllen müsse: „Kirche muss sich auf den Weg begeben und in Kontakt mit der Welt sein.“
Die Konzentration künftigen Handelns, so Meister, müsse auf den Alleinstellungsmerkmalen liegen: „Seelsorge, Gott feiern, Begleitung/Diakonie, alles mit einer gebildeten Auskunftsfähigkeit, die verständliche Sprache findet und die Kommunikation des Evangeliums ermöglicht.“
Aufgabe der Kirchenkreise und Gemeinden sei es, regionale Schwerpunkte zu zu bilden, die „Anfänge im Glauben“ setzten, konkretisierte der leitende Geistliche. „Kirche überzeugt durch ein klares, nachvollziehbares und flächendeckendes Konzept und konsequentes, überzeugendes Handeln – so im Umgang mit Gebäuden, Finanzen und Klimaschutz. Sie steht den Anfängen nicht durch aufwendige Verwaltung und fehlende Glaubwürdigkeit im Weg.“
Verlust und Anfang
„Im Glauben feiern wir Verlust und Anfang“, so Ralf Meister. „Die bevorstehenden Feste von Himmelfahrt und Pfingsten sind zuerst von Verlust gekennzeichnet, denn der auferstandene Jesus ist nicht mehr da.“ Dann aber komme der Pfingstgeist über die Jüngerinnen und Jünger und eröffne einen neuen Anfang. „Was sagt uns das, wenn wir von neuen Anfängen im Glauben sprechen?“, fragte er und gab auch eine Antwort: „Wir feiern im Glauben Verlust und Anfangsgeschichte. Kommunikation mit Gott.“
In seiner Analyse der gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation, auf die Kirche Bezug nehmen müsse, um mit den Menschen im Gespräch zu sein, verwies Meister auf den Soziologen Andreas Reckwitz. Dieser sieht im Empfinden des Verlusts ein Kennzeichen der spätmodernen Gesellschaft. Reckwitz mache darauf aufmerksam, konstatierte Meister, „dass die Empfindung von Verlusten von der Wahrnehmung abhängig ist, nicht nur von der eigenen, sondern auch von den gesellschaftlichen Deutungen und Narrativen, die die Verluste kulturell verhandeln.“
Seit einigen Jahrzehnten seien wir, laut Reckwitz, in einem späten Stadium der Moderne, in der es einerseits noch die Zukunftsgläubigkeit gebe, da die technischen Entwicklungen gewaltig seien. Andererseits stecke aber das große Zukunftsversprechen in einer tiefen Glaubwürdigkeitskrise. „In einer Situation, in der die Bindungskraft der großen, gewachsenen Säulen der Gesellschaft – wie z.B. auch der Kirche – rapide nachlässt, tut sich hier eine Lücke auf“, sagte Meister. Die biblische Botschaft biete aber mit ihren Erzählungen und transzendenten Bildern an, wie mit Verlusten umzugehen sei, aus denen dann Neuanfänge entstehen können.
Gastfreundlich Kirche sein und dem Leben Vertrauen schenken
Meister wünscht sich eine „gastfreundliche Kirche“. Mit Bezug auf den katholischen Theologen Christoph Theobald und sein Konzept einer gastfreundlichen Kirche nannte er als Kennzeichen eines solchen Stils den Abend der Begegnung auf dem Kirchentag in Hannover: „150.000 Menschen flanieren durch die Innenstadt. Sie suchen Inspiration, Gemeinschaft, leibliche und spirituelle Wegzehrung. Mittendrin: Vier Abendmahlstationen, für jede Himmelsrichtung eine. Zwischen Suppenstand und Kreativstation: Abendmahl unterwegs. Begegnung mit dem Heiligen. Eine zufällig sich zusammenfindende Gemeinde auf Zeit, die miteinander Brot und Kelch teilt.“
Wir bräuchten, so Meister, die Fähigkeit, dort Glauben zu finden, wo man ihn nicht vermute. Das setze einen „Feinsinn“ voraus. „Glaube ist nicht nur Gottes- und Christusglaube, sondern die geheimnisvolle Fähigkeit, dem Leben Vertrauen zu schenken.“ Ein Stil der Gastfreundschaft sei für ihn, neuen Generationen Raum zu bieten in authentischer Art und Weise. Auch hier konkretisierte er seine Gedanken mit einem Rückblick auf den Kirchentag.
So sei für ihn der Pavillon „Kreuz & Bohne“ auf dem Kröpcke ein Beispiel für diese Haltung. „Kirche steht auf dem Marktplatz und bietet Raum für die, die suchen. Wir werden gefunden und finden selbst durch die Gespräche, die wir mit Menschen an diesem alltäglichen Ort führen.“
Die Rede, die Paulus in aller Öffentlichkeit in Athen auf dem Areopag hielt (Apostelgeschiche 17, 16-34), sei für ihn vorbildlich für kirchliches Agieren. „Raus auf die Straße, das Gespräch suchen, die Achtung vor der Position des Anderen wahren. Vernunft und Glaube lustvoll kombinieren, die Klarheit des christlichen Glaubens formulieren und Raum lassen für all das Unbekannte.“ Um so in der Öffentlichkeit auftreten zu können, brauche es ein ausgearbeitetes Konzept von Fortbildung, Ausstattung und regelmäßiger Reflexion.
Ein weiteres Beispiel für Gastfreundschaft sei das „Haus der Religionen“, so Meister. Er sieht darin ein „Modell, wie wir in dieser Zeit Gastfreundschaft leben können“. Die Partnerschaft mit der Kirche von England zeige für ihn darüber hinaus, das Gastfreundschaft „Begegnung“ sei.
Sichere Räume und Kirchentag
Grundvoraussetzung einer gastfreundlichen Kirche sei, „dass Menschen sich sicher fühlen und dieser Umgebung vertrauen können“, so Ralf Meister. Dies meine ganz ausdrücklich das Thema „Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt“. Mit Rückblick auf den Kirchentag stellte er fest: „Der Kirchentag in Hannover war einer, der den Themenschwerpunkt zu Machtmissbrauch und Sexualisierter Gewalt sehr geweitet hat und damit, auch mit finanzieller Unterstützung der Landeskirche, eine Reihe bis dahin nicht vorhandene Formate möglich machte.“
Es sei für ihn „selbstverständlich“ gewesen, der an ihn gerichteten Bitte von Betroffenen zu folgen, die bereits getroffene Zusage für die Einladung zum Hauptpodium „Sexualisierte Gewalt und Machtmissbrauch“ wieder zurückzuziehen. Und: „Ich bedaure außerordentlich, ich bedauere sehr, dass ich den Gottesdienst „Gott, wo bist du?“ nicht besuchen konnte.“
Bereits auf der Pressekonferenz zu Beginn des Kirchentages habe er die besondere Bedeutung des Themas „Machtmissbrauch und Sexualisierte Gewalt“ hervorgehoben. „Den falschen Umgang mit Macht und die daraus resultierende Schuld habe ich überdies in der Predigt beim Eröffnungsgottesdienst zu einem Kernthema gemacht.“ Eine Predigt, die er mit zwei Jugendlichen gemeinsam gestaltet habe. Auch in der Fürbitte sei der kirchliche Machtmissbrauch benannt worden.
„Ich bin dankbar, dass es 18 Veranstaltungen mit direktem Bezug zum Thema „Missbrauch“ gegeben hat.“ Die rheinische Landeskirche, die in Düsseldorf den nächsten Kirchentag ausrichten wird, könne darauf aufbauen. Die hannoversche Landeskirche werde hier so weit wie irgendwie möglich unterstützen.
Halleluja für Beteiligte des Kirchentages
Das traditionelle „Halleluja“ stand in diesem Jahr ganz im Zeichen des Kirchentages. Der Landesbischof dankte den Mitgliedern der Projektleitungen. „Es gab 26 Projektleitungen, die jeweils aus 10 bis 15 Personen bestanden, ein Viertel von ihnen aus Niedersachsen.“
Auch den Ehrenamtlichen beim „Abend der Begegnung“ galt ein „Halleluja“. Durch ihren Einsatz sei der Auftakt zum Kirchentag zu dem geworden, was er gewesen sei: „Ein gastfreundliches, fröhliches Fest, bei dem sich unsere Landeskirche in allen ihren Facetten auf über 200 Ständen und Präsenzen präsentiert hat.“
Das dritte „Halleluja“ würdigte die 34 jungen Menschen, die aus acht Nationen der hannoverschen Partnerkirchen gekommen waren. Sie waren der Einladung der Landeskirche gefolgt und blieben für 14 Tage in Niedersachsen. Diese jungen Menschen hätten ihn mit ihrem „unglaublichen Engagement“ und ihrer „positiven Perspektive auf die Zukunft“ sehr ermutigt, den Weg der internationalen Begegnungen als ein wichtiges Programm der Partnerschaft weiter zu verfolgen. „Daher ein Halleluja für diese christlichen Zeuginnen und Zeugen einer gemeinsamen friedlichen Zukunft.“