Welche Wirkung die Impulse des Vormittags zum Thema sexualisierte Gewalt – allerdings auch die vielen Randgespräche während der vorangegangenen Synodaltagung – hinterlassen haben, zeigte sich während der Debatten-Fortsetzung nach der Pressekonferenz: Zwar war die Liste derer, die sich zu Wort meldeten, lang und die Zahl ihrer Anträge hoch. Gegenstimmen waren im Anschluss jedoch an einer Hand abzuzählen; offenen Widerspruch gab es keinen.
Mit insgesamt neun Anträgen geht es nun vorrangig darum, Fehler der Vergangenheit möglichst zeitnah zu beheben. „Wir müssen der Wahrheit ins Auge sehen“, sagte Präsidiumsmitglied Daniel Aldag (Sprengel Ostfriesland-Ems) bei der Einbringung seines Antrages. Bis zur XI. Tagung der Landessynode möge der Rechtsausschuss prüfen, wie die landeskirchliche Fachstelle sexualisierte Gewalt in die Arbeit der Landessynode dauerhaft eingebunden werden kann. Dazu muss die Landessynode ihre Geschäftsordnung anpassen. Aldag beantragte überdies einen Entwurf für ein Kirchengesetz zur Umsetzung der Richtlinie der Evangelischen Kirche in Deutschland zum Schutz vor sexualisierter Gewalt vorzulegen. Dies bereite jene Änderungen vor, die gegenwärtig im EKD-Beteiligungsforum für die gesamte evangelische Kirche erarbeitet werden.
Auf Antrag von Jörn Surborg, Vorsitzender des Landessynodalausschusses (Sprengel Hildesheim-Göttingen), wird das Landeskircheamt gebeten, mit Betroffenen und im Zusammenwirken mit der Arbeitsgruppe gegen sexualisierte Gewalt (AGgsG) und der Fachstelle der Landessynode bis zu ihrer nächsten Tagung einen Vorschlag zu erarbeiten, wie die Partizipation von Betroffenenvertretern in kirchlichen Beratungsgängen strukturell eingebunden werden kann.
Auch die Synodale Christine Rinne (Sprengel Hannover) mahnte ihre Konsynodalen eindringlich, Wege zu entwickeln, wie betroffene Personen an der Synodenarbeit stärker beteiligt werden können. Zu den Erkenntnissen der Vergangenheit gehöre dabei allerdings auch, dass der richtige Weg allein aus dem Wissen der Synode nicht zu finden sei und eine Lösung deshalb auch erst mit externer Begleitung erarbeitet werden müsse.
Um Wissenslücken im Kontext sexualisierter Gewalt zu schließen, so der Antrag der Synodalen Anna Kempe (Sprengel Lüneburg), soll das Präsidium bis zur nächsten Tagung im November prüfen, wer unter den Synodalen noch einer Grundschulung bedarf. Sollten jene, die diese noch nicht absolviert hätten, Hilfe benötigen, müssten diese Unterstützung erhalten.
Schulungen auf allen Ebenen nötig
Die Grundschulungen zur Prävention sexualisierter Gewalt gehören – gemäß der Gewaltschutzrichtlinien der Landeskirche – zur Voraussetzung insbesondere für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen sowie Schutzbefohlenen. In den Kirchenkreisen, so die Beobachtungen einiger Synodaler, weigerten sich jedoch immer wieder Personen, an solchen Schulungen teilzunehmen. Um in solchen Situationen die Kirchengemeinden zu stärken, brachte die Synodale Franziska Baden (Sprengel Lüneburg) den Antrag ein, entsprechende Vorschriften in das gerade entstehende Ehrenamtsgesetz einfließen zu lassen. In ihrer Begründung heißt es dazu: „Um einen Kulturwandel in der Landeskirche hinzubekommen, ist es notwendig, in allen Ebenen die Thematik zu verankern. Es wird Menschen geben, die die Bedeutung nicht oder noch nicht verstehen und es braucht Regeln, wie damit umgegangen werden soll.“
Angeboten werden die Grundschulungen durch sogenannte Multiplikatoren, die eine spezielle Ausbildung durch die Fachstelle der Landeskirche erhalten haben. Gegenwärtig sind 139 Personen aus allen Berufsgruppen des kirchlichen Lebens innerhalb der Landeskirche ausgebildet. Ihnen hatte Landesbischof Ralf Meister zum Abschluss seines Bischofsberichts ein eigenes „Halleluja“ gewidmet und angeregt, die Landeskirche möge die Kirchenkreise in diesem Bereich durch eine Anschubfinanzierung unterstützen. Surborg hatte diesen Impuls noch am Donnerstag aufgenommen und 500.000 Euro vorgeschlagen, die die Kirchenkreise zweckgebunden für die Kommunikation von Präventionsarbeit und dazugehörende Schulungen verwenden können. Die Summe solle über die Zuweisung entsprechend der Kirchenkreisgröße aufgesplittet 2025 ausgezahlt werden. Der Finanzausschuss beriet noch während der Tagung über den Vorstoß und empfahl die Übernahme ins Plenum.
Moderne technische Methoden nutzen
Auch der Ausschuss für Theologie und Kirche wird sich des Themas sexualisierter Gewalt annehmen. Cordula Schmid-Waßmuth (Sprengel Hannover) gab den Antrag ein, der Ausschuss möge überlegen, inwieweit und in welcher Form die Diskussion theologischer Themen bezogen auf erlittene sexualisierte Gewalt gemeinsam mit Betroffenen, Ausschuss, Landesbischof, Bischofsrat, Landeskirchenamt und fachkompetenten weiteren Personen geschehen kann und wie sie auch in der Fläche der Landeskirche stattfinden kann.
Einem Antrag von Roger Cericius (Sprengel Hannover) folgend geht an das Landeskirchenamt die Bitte, in enger Zusammenarbeit mit der Fachstelle sexualisierte Gewalt ein Konzept zu erarbeiten, das speziell Vorschläge und Vorgehensweisen erarbeitet, die die Suche nach weiteren Opfern sexualisierter Gewalt auch unter Einbeziehung moderner technischer Methoden, wie etwa zur Dokumenten- und Datenanalyse, strukturiert ermöglicht.
Die Vielzahl der Anträge, vor allem aber das Ausbleiben jeglicher Diskussion, steht für einen großen, grundlegenden Konsens, der während der Tagung und insbesondere durch die Mitwirkung der betroffenen Personen am Freitag ins Bewusstsein der Synodalen gedrungen ist. Für keinen der Anträge gab es einen öffentlichen Widerspruch; alle Anträge fanden in der Abstimmung jeweils fast einstimmige Unterstützung.
"Wir haben sexualisierte Gewalt als Thema in seiner umfassenden Bedeutung nicht erkannt. Unsere Verantwortung ist es, die Auswirkungen von sexualisierter Gewalt für betroffene Personen mitzudenken und in unsere Beratungen und Beschlüsse sowohl in der Prävention als auch in Intervention, Hilfe und Aufarbeitung einzubeziehen. Dieser Verantwortung sind wir in der Vergangenheit nicht gerecht geworden.
Eine unserer Aufgaben ist es, für die Bereitstellung der notwendigen Ressourcen zu sorgen. So erkennen wir als Landessynode der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers unser Versagen an, dass wir die unzureichende Ausstattung der Fachstelle Sexualisierte Gewalt zwar zur Kenntnis genommen, aber nicht umgehend und im notwendigen Umfang gehandelt haben. Wir haben die Folgen für die betroffenen Personen nicht ausreichend in den Blick genommen.
Erst jetzt haben wir die Trennung der Fachstelle Sexualisierte Gewalt von der Gleichstellungsarbeit beschlossen und die personelle Ausstattung der Fachstelle Sexualisierte Gewalt inzwischen signifikant erweitert. Auch die Arbeit gegen sexualisierte Gewalt in den Einrichtungen, Kirchenkreisen und Kirchengemeinden erachten wir für unerlässlich und werden hierfür kurzfristig entsprechende finanzielle Mittel zur Verfügung stellen.
Wir wissen, dass die nachhaltige Verankerung des Themas ohne die Beteiligung von Betroffenen nicht möglich ist. Wir werden bis zur nächsten Tagung der Landessynode Vorschläge erarbeiten, wie dieses für die Arbeit in der Landessynode sinnvoll möglich sein kann.
Diese beschlossenen Schritte erachten wir als dringend notwendig, um die Prävention und den Umgang mit sexualisierter Gewalt in unserer Landeskirche wirksamer zu gestalten. Mit diesen Maßnahmen wollen wir sicherstellen, dass das Thema die notwendige Aufmerksamkeit und Unterstützung erhält sowie grundlegend und fortwährend in unserer Kirche verankert wird."