Eine Vision, die man hören kann

Frau Lindenschmidt, Herr Pankoke, was verbirgt sich hinter VISION KIRCHENMUSIK?

Wir möchten besondere Begegnungen mit Kirchenmusik ermöglichen. Im Blick sind da vor allem Menschen, die bisher weder mit Kirchenmusik noch mit Kirche viel zu tun hatten. Sie sollen einen möglichst niedrigschwelligen Zugang zu kirchenmusikalischen Angeboten bekommen. Dafür experimentieren wir mit neuen Formen und Formaten von Kirchenmusik. Wichtig ist uns dabei, dass wir auf ganz unterschiedlichen Feldern unterwegs sind: Wir arbeiten mit Schülerinnen und Schülern, machen Seminare in Universitäten, entwickeln Material für Erzieherinnen und Erzieher in Kindertagesstätten. Vor allem sind wir auch in Kirchenkreisen und Kirchengemeinden in ganz Niedersachsen unterwegs, um Konzepte für Konzerte, Gottesdienste und Aktionen mit den Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusikern vor Ort zu erarbeiten. Und wir setzen ganz stark auf Vernetzung: Alle unsere Projekte und auch spannende Projekte von anderen aus dem Bereich der Kirchenmusik-Vermittlung fließen in eine Datenbank ein, die für alle Interessierten zugänglich ist.

Wie funktioniert das ganz praktisch? Gibt es da ein Patentrezept?

Ganz entscheidend ist, dass wir jeweils mit den Verantwortlichen vor Ort schauen: Was ist der Bedarf? Was werden hier für Formate gebraucht, damit die Begeisterung, die bei den Musikerinnen und Musikern für ihre Musik da ist, auf andere Menschen überspringen kann? Manchmal geht es darum, einfach den Ort zu verändern, an dem ein Konzert stattfindet oder anderweitig ungewöhnliche Zugänge zu schaffen: Warum nicht mal mit dem Chor im Wohnzimmer konzertieren oder zu einer öffentlichen Probe des Posaunenchors einladen? Wichtig ist vor allem, eine Konzeption zu entwickeln, die auf die gewünschte Zielgruppe ausgerichtet ist. Und dazu gehören dann auch eine Projektplanung mit dem Einwerben von Drittmitteln, Öffentlichkeitsarbeit, Suchen von Kooperationspartnern und vielem mehr.

Warum braucht Kirchenmusik überhaupt Musikvermittlung?

In Opernhäusern oder bei großen Orchestern ist Musikvermittlung bereits etabliert, aus gutem Grund: Hochkulturelle Musik ist kein Selbstläufer, sie bringt viele Rituale und Konventionen mit sich, die sich heute nicht mehr für alle erschließen. Da braucht es neue Zugänge, um neue Personenkreise an diese Musik heranzuführen und nachhaltig zu begeistern. Das ist in der Kirchenmusik nicht anders – mit einem wichtigen Unterschied: Wir werben nicht nur um Zuhörerinnen und Zuhörer für hochkulturelle Konzert-Angebote, sondern stärken auch die (kirchen-) musikalische Breitenarbeit ganz gezielt. Gerade im ländlichen Raum sind Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker wichtige Akteure im Bereich der kulturellen Bildung. Da brauchen wir dringend Nachwuchs, sowohl was das Ehrenamt angeht als auch die Profis. Deshalb liegt da auch einer unserer Schwerpunkte: Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker – und das bedeutet ausdrücklich auch Menschen, die sich ehrenamtlich in ihrer Freizeit oder nebenberuflich kirchenmusikalisch engagieren – als Multiplikatoren für Musikvermittlung zu gewinnen.

Wollen Sie mit VISION KIRCHENMUSIK wirklich Menschen „nur“ für Kirchenmusik begeistern oder geht es auch darum, Menschen für Kirche und Glaube zu gewinnen?

Uns geht es um die Kirchenmusik mit ihrer gesamten Bandbreite vom klassischen Choral über Jazz, Gospel und Pop bis zu experimenteller Musik. Für diese Vielfalt möchten wir Menschen gewinnen und Brücken bauen, damit Kirchenmusik als eigenständiges Kulturgut neu wahrgenommen wird. Wir haben dann schon oft von überraschten Gästen bei Projekten gehört: Hätten wir gar nicht gedacht, dass das Kirchenmusik ist. Gleichzeitig schafft Musik natürlich Zugänge zu Inhalten und die haben bei Kirchenmusik mit Glaube und Kirche zu tun. Das ist Teil der Musikvermittlung, aber nicht Ausgangspunkt der Überlegungen. Am Anfang steht die Musik. Deshalb ist es in erster Linie unser Ziel, zwischen Musik und Menschen zu vermitteln und zu zeigen, was für ein Schatz unser kirchenmusikalisches Angebot ist.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Unser Ziel ist es, Kirchenmusik-Vermittlung flächendeckend zu etablieren und damit künstlerische Dialoge zwischen Kirche und Gesellschaft anzuregen. Wir wünschen uns, dass eine neue Wertschätzung aufblüht, die das Potenzial von Kirchenmusik als Kultur- und Bildungsträger sieht und ausschöpft. In Kirchenmusik zu investieren heißt, in die Zukunft von Kirche zu investieren. Hier wünschen wir uns ein neues Selbstbewusstsein für die Kirchenmusik als evangelisches Profil und Mut, um Spielräume zu schaffen, die zu einem beherzten Hinterfragen von Konventionen und Ritualen einladen und experimentierfreudig neue Formen der Kirchenmusik hervorbringen.

VISION KIRCHENMUSIK

Im Februar 2015 startete in der Landeskirche VISION KIRCHENMUSIK, ein bundesweit einzigartiges Modellprojekt für Kirchenmusik- Vermittlung. Die Projektleiterin Silke Lindenschmidt und der Projektleiter Ulf Pankoke erzählen von besonderen Momenten und was die Herausforderung von Musikvermittlung in der Kirche ist.

Die lebendige Jukebox

Für einen Euro erklingt der Lieblingssong aus einer einzigartigen Jukebox: Geld einwerfen, ein Lied aussuchen und schon wenige Sekunden später wird es in der Jukebox gespielt – live von einem kompletten Bläserensemble. Die Musikerinnen und Musiker sitzen in einem Bauwagen, bei dem eine Seitenwand durch zwei große Fenster mit Jalousien ersetzt wurde. Nachdem ein Euro eingeworfen wurde, kann über ein speziell angefertigtes Terminal mit einer Tastatur die Musik ausgesucht werden. Ist der Titel gewählt, öffnen sich beim wenige Meter entfernt stehenden Bauwagen die Rollläden.

Die Musikerinnen und Musiker werden sichtbar und spielen dann das gewünschte Stück. Hinter dieser Aktion stehen das Projekt VISION KIRCHENMUSIK und das Blechbläserensemble Lappland unter der Leitung von Ulf Pankoke.