"Jeder isst mit"

Ein Modell für Niedersachsen? – Kinder und Jugendliche können im Rahmen einer Förderung in 13 Schulen und Kindergärten in Uslar und Bodenfelde kostenlos und unbürokratisch am Mittagessen teilnehmen.

Sie geht in die 8. Klasse einer Oberschule. Sie würde mittags gerne eine warme Mahlzeit in der Mensa zu sich nehmen. Zumindest dann, wenn sie bis 15 Uhr Unterricht hat. Das Essen kostet einen Euro Eigenanteil. Klingt wenig, ist aber viel. Denn neben Antonia gibt es noch zwei weitere Kinder in der Familie: Tobi und Max. Wären wir schon bei drei Euro – pro Tag.

Dafür könnte sich die ganze Familie an Spaghetti sattessen. Und nun? „Kinder- und Familienarmut war und ist hier und in vielen anderen strukturschwachen Regionen Deutschlands ein echtes Problem“, weiß Melanie Schmidt von der Kirchenkreissozialarbeit, die das Projekt hauptamtlich begleitet und koordiniert. 25 Institutionen und weitere sozial engagierte Bürgerinnen und Bürger bildeten ein Netzwerk, das für gerechte Bildungsund Teilhabechancen einsteht. So wurde das Forum KinderarMUT in Uslar durch das Diakonische Werk Leine-Solling ins Leben gerufen, berichtet die Kirchenkreissozialarbeiterin Melanie Schmidt: „Es kam schnell der Wunsch auf, stärker in den Bereich Gemeinwesen zu gehen, um nicht nur vereinzelt, sondern vielen Kindern helfen zu können.“

Und noch ein Faktor ist entscheidend: Es werden die Betroffenen befragt und eingebunden. „In einem systematischen Bürgerbeteiligungsprozess ist es uns im Laufe der Jahre mit Hilfe der Community-Organizing-Methode gelungen, Eltern mit Armutserfahrung für die Mitarbeit zu gewinnen“, erklärt die 31-Jährige. Sie werden als Experten ihrer Situation beteiligt und übernehmen unter anderem aktivierende Befragungen: Wo drückt der Schuh? Was würdet Ihr für Eure Kinder verändern wollen? Nach dem Zuhören folgt die Recherche: Was ist die Ursache? Was machen andere Städte und Landkreise dagegen? Und das Zurechtlegen einer Strategie. Die dritte Phase ist schließlich das (Ver) Handeln. So sind viele erfolgreiche Projekte entstanden und gemeinsam umgesetzt worden. Zum Beispiel „Jeder isst mit!“ Bereits seit 2011 beschäftigt sich das Forum KinderarMUT mit der Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepaketes, kurz BuT, das Kindern und Jugendlichen aus Familien, die Arbeitslosengeld II, Sozialhilfe, Wohngeld, Kinderzuschlag oder Leistungen nach §2 des Asylbewerberleistungsgesetzes beziehen, zusteht.

Schnell war klar, dass vor allem eines gefragt ist: Ein warmes, kostenloses Mittagessen. Also hieß es: Die Bürokratie auf ein Minimum runterschrauben und den einen Euro wegfallen lassen. Seit Februar 2014 können BuT-berechtigte Kinder und Jugendliche nun in 13 Schulen und Kindergärten in Uslar und Bodenfelde kostenlos und unbürokratisch am Mittagessen teilnehmen. Denn das Forum KinderarMUT des Diakonischen Werkes Leine- Solling übernimmt für drei Jahre den 1 Euro-Eigenanteil pro Mahlzeit aus Fördermitteln und Spenden. Ein wichtiger Beitrag, um Mangel- und Fehlernährung entgegenzuwirken. „2012 haben nur 46 Kinder und Jugendliche ihren Anspruch genutzt, im ersten Projekthalbjahr bereits 113 und im 4. Halbjahr 163 Kinder“, verdeutlicht Melanie Schmidt.

Auch das Verfahren hat sich dank der Kooperation mit Landkreis und Jobcenter deutlich vereinfacht. Keine lästigen Fahrten zu mehreren Behörden mehr: Eine Bewilligung für das Mittagessen („der gelbe Zettel“) wird pro Halbjahr vom Landkreis Northeim oder dem Jobcenter an die Familien rausgeschickt und in Schule oder Kita abgegeben – fertig! Die Kinder können sofort mitessen. Auch Antonia aus unserem Beispiel, denn: Jeder isst mit! Dass dieses Modellprojekt keines bleibt, sondern Schule macht, wünschen sich Melanie Schmidt und ihre Mitstreiter vom Forum KinderarMUT sehnlichst.

„Ziel ist, dass der Eigenanteil künftig aus Landkreismitteln und nicht aus kirchlichen Mitteln finanziert wird“, sagt die Sozialwissenschaftlerin, die mit ihrem ehrenamtlichen Team schon kräftig die Werbetrommel rührt. Gespräche bei Verwaltung und Politik haben bereits stattgefunden, auch auf Landesebene ist man bereits auf das Projekt aufmerksam geworden. Kein Wunder, dass das Forum KinderarMUT 2015 den 2. Platz des niedersächsischen „Kinder-Haben-Rechte-Preises“ belegt. „Ich habe tolle Ehrenamtliche. Wir bleiben dran!“, verspricht Melanie Schmidt lächelnd.

Forum Kinderarmut Uslar

Im Juni 2015 erhielt das Forum KinderarMUT in Uslar eine ganz besondere Auszeichnung. Das Projekt „Jeder isst mit“ wurde mit dem 2. Platz des niedersächsischen „Kinder-Haben-Rechte-Preises“ ausgezeichnet. Ein Projekt, das zum Beispiel Antonia helfen soll.