
„Bei allen Unterschieden gibt es auch erstaunliche Gemeinsamkeiten“, sind sich die Mitglieder des Runden Tisches einig. Zum Beispiel ihre geographischen und ethnischen Wurzeln – oder auch der Engel als Symbol für den Frieden. Judentum, Christentum und Islam verkünden die Einzigkeit und Einheit Gottes und sind prophetische Religionen. Manche Theologen sehen Abraham als Ausgangspunkt und Sinnbild des Dialogs zwischen den drei Religionen, andere nur als Teil der jeweiligen religiösen Tradition.
„Bei der Gründung 2001 waren auch zwei arabische Moscheen beteiligt“, blickt Jacqueline Juergenliemk, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Göttingen, zurück. Dabei sei der Nahost- Konflikt immer wieder ein Thema gewesen – einziges Thema. Das habe mehr gespalten, als zusammengeführt. „Auch das kommt vor – es ist nicht immer alles heile Welt. Probleme gehören dazu und werden mit Hilfe von außen gelöst“, erklärt Hans Haase, katholischer Pfarrer der St. Paulus-Gemeinde. „Wir wollen und müssen keine Überzeugungsarbeit leisten“, ergänzt Dr. Klaus-Achim Sürmann, ehemaliger Vorsitzender des evangelisch-lutherischen Kirchenkreises Göttingen. Und Ibrahim Elmas, Vorstandsvorsitzender der DITIB-Gemeinde ergänzt: „Bei uns sagt man: Dein Glaube Dir, mein Glaube mir.“ Der Runde Tisch der Religionen, der etwa fünf Mal im Jahr zusammenkommt, versteht sich nicht als Moderator, sondern als Gesprächspartner und manchmal als Vermittler.
Die Dialogrunde ist darum bemüht, in Göttingen aktiv an der Versöhnung der Kulturen mitzuwirken und die Integration von Menschen der verschiedenen Religionen vor Ort zu fördern. Auf Gemeindeebene gehe es nicht um den großen theologischen Dialog. „Wir gehen kleine Schritte. Wenn ich von meinem Schicksal und meinen Ängsten rede, dann öffnet sich auch mein Gegenüber. So hat Ökumene auch mal angefangen“, gibt Pfarrer Haase ein Beispiel. Bedeutsam sei es, das gemeinsame kulturelle Erbe zu erkennen, im Fremden Eigenes zu entdecken und Ungewohntes tolerieren zu lernen.
„So richtig missionarisch sind wir nicht“, gibt Klaus-Achim Sürmann zu bedenken. Aber bewegt hat der Runde Tisch in Göttingen bereits so einiges. Einmal im Jahr findet das Abrahamsfest oder auch das Fest der Religionen im Städtischen Museum in Göttingen statt. „Dabei sind wir auf die Mithilfe aus den Gemeinden angewiesen und freuen uns über Gäste aller Religionen“, erklären die vier Vertreter des Runden Tisches. Der Erlös steht im Wechsel in Bezug zu einer ihrer Religionen. Außerdem werden Vortragsabende und Friedensgebete veranstaltet, Feste gemeinsam besucht, bei Kundgebungen von rechten Gruppierungen wird die Gegenseite eingenommen und friedlich demonstriert, und es werden Hilfswerke und private Schicksale unterstützt.
So hat der Runde Tisch beispielsweise einer jungen Palästinenserin mit einer Spendenaktion zu einem neuen Herzen verholfen. „Wir haben in der Vergangenheit viel nach innen gewirkt, nun möchten wir, um der guten Sache Willen, eine stärkere Außenwirkung erzielen“, sind sich die vier einig. „Die Tatsache, dass es uns gibt, ist schon mehr in das Bewusstsein der Göttinger gerückt – aber noch mehr Rückhalt in den Gemeinden wäre wünschenswert“, so Sürmann.
Eine ihrer schönsten Aktionen sei bisher das „Engel der Kulturen“-Kunstprojekt gewesen. Carmen Dietrich und Gregor Merten, Bildende Künstler aus Burscheid, haben die Symbole der drei abrahamitischen Religionen – den Halbmond, den Stern und das Kreuz – auf der Innenseite eines Ringes angeordnet. Beim Ausschneiden fiel auf, dass das innere „Abfallteil“ die Gestalt eines Engels darstellt. In Göttingen wurde das Symbol direkt vor dem Bahnhof in den Boden eingelassen. Anschließend wurde das nächste Zeichen – für eine weitere Stadt – aus einer kreisförmigen Stahlplatte mit dem Schneidbrenner ausgeschnitten. So legt sich das Symbol, das für Mitmenschlichkeit und Frieden steht, wie eine soziale Skulptur über die Städte – unter anderem in Deutschland, der Türkei, Belgien, Israel, Palästina, Serbien, Bosnien und Herzegowina sowie Griechenland. „Später sollen die übrig gebliebenen und beschrifteten Engel übereinander gestapelt als Engel der Kulturensäule aufgebaut werden.
Diese wird übrigens im nächsten Jahr in Jerusalem zur Ausstellung kommen“, erklären die Vertreter des Runden Tisches. Bis dahin sind sie ihrer selbsterklärten Mission sicher ein weiteres Stück nähergekommen: „Nicht die Religionen sollen im Vordergrund stehen, sondern die Menschen – das ist die eigentliche Aufgabe.“