Demografie: Auch die Kirche wird bunter

Demografische Entwicklung – so immer noch landläufige Meinung – bedeutet: Die Menschen haben weniger Kinder, die Überalterung schreitet flächendeckend fort. Die Landeskirche Hannovers hat darauf früh reagiert, sie hat 2005 ein Sparprogramm aufgelegt, das sich den Verhältnissen rechtzeitig anpasst. Gemeint war natürlich kein Sparen, sondern eine Streichung von Stellen – trotz bleibend hoher Kirchensteuer- Einnahmen. Für viele bedeutete das einen Verlust an Beziehung und Überforderung der Gemeindepfarrämter.

Nur, demografische Entwicklung ist mehr als Rückgang. Die Bevölkerung wird heterogener. Die Bewohnerzahlen werden durch den Zuzug von Flüchtlingen sogar zunehmen. Das Wertesystem wird immer mehr ausdifferenziert. Wie sich die muslimisch orientierten Menschen darauf einlassen, ist noch offen. Die Bevölkerung wird internationaler, die Einstellungen der Menschen werden singulärer, individualistischer. Die Bindungskraft der Familien lässt nach, andere Gemeinschaftsformen sind attraktiv. Allerdings, die integrierten Flüchtlinge denken noch sehr in Familienstrukturen. Schließlich gibt es in der Entwicklung sehr starke regionale Unterschiede, es gibt wachsende Gebiete, urbane Regionen, kleine „Schwarmstädte“.

Also werden wir nicht weniger sondern vor allem bunter. Die Kirche wird in ihren Mitgliederzahlen von dieser Entwicklung nicht profitieren, weil die Veränderung der sozialen Milieus, die Zunahme anderer religiöser Bindungen die Zahlen nicht stärken werden. Das muss aber kein Verlust an Qualität und Einfluss bedeuten. Nie hatte die Kirche in ihrer Geschichte so viel Geld und so viel Personal wie in dieser Generation, ihren Bedeutungsverlust hat das nicht aufgehalten. Dennoch genießt sie gerade im ländlichen Raum wegen ihrer Unparteilichkeit hohe Anerkennung. Sie hat immer noch ein größeres Filial- Netz als Sparkasse und Post und Supermarktketten.

Die Botschaft Jesu Christi ist der Hintergrund für alles Tun, sie ist einmalig in der Welt in ihrer Versammlung der Werte: Sanftmut, Barmherzigkeit, Hunger nach Gerechtigkeit, Wahrheitsliebe, Friedfertigkeit, Versöhnungsbereitschaft, Demut und Bescheidenheit, Güte, Hoffnung und Liebe. Ihre Kraft hängt nicht von der Mitgliederzahl ab. Kirche redet in der Welt unmissverständlich durch das, was sie ist. Das steuerfinanzierte Beamtensystem ist dabei nicht immer hilfreich. Kirche wirkt durch überzeugte Mitarbeitende, beruflich und ehrenamtlich. In der Diakonie, in der integrativen Arbeit mit Flüchtlingen ist sie in vielen Orten ganz vorne. Die Kindertagesstätten sind ein großes Biotop für Integration und Bildung, sie verdienen viel bessere Finanzierung für profilierte Arbeit.

Die Pastorinnen und Pastoren vor Ort dürfen nicht geschwächt werden, das Verhältnis von übergemeindlichen und gemeindlichen Diensten ist unausgewogen. Salopp gesagt: Das Geld wird in der Produktion vor Ort verdient. Dort ist die enge Kontaktfläche zu den Menschen, wo sie leben. Die Aufgabe der Politik wird sein, Ghettos in den Städten zu verhindern, im ländlichen Raum den Dreiklang der Attraktivität zu fördern: den landschaftlichen Reiz, die dörfliche Lebensweise in Tradition und Moderne, städtische Infrastruktur durch Mittelzentren. Im Blick auf das Wohnen sucht der Mensch Integration durch familiäre oder freundschaftliche Bindung, Schutz durch territoriale Verortung und Existenzsicherung durch erreichbare Versorgung. In diesem Kontext braucht die Gesellschaft die Kirche als Raumgeber und Moderator für den Diskurs.

Wo die von Jesus Christus gelebten Werte nicht gewürdigt oder verhindert werden, muss Kirche bis zu Protest und Widerstand lautes Gegenüber sein. Große Hoffnung auf diesem Wege macht die Integration von Flüchtlingen in vielen Dörfern im Lande. An der Arbeit mit ihnen lernen Menschen Werte wie Barmherzigkeit und Gerechtigkeit neu leben. Gott loben, das Recht ehren und Gesicht zeigen. Geschenk und Auftrag des Himmels für die Welt. 39

Als kirchlicher Experte für Demografie gilt Heinz Behrends, Superintendent im Ruhestand in Göttingen. Angesichts des demografischen Wandels sei nur eine Herausforderungen unter vielen, dass „die Kirche im Dorf bleibt ...“, schreibt er in seinem Bericht.