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Grafik: Marc Vogelsang

Im Kirchenkampf

Als die Nazis nach der Synode griffen

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Gottesdienst in der Marktkirche zum Landeskirchentag am 25. Oktober 1933. Gerhard Hahn huldigt Adolf Hitler. Bild: Archiv

Mehr als 60 Jahre arbeitete die 1863 begründete Landessynode problemlos und effektiv. Doch im siebzigsten Jahr kam es zu einer schweren Verfassungskrise – der bisher schwersten in der Geschichte der Landeskirche. Ursache war 1933 die Machtergreifung der Nationalsozialisten, die in ganz Deutschland auch in den Kirchen auf dem Vormarsch waren.

Andere Kirchenvertreter wiederum wehrten sich im „Kirchenkampf“ gegen eine Gleichschaltung. Vor allem dem Eingreifen von Landesbischof August Marahrens (1875-1950) ist es zu verdanken, dass die Landeskirche während des „Dritten Reiches“ nicht von den nationalsozialistischen „Deutschen Christen“ dominiert wurde. Der Preis dafür war hoch – die synodale Arbeit kam vollständig zum Erliegen. Von 1934 bis 1946 hat im Hannoverschen keine Synode mehr getagt.
Das Bischofsamt war erst 1924 in der hannoverschen Kirchenverfassung verankert worden, weil die Landeskirche nach der Abdankung von Kaiser Wilhelm II. und der Trennung vom Staat ihren obersten Kirchenherrn verloren hatte. In die bisherigen Rechte des Königs trat der Kirchensenat ein, dem der Bischof vorstand. Zugleich wurde die Landessynode in „Landeskirchentag“ umbenannt. „Das war schlichte Deutschtümelei“, sagt der Kirchenhistoriker Professor Hans Otte.

Die Geschichte des hannoverschen Kirchenkampfes beginnt im Juni 1933 im fernen Berlin. Dort nutzte die preußische Regierung eine unklare Rechtssituation, um für alle evangelischen Kirchen auf ihrem Gebiet einen Staatskommissar einzusetzen. Für Hannover war dies Pastor Gerhard Hahn (1901-1943) aus Elmlohe bei Bremerhaven. Er war Landesleiter der NS-Kirchenpartei „Deutsche Christen“ und saß seit 1932 zugleich für die NSDAP im preußischen Landtag. Hahn versuchte, mit einer ganzen Reihe juristischer Tricks die hannoversche Landeskirche auf NS-Kurs zu bringen. Und die Situation war zunächst günstig für ihn: Als im Sommer Kirchenwahlen anstanden, rückten über sogenannte Einheitslisten zahlreiche Nationalsozialisten und „Deutsche Christen“ in die Kirchenvorstände und später auch in den Landeskirchentag. Dort stellten sie die Mehrheit der 62 Mitglieder.

Gerhard Hahn ging aber noch einen Schritt weiter: Gedeckt durch eine Vollmacht des Kultusministers beanspruchte er die Rechte des Kirchensenats für sich und berief vier neue Mitglieder in das Gremium. Der so manipulierte Kirchensenat wiederum berief neun NS-treue Mitglieder in den neuen Landeskirchentag. So erzielten die „Deutschen Christen“ dort eine verfassungsändernde Drei-Viertel-Mehrheit. Der 4. Landeskirchentag von 1933 ging als „braune Synode“ in die Geschichte der hannoverschen Landeskirche ein.

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Eröffnung des 4. Landeskirchentages in Hannover 1933, der zwei Jahre später für illegal erklärt wurde. Bild: Archiv

Gestützt auf die neuen Mehrheiten versetzten Hahn und seine Anhänger nun den Präsidenten, zwei Vizepräsidenten und weitere Mitglieder des Landeskirchenamtes in den Ruhestand. Hahn machte sich selbst zum Geistlichen Vizepräsidenten und linientreue Landeskirchenräte übernahmen weitere Führungspositionen. Hahn rückte als Präsident auch an die Spitze des Landeskirchentages und schloss die erste Sitzung mit „Heil Hitler“ statt mit einem Gebet.

Bis auf das Bischofsamt waren nun sämtliche Leitungsgremien in NS-Hand. Doch die entmachteten Mitglieder des Landeskirchenamtes und des früheren Kirchensenats blieben nicht untätig, sondern klagten vor Gericht gegen ihre Emeritierung. Und Landesbischof August Marahrens, anfangs noch unsicher, schwenkte immer stärker auf die Linie der konfessionellen Lutheraner ein, die den Kurs der „Deutschen Christen“ nicht mittragen wollten. Es kam zum offenen Machtkampf: Im Herbst 1934 forderte der Landesbischof demonstrativ alle Mitglieder des Landeskirchenamtes auf, sich seiner Führung zu unterstellen, gestützt auf eine Vollmacht aus dem Jahr 1933. Wer das ablehnte, wurde entlassen. Auch Hahn wurde so aus dem Landeskirchenamt entfernt. Er ging 1936 als Pastor nach Thüringen.

Kurz darauf löste Marahrens den Landeskirchentag auf, danach auch den Kirchensenat. Beide seien nicht legal zustandegekommen. Der Kirchensenat wiederum wehrte sich und versetzte seinerseits Marahrens in den Ruhestand – eine Pattsituation. Geklärt wurde sie im März 1935 durch das Oberlandesgericht Celle, das der Klage der entmachteten Mitglieder des Landeskirchenamtes recht gab. Der DC-beherrschte Kirchensenat und somit auch die „braune Synode“ seien illegal zustande gekommen, befanden die Richter.

Alle Gesetze des 4. Landeskirchentages wurden rückwirkend für null und nichtig erklärt. Gerhard Hahn hatte seine Befugnisse überschritten. „Man kann die Wirkung des Urteils für die Landeskirche kaum überschätzen“, sagt Hans Otte. Denn damit hatte das Gericht auch Marahrens bestätigt. „Der Bischof hatte 1935 noch das Gefühl, er lebe in einem Rechtsstaat.“ Laut Otte hat Marahrens noch lange geglaubt, dass der NS-Staat auf rechtsstaatliche Normen ansprechbar sei. Er habe deshalb bis Kriegsende zu keiner grundlegenden Kritik am System gefunden.

Neue Wahlen zu einem Landeskirchentag hat es in der hannoverschen Landeskirche von da an im „Dritten Reich“ nicht mehr gegeben. Marahrens leitete die Kirche allein. Erst 1946 kamen wieder Menschen zu einer neu begründeten „Synode“ zusammen. Bewusst wählte die Landeskirche für die Zusammenkunft wieder das alte griechische Wort. Von der Deutschtümelei hatte sie genug.