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Grafik: Marc Vogelsang

Die erste Frau in der Landessynode

Sozial engagiert und mit Pioniergeist

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Paula Müller-Ottfried

Erst seit 1964 dürfen Frauen in der hannoverschen Landeskirche das Pfarramt ausüben. In der Landessynode war mit Paula Müller-Otfried (1865-1946) die erste Frau bereits mehr als vier Jahrzehnte früher vertreten. Die in Hoya geborene Tochter aus bürgerlichem Haus engagierte sich früh in der christlichen Armenhilfe. Sie hat Jahre lang darum gerungen, in der Kirche nicht nur mitarbeiten, sondern auch mitbestimmen zu dürfen.

Paula Müller – den Beinamen Otfried legte sie sich später zu – wurde 1901 in Hannover Vorsitzende des „Deutschen Evangelischen Frauenbundes“. Unter ihrer Leitung mahnte der zwei Jahre zuvor gegründete Verband zunehmend „die zwingende Reformbedürftigkeit der Stellung der Frau“ an. Mit Petitionen wollten die evangelischen Frauen ein Stimmrecht in der Kirche und den kommunalen Gemeinden erreichen. Zugleich lehnten sie ein allgemeines Wahlrecht für Frauen ab, das progressivere Teile der Frauenbewegung verlangten.

1905 befasste sich die hannoversche Synode mit einer Eingabe des Frauenbundes und weiterer Verbände zum Stimmrecht für diejenigen Frauen, die unverheiratet und zugleich Haushaltsvorstände waren. „Frauen sollten auch die Verantwortung für ihre Arbeit mittragen, sie sollten da, wo sie durch die Tat das Gemeindeleben ausbauen helfen, auch ihren Rat mitzugeben, ihre Erfahrungen mitzuteilen haben“, hieß es darin.

Die Synode diskutierte Berichten zufolge zwar „lange und ernsthaft“ über die Frage und gab die Anregung an die Gemeinden weiter, ging dann aber zur Tagesordnung über. Auch nach der Einführung des allgemeinen Frauenwahlrechts in Deutschland am 12. November 1918 dauerte es noch, bis auf der Basis des neuen Wahlrechtes 1921 eine verfassungsgebende Synode zusammentrat, der Paula Müller-Otfried als erste Frau angehörte.

„Das große Rechtsbewusstsein, das sie auszeichnete, machte jede Verhandlung, so temperamentvoll sie sein konnte, zu einer Freude“, schrieb der damalige Landesbischof August Marahrens über die Zusammenarbeit. Auch politisch und in der Frauenbewegung engagierte sie sich. Ab 1920 erhielt sie für die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) als eine von wenigen Frauen einen Sitz im Reichstag. Der Einsatz für die Kirche und in der Frauenbewegung zugleich war für Paula Müller-Otfried zuweilen ein Spagat, wie ihre Biografin Halgard Kuhn schreibt.
So hatte sich der Deutsche Evangelische Frauenbund 1908 dem Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) angeschlossen, um sich vom konservativen Flügel her in die Arbeit zur Frauenfrage einzubringen. Zehn Jahre später warben große Teile des BDF für das politische Wahlrecht, und die evangelischen Frauen trennten sich wieder von dem Bund, weil sie dies ablehnten. Schon vorher waren sie von zwei Seiten in die Kritik geraten, galten ihrem kirchlichen Umfeld als zu links, den Frauenrechtlerinnen als zu rechts.

Dass Paula Müller-Otfried trotz der Ablehnung des Frauenwahlrechts später für den Reichstag kandidierte, mag verblüffen. Kuhn erklärt es damit, dass sie angesichts einer auch mit den Stimmen von Frauen stärker werden Sozialdemokratie die konservativen Kräfte stützen wollte.

Was das Wiedererstarken Deutschlands und das nationale Selbstbewusstsein anging, konnte Paula Müller-Otfried wohl den Ideen Adolf Hitlers etwas abgewinnen. Die blinde Gefolgschaft ihm gegenüber, die „Vergötzung eines Menschen“, lehnte sie jedoch entschieden ab und berief sich auf die Verantwortung des Einzelnen vor Gott. Im Oktober 1932 legte die 67-Jährige ihr Mandat im Reichstag nieder. Zwei Jahre später gab sie auch den Vorsitz des Deutschen Evangelischen Frauenbundes ab. Der Landessynode gehörte sie bis 1933 an.

Als Anhängerin von Johann-Hinrich Wichern (1808-1881) verband Paula Müller-Otfried die Frauenarbeit mit der Idee der Inneren Mission. Den sozialen Problemen der Industriegesellschaft wollte sie mit professioneller Hilfe begegnen. Gemeinsam mit Adelheid von Bennigsen gründete sie 1905 die Christlich-Soziale Frauenschule. Diese bildete als eine der ersten Einrichtungen ihrer Art junge Frauen für soziale Berufe aus. Sie war der Grundstein für die Evangelische Fachhochschule Hannover, die heute zur staatlichen Fachhochschule gehört. Paula Müller-Otfried erwarb sich großen Respekt und bekam 1930 von der Universität Göttingen den theologischen Ehrendoktor verliehen. Gewürdigt wurde laut Urkunde eine ernste und kluge Frau, „die ihr Leben in den Dienst der christlichen Liebesarbeit gestellt, die deutsche evangelische Frauenarbeit ein Menschenalter hindurch erfolgreich geführt“ und in Synoden und Parlamenten „für kirchliche und sittliche Erneuerung unerschrocken gekämpft“ hatte.

Eine historische Wahl

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Margot Käßmann und ihr Vorgänger Horst Hirschler 1999. Bild: Jens Schulze

Erstmals in ihrer Geschichte hatte die Landessynode im Juni 1999 die Wahl zwischen zwei Kandidaten für das Bischofsamt – und erstmals war mit der Generalsekretärin des Kirchentags, Margot Käßmann (damals 41), einer der beiden Bewerber eine Frau. Schon kurz nachdem Landesbischof Horst Hirschler im November davor seinen Rücktritt angekündigt hatte, war sich die GOK einig: Sie forderte, eine Frau zur Bischöfin zu wählen und knüpfte damit an eine Initiative an, die Frauen schon 1987 zu Hirschlers Wahl ins Leben gerufen hatten. Damals war sie noch erfolglos geblieben.

Im Februar 1999 verabschiedete die GOK eine Resolution an den Kirchensenat und an die Landessynode, in der es hieß: „Die Zeit ist reif, dass Frauen vermehrt Leitungsämter in der Kirche übernehmen. Das gilt auch für das bischöfliche Amt.“ Der LVK-Vorsitzende Hans-Christian Biallas warnte daraufhin vor einem „Geschlechterkampf“.

Mit Käßmann kandidierte dann knapp 40 Jahre, nachdem in der Landeskirche 1963 erstmals eine Frau ins Pfarramt ordiniert wurde, tatsächlich eine Frau für das Amt. Der andere Bewerber war der Stader Landessuperintendent und spätere Landesbischof von Schaumburg-Lippe, Jürgen Johannesdotter (damals 55).
Am 5. Juni wurde Käßmann im dritten Wahlgang mit 52 Stimmen gewählt. Johannesdotter erhielt 45 Stimmen, es gab eine Enthaltung.

Fast genauso spektakulär wie die Wahl gestaltete sich elf Jahre später der Rücktritt Käßmanns, die wenige Monate zuvor auch EKD-Ratsvorsitzende geworden war. Nach einer Autofahrt unter Alkoholeinfluss legte sie am 24. Februar 2010 alle Ämter nieder. Die Landessynode verabschiedete ihre Bischöfin am 2. Juni 2010. Auf den Tag, ja, auf die Stunde genau, elf Jahre zuvor war das Kirchenparlament zusammengekommen, um in einem dreitägigen Wahlkrimi seine neue Bischöfin zu bestimmen.

Wie redet man einen Bischof an?
„Hochwürden“ oder „Bischöfliche Gnaden“?

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Landesbischof August Marahrens mit seiner Ehefrau Agnes im Kreuzgang des Klosters Loccum, 1945, Bild: Landeskirchliches Archiv

Der erste Landeskirchentag, wie die Landessynode damals hieß, erörterte in seiner 13. Sitzung am 17. Juni 1925, welchen Titel der neu zu wählende Landesbischof tragen soll. Der folgende Text dokumentiert das Protokoll in leicht gekürzter Form.

13. Sitzung des ersten Landeskirchentages. - Geschehen im Sitzungssaale des Provinzial-Ständehauses zu Hannover am 17. Juni 1925.
Gegenwärtig: Alle Mitglieder außer den Herren Banstaedt und D. Knoche, die erkrankt sind, sowie sämtliche Bevollmächtigten des Landeskirchenamtes.

Nach dem von Herrn Lic. Lohmann im Anschlusse an 1. Petri 1,22-25 gesprochenen Gebete eröffnet der Herr Präsident um 9.25 Uhr die Sitzung und nimmt zunächst dem bislang durch Erkrankung an dem Eintritt in den Landeskirchentag verhindert gewesenen Mitgliede Herrn Dr. phil. Möller-Hermannsburg das in Artikel 60 der Verfassung vorgeschriebene Gelöbnis ab und stellt hierauf den 1. Punkt der Tagesordnung „Wahl des Landesbischofs“ zur Erörterung.

Herr D. Schaaf als Vorsitzender des Ausschusses zur Vorbereitung der Bischofswahl stellt vor Eintritt in die Wahlhandlung namens des Ausschusses folgende Anträge:
1. „Der Landesbischof führt den Titel ‘Hochwürden’.“
2. „Sein Amtszeichen ist ein goldenes Kreuz am schwarzen Band.“
3. „Über die Form des Kreuzes und das von ihm zu führende Siegel soll das Landeskirchenamt dem Landeskirchenausschuß Entwürfe vorlegen, auf Grund deren der Landeskirchenausschuß die Festsetzungen trifft.“

Herr v. Lütcken stellt den Verbesserungsantrag, dem Landesbischof mit Rücksicht auf seine bedeutsame Stellung an der Spitze der Landeskirche den Titel „Hochwürden Gnaden“ zu verleihen. (...)

Herr v. Lütcken verbessert seinen Antrag dahin, daß der Titel lauten soll „Bischöfliche Gnaden“.

Herr Nehren bittet, den Antrag abzulehnen und bei dem Titel „Hochwürden“ zu bleiben.

Herr Dr. v. Wagenhoff beantragt den Titel „Bischöfliche Hochwürden“, damit ein Unterschied zwischen dem Titel des Superintendenten und des Landesbischofs bleibt.

Herr Dr. Heiligenstaedt hält die Erörterung der Titelfrage nicht für die gebührende Einleitung zu dem hochbedeutsamen Wahlakt und beantragt eine Rückverweisung an den Ausschuß.

Dieser Antrag wird gegen eine Minderheit abgelehnt.

Der verbesserte Antrag v. Lütcken („Bischöfliche Gnaden“) wird nahezu einstimmig abgelehnt.

Der Antrag Dr. v. Wagenhoff („Bischöfliche Hochwürden“) wird gegen eine Minderheit von 20 Stimmen abgelehnt.

Der Ausschußantrag („Hochwürden“) wird nahezu einstimmig angenommen.

Die Ausschussanträge 2 und 3 werden einstimmig angenommen. Auf Vorschlag des Herrn Präsidenten werden die Herren Dr. Zahrenhusen und Lic. Steinmetz zu Beisitzern für die Bischofswahl ernannt. Nachdem bekannt gegeben ist, daß die Wahl durch Stimmzettel zu erfolgen hat ,und daß auf jeden Stimmzettel ein Name in einer den Zweifel an der Person des Gewählten ausschließenden Weise niederzuschreiben ist, wird festgestellt, daß die zu benutzenden Wahlgefäße leer sind, darauf erfolgt die Einsammlung der Stimmzettel durch die beiden Beisitzer.