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Grafik: Marc Vogelsang

Historischer Rückblick

Als der König sich verzockte

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Kultusminister Karl Lichtenberg um 1860

Der Titel klang unspektakulär. „Vorsynode“ nannte sich das Gremium, zu dem sich am 6. Oktober 1863 in Hannover 72 wohlsituierte Herren versammelten. Ihr Auftrag: eine Verfassung für die evangelischen Gemeinden im Königreich Hannover zu entwickeln, zu der auch die Ordnung für eine Synode gehören sollte.

Doch der nüchterne Titel hatte es in sich. Denn die 72 Herren hatten durch ihre Beratungen einen heftigen Konflikt beizulegen, der die Kirche im Jahr zuvor bis auf die Grundfesten erschüttert hatte: den „Katechismusstreit“. Und sie arbeiteten so gründlich, dass ihr Werk drei Jahre später eine noch schwerere Krise überdauerte: das Ende des Königreich Hannovers durch preußische Truppen.

Der Kirchenrechtler Rudolf Smend hat die Vorsynode als „glückliches Ereignis“ der Kirchengeschichte charakterisiert. Sie legte den Grundstein für die 150-jährige Geschichte der Landessynode bis heute.

Der Historiker Professor Hans Otte sieht in der Vorsynode sogar das entscheidende Datum für die Existenz der Landeskirche überhaupt. „Die Bildung der Landessynode bedeutet eigentlich die Gründung der Landes-kirche“, betont er. „Denn jetzt wird festgestellt, welche Gemeinden dazugehören.“

Ein Blick auf die Landkarte von damals zeigt im 1814 gegründeten Königreich Hannover sieben Kirchenbezirke mit staatlichen Konsistorien als Ver­waltungszentren: Neben dem großen Bezirk Hannover waren dies Loccum, Aurich, Stade, Osnabrück-Stadt, Osnabrück-Land und Otterndorf. Die Konsistorien waren zum Teil aus alten Fürstentümern hervorgegangen und pflegten ausgeprägte Eigeninteressen. Die einzige Klammer, die sie zusammenhielt, war das königliche Kultusministerium in Hannover. Entschieden wurde ganz nach Landesherren-Art: strikt von oben nach unten.

Doch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts formierten sich zwei sehr unterschiedliche Bewegungen mit dem gemeinsamen Ziel, diese Ordnung zu verändern. Liberale Kräfte wollten – von der französischen Revolution herkommend – mehr Mitbestimmung in die Kirche bringen.

Und lutherisch-konfessionelle Kreise strebten – von der Erweckungsbewegung herkommend – eigene Strukturen für die Kirche an, um Religion und Glauben zu stärken. Denn am Horizont zeichnete sich bereits die Trennung von Kirche und Staat ab. Beide Seiten konnten sich auf das hannoversche Staatsgrundgesetz von 1833 stützen, das bereits eine Versammlung aus gewählten und beru-fenen geistlichen und weltlichen Personen vorsah, die den König in kirchlichen Fragen beraten sollte – also eine Art Synode. 

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Der Landessynodalausschuss im Jahr 1922. Gruppenaufnahme der Herren: Dr. Graf von Wedel, Amtsrat Rehren, Justizrat Dr. Haccius, Propst Baustedt, Superintendent D. Knoche, Superintendent D. Schaaf. Bild: Archiv

 Im Katechismusstreit gerieten beide Tendenzen jedoch zunächst hart aneinander. „Die Vorsynode ist das Ergebnis eines veritablen Skandals“, sagt Professor Otte. Denn zum Programm der Konfessionellen gehörte ein neuer Katechismus für Schule und Unterricht. Der geltende Katechismus aus dem Jahr 1790 war den Erweckten zu sehr an den Gedanken der Aufklärung orientiert – eine Reform musste her. Dafür überarbeitete nun eine Kommission einen älteren Katechismus dem Jahr 1634. Dieses Werk jedoch enthielt Passagen etwa über die Beichte, die in den Ohren der Liberalen erzkonservativ, ja katholisch klangen.

Als König Georg V. am 14. April 1862 den erneuerten Katechismus durch königliche Order verbindlich einführte, brach kurz darauf ein Sturm der Entrüstung los. Der reaktionäre König wolle die Beichte wiedereinführen, hieß es. Aus Lüchow im Wendland meldete sich der liberale Pastor Karl Gustav Wilhelm Baurschmidt (1806-1864) mit der Protestschrift „Prüfet Alles“ und dem Vorwurf, die Obrigkeit wolle die protestantische Freiheit beschneiden. Seine Anhänger feierten ihn als Helden. Als Baurschmidt nach Hannover zitiert wurde, um sich vor dem Konsistorium zu verteidigen, wurde er unter „Hurra“ und „Lebehoch“-Rufen buchstäblich auf Händen getragen. Rund tausend Menschen bereiteten ihm mit Blumen und Lorbeerkränzen einen begeisterten Empfang.

Es kam sogar zur Revolte: Im Wohnhaus des Oberkonsistorialrats wurden mit Pflastersteinen die Türen und Fenster eingeworfen. Mehrere Tage lang musste das Militär Straßentumulte unterdrücken. Unter den Gendarmen gab es ein Todesopfer. Schärfster Vorwurf an den König: Er habe mit der Einführung des Katechismus die Verfassung gebrochen, die ja für solche Fälle ein beratendes Gremium vorsah.

Georg V. gab schließlich nach und nahm die verbindliche Einführung zurück. Zugleich entließ er seinen Kultusminister und mit ihm das gesamte Kabinett. Neuer Kultusminister wurde Karl Lichtenberg (1816-1883), ein Enkel des Göttinger Physikers und Literaten Georg Christoph Lichtenberg. Der versierte Jurist blieb bis zu seinem Tod als Konsistorialpräsident im Dienst der hannoverschen Landeskirche. Der Loccumer Abt Gerhard Uhlhorn (1826-1901), als Oberkonsistorialrat ranghöchster Theologe der Landeskirche, hat den Katechismus von 1862 später inhaltlich verteidigt, die Art seiner Einführung aber als schlimmen Fehler bezeichnet.

Lichtenberg gab schließlich im Herbst 1862 das Startsignal zur Bildung der Vorsynode. Sie tagte zunächst in Abständen bis zum 14. Dezember 1863. Unter den 72 Herren waren 64 nach modernem Wahlrecht gewählt und acht durch den König berufen – jeweils zur Hälfte geistliche und weltliche Mitglieder. Zehn Monate später wurde die von ihnen entworfene Kirchengemeinde- und Synodalordnung zum ersten Gesetz der hannoverschen Landeskirche, noch bestätigt durch König Georg V. Als direkte Folge wurde 1866 – am Tag bevor die Preußen einrückten – das gemeinsame Landeskonsistorium gegründet, das fortan neben der Landessynode die zweite Klammer der Landeskirche bildete. Es war der Vorläufer des heutigen Landeskirchenamtes.

Landessynode tagt im Henriettenstift

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Tagungsplan der XII. Tagung der 24. Landessynode Bild: Jens Schulze

Ab 1869 tagte die neue Synode alle drei Jahre, zwischendurch vertreten durch einen sehr einflussreichen Landessynodalausschuss. Die Frage, welche Gemeinden nun zur Landeskirche gehörten, klärte sich ganz praktisch: Wer Geld an die Landessynode zahlte, war dabei.

Dabei schälte sich auch heraus, dass die neue Landeskirche anders als etwa im übrigen Preußen, in Hessen oder Baden lutherisch organisiert war. Reformierte Gemeinden gingen eigene Wege und bildeten erst 1884 eine eigene Kirche in der preußischen Provinz Hannover.

Das Königreich Hannover war da schon Geschichte. Auch das alte Ständehaus, wo die Vorsynode tagte, ist inzwischen verschwunden. Es lag im Stadtzentrum nahe dem heutigen Kröpcke und fiel den Bomben des Zweiten Weltkriegs zum Opfer. Nur die Landessynode ist geblieben. Seit 1963 tagt sie im umgebauten Schwesternsaal der Henriettenstiftung. 

Berichterstattung über die aktuelle Tagung

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Der Bischofsbericht wird auch von Medienvertretern aufmerksam verfolgt.   Bild: Jens Schulze

Moderne Medien werden eingesetzt, um aus der Synode zu berichten: Journalisten und Öffentlichkeitsarbeiter machen je ihre Arbeit: Berichterstattung im Evangelischen Pressedienst, in den Tageszeitungen, in Fernsehen und Rundfunk und auch im Internet und bei der Tagung der Jubiläumssynode erstmalig auch im sozialen Netzwerk "wir-sind-evangelisch.de"

Das Community-Portal mit der Berichterstattung von der Tagung der Landessynode