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Grafik: Marc Vogelsang

Mehr Demokratie

Der Wendekreis des Tankers

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Hartmut Badenhop

Studentenunruhen, der Eichmann-Prozess, der Radikalenerlass oder die Diskussion über die „Grenzen des Wachstums“: Die 1960er und 1970er Jahre waren eine politisch bewegte Zeit. Viele Themen berührten auch die hannoversche Kirche, doch von der Landessynode wurden sie oft erst dann aufgegriffen, wenn sie mit Anfragen oder „Offenen Briefen“ von außen hineingetragen wurden, hat Heinrich Grosse herausgefunden. Für das Buch „Kirche in bewegten Zeiten“ hat der Theologe die Synodenunterlagen von fast zwei Jahrzehnten untersucht.

Themen wie der Vietnamkrieg, die Notstandsgesetze oder die Diskussion um die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Israel wurden zwar in der Synode durchaus kontrovers verhandelt, sagt Grosse. In den Beschlüssen habe sich die Synode aber um Konsens bemüht.

An lebhafte Diskussionen erinnert sich auch der frühere hannoversche Landessuperintendent Hartmut Badenhop, der von 1965 bis 1982 der Synode angehörte. „Das Schicksal vieler Verlautbarungen war: Sie gaben nicht den Prozess wieder, der dahinter steckte, sondern am Ende ein klares Jein“, erinnert er sich.

Der als linksliberal geltende damalige Göttinger Superintendent Badenhop hatte selbst oft eine klare Position. Bis heute engagiert er sich zum Beispiel für den christlich-jüdischen Dialog. Nicht nur bei diesem Thema gab es für ihn neben der Synode aber auch andere Foren – zum Beispiel den Deutschen Evangelischen Kirchentag. „Ich muss die Verantwortung, die sich mir als Einzelnem stellt, nicht an die große Institution abgeben“, sagt er.

In der Synode warb Badenhop vor allem für mehr Demokratie und eine Debattenkultur. Die evangelische Kirche habe sich in den 1960er Jahren damit auseinandergesetzt, wie sie politisch wirken könne. Zwar müsse die Kirche politisch sein und manchmal eindeutig Stellung beziehen. Sie sei aber nicht so leicht auf eine Linie zu bringen, weil viele mitgenommen werden müssten, erläutert der Theologe.

„Die Kirche ist eher vergleichbar mit einem Tanker, der sechs Meilen braucht, bis er seine Richtung verändert.“ Für den heute 82-Jährigen war die Auseinandersetzung mit den brisanten Themen deshalb oft genauso wichtig wie ein öffentlichkeitswirksames einheitliches Votum.

So war es zum Beispiel 1968, als 154 Pastoren und Laien von der Landessynode ein klares Wort zum Vietnamkrieg und zum Frieden erbaten. Kontrovers wurde vor allem ihre deutliche Kritik an der amerikanischen Vietnampolitik aufgenommen. Synodenmitglieder wendeten ein, sie seien nicht kompetent genug, sich zu äußern. Badenhop warb dafür, einen Sonderausschuss zu bilden, damit das Thema nicht gleich abgeschmettert werde. Die Landessynode beschloss am Ende eine Erklärung, die zwar auf ein Ende des Krieges drängte, aber deutlich allgemeiner blieb, als es die Verfasser des offenen Briefes wollten.

Nicht alle Reformziele für die Kirche seien erreicht worden, zieht Badenhop Bilanz. Dennoch seien die evangelische Kirche und ihr Gremium Landessynode in den 1960er und 1970er Jahren deutlich demokratischer geworden. Dazu habe auch die Gründung der Synodalgruppen beigetragen. „Als ich in die Synode kam, erlebte ich ein Parlament, in dem ganz wenige Kundige das Sagen hatten. Eine wirkliche Diskussion fand nicht statt. Das war unbefriedigend.“ Badenhop rief 1969 gemeinsam mit anderen die „Gruppe Offene Kirche“ ins Leben.

Der Austausch im kleineren Kreis sollte dafür sorgen, dass mehr Beteiligung, Transparenz und offene Debatten möglich wurden. Später kam mit der heutigen „Lebendigen Volkskirche“ eine weitere Synodalgruppe dazu. „Es hat sich etwas bewegt“, sagt Badenhop: „Langsam – wie es einem Tanker entspricht.“

Wiederaufbau und neue Aufgaben

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Zerstörtes Hannover nach dem Krieg, Bild: Landeskichliches Archiv

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs musste die demokratische Verfassung der Landeskirche neu aufgebaut werden. Die 1945 vom Landesbischof einberufene vorläufige Landessynode und ein vorläufiger Kirchensenat erließen die notwendigen Gesetze. Die erste ordentliche Landessynode trat 1947 zusammen

Für die neu zusammentretende Landessynode gab es wie für die gesamte Landeskirche große Herausforderungen.

Aus der Geschichte der Landeskirche: Wiederaufbau