Wanderer auf dem Weg zum Gipfel

Bild: Erich Keppler / www.pixelio.de

Großeltern und Enkel

„Eltern sind zum Erziehen da, Großeltern zum Verziehen“?

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Was Opa noch wusste: Nicht nur handwerkliche Fähigkeiten können Großeltern an ihre Enkelkinder weitergeben. Auch für die Vermittlung von Kultur und Geschichte sind sie unverzichtbar. Bild: fotolia

„Opa, du bist mein Freund.“ Julian schaut nicht einmal auf, als er diese Worte ausspricht, die seinem Großvater Tränen der Freude über die Wange laufen lassen. Die beiden – knapp sechs Lebensjahrzehnte trennen sie – hocken auf dem Fußboden und schnitzen einen Wanderstab. Zuhause hätte Julian das scharfe Offiziersmesser nicht benutzen, ja nicht einmal im zugeklappten Zustand aus der Schublade nehmen dürfen. Bei Opa ist das möglich. Das verbindet.

Stefanie wurde im vergangenen Jahr konfirmiert. Aber über ihre Haarfarbe darf sie noch lange nicht entscheiden. Das schrille Pink, das sie sich zwischen Weihnachten und Neujahr hat färben lassen, haben Mutter und Vater noch nicht gesehen; Stefanie verbringt die Weihnachtsferien bei ihrer Oma in Hamburg. Und die fand die Farbe zwar auch nicht okay („die macht dich blass“), sie hat dennoch die letzten 15 Euro für den Friseur spendiert. „Deine Mama hat in den 80-er Jahren auch nicht anders ausgesehen“, hat Oma ihr noch verraten.

„Eltern sind zum Erziehen da, Großeltern zum Verziehen“, hieß es einst. Das hörte sich an wie eine versteckte Warnung, der älteren Generation bloß nicht zu viel Einfluss auf die Kinder einzuräumen. Doch wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass zum Wohlergehen und Gelingen offenbar beides gehört – die klaren Vorgaben der Eltern ebenso wie das großzügige Interpretieren der Großeltern. Letztlich profitieren alle drei Generationen davon, wie verschiedene Studien zeigen. Dass Stefanies Oma von der „ausgeflippten“ Zeit ihrer Tochter erzählt, rückt das Bild zurecht, das sich der Teenager von seiner Mutter gemacht hat.

Corinna Onnen, Soziologin am Institut für Sozialwissenschaften und Philosophie an der Universität Vechta, sagt, „die Alten relativieren die Beziehungen innerhalb der Familie“. Wenn Oma und Opa die Geschichten der eigenen Familie preisgeben, zeigten sie dem Kind, dass auch die Eltern nicht fehlerlos seien und ermöglichten so dem Enkelkind eine neue Sicht auf Mutter und Vater. Und wenn Julians Opa sich über das Messerverbot seiner Schwiegertochter hinwegsetzt, dann gibt er seinem Enkel nicht nur die Gelegenheit, sich um Umgang mit gefährlichem Gerät – unter Aufsicht – zu üben. Der Steppke lernt auch, dass Mutters Ängste und Großvaters Umsicht die beiden Seiten ein und derselben Medaille sind, nämlich der Liebe zum ihm.

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Spaß bei der Handarbeit - auch über Generationen hinweg. Bild: Kerstin Kempermann / Evangelische Zeitung

Nicht nur diese Liebe verbindet die Generationen, auch die Zeit und Muße, die Großeltern ihren Enkelkindern gegenüber aufbringen können – mehr als je in ihrer Elternphase. Nach dem Deutschen Alterssurvey sind neun von zehn Omas und Opas überzeugt, dass sie für ihre Enkelkinder bedeutsam sind. Das ist keineswegs eine Fehleinschätzung: Ebenso viele Enkel zwischen 12 und 16 Jahren, so zeigt eine Schweizer Studie, halten ihre Großeltern für so wichtig, dass sie mit ihnen regelmäßig Kontakt halten. Ein Drittel besucht sie mindestens einmal die Woche, ein weiteres Drittel telefoniert ebenso häufig mit ihnen. Oma und Opa sind – nach den Eltern – die wichtigsten Menschen für Kinder und Jugendliche. Und nur jeder fünfte Teenager hält seine Großeltern für altmodisch. Wohl auch, weil diese noch nie so viel Zeit für sie hatten. Sie können den Lebensweg der Enkel nicht nur bis zur Konfirmation verfolgen, sondern oft sogar noch Urgroßkinder in den Kindergarten begleiten. Und ihr Rentenalter ist keineswegs vom Sitzen im Schaukelstuhl gekennzeichnet, eher schon von der Reise im Wohnmobil, in dem auch die Enkelkinder behütet auf Skandinavien-Entdeckerreise gehen können. So ist es nicht erstaunlich, dass das Großelterndasein „zu den wenigen positiv besetzten Altersbildern“ gehört, wie der Soziologe François Höpflinger meint.

Wenn die ältere und die jüngere Generation davon profitiert, bleibt dass die mittlere, die Elterngeneration auf der Strecke? Nein, sagen unterschiedliche Forscher, im Gegenteil. Da mögen die Eltern den Großeltern zwar vorschreiben: „Zu Ostern aber nicht mehr als 100 Gramm Schokolade für jedes Kind“. Doch wenn dann Oma und Opa zu den 100 Gramm Schokolade auch noch je drei mittelprächtige Marzipan- und Nougateier und einen Goldhasen für jedes der drei Enkelkinder im Reihenhausgarten verstecken, bleibt die Kritik an dieser Grenzüberschreitung verhalten. Denn letztlich fiel die Entscheidung, es nicht nur bei einem Kind zu belassen, auch, weil Oma und Opa die zuverlässigsten Babysitter bei der Erstgeborenen waren. Und weil sie auch kurzfristig einspringen können, wenn etwa im Kindergarten die Masern grassieren. Zwei von drei Familien können sich auf Oma und/oder Opa verlassen. Für die Entscheidung zu einem Kind (erst recht mehreren) ist das wichtiger und effektiver als jedes staatliche Förderprogramm. Erleichtert wird das durch die überraschende Feststellung, dass Familien trotz wachsender Mobiliät weiter nah zusammenleben. Vier von zehn Großmütter und -väter sind für ihre Enkel binnen einer Viertelstunde zu Fuß zu erreichen; ein weiteres Drittel wenigstens binnen einer Stunde Autofahrt.

Dass die Kritik der Generationen aneinander eher verhalten ausfällt, liegt aber nicht nur an der Sorge der Eltern, diese zuverlässigen Babysitter zu verprellen. Vielmehr liegen die Erziehungsvorstellungen längst nicht mehr so weit auseinander wie noch vor drei, vier Jahrzehnten. So fällt es modernen Großeltern leichter, den Vorgaben der Eltern nachzukommen. Aus dieser Zurückhaltung wächst ihre Stärke: Wer sich nicht aufdrängt, wird gebeten, wer nicht (viel) kritisiert, wird um Rat gefragt, wer nicht bestimmen will, ist als Autorität akzeptiert.

Die Münchner Pädagogikprofessorin Sabine Walper vermutet allerdings auch eine gewissen Unsicherheit als mögliche Ursache für diese Harmonie. Fast die Hälfte aller Eltern wisse nämlich nicht, etwa wo sie ihren Kindern Grenzen setzen sollten. Doch darüber diskutierten sie lieber mit Freunden als mit der eigenen Mutter.

Erziehen oder verziehen? Letztlich entscheiden doch die Eltern. Denn die Enkel sind ihr Faustpfand. Für die meisten Großeltern wäre es nämlich der schlimmste Verlust, ihre Großkinder seltener oder gar nicht mehr zu sehen. So können Eltern ihre Eltern zum Einhalten ihrer Erziehungsziele bewegen.

Michael Eberstein / Evangelische Zeitung

Zu Oma und Opa

Es ist klar für den kleinen Mann - gerade mal vier Jahre - alt: bei den Eltern, die immer anderer Meinung sind, will er nicht bleiben. Sie verbieten einem, was Spaß macht. Deshalb hat er seine Kindergartentasche mit den nötigsten Sachen gepackt: das Feuerwehrauto und das wichtigste Bilderbuch sowie sonst noch ein paar Dinge, auf die er nicht verzichten kann. In der anderen Hand sein Schmusetier, dreht er sich an der Wohnungstür noch einmal um: „Ich ziehe aus!“

Und wo geht er hin? Ins Nachbarhaus, wo Oma und Opa wohnen. Da hat er es, so ist er überzeugt, doch viel besser.

Filmtipp: Vitus

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Vitus Bild: film-dienst

Ein hochbegabter Junge, dessen Karriere als Pianist von seiner ehrgeizigen Mutter forciert wird, findet eine kindgerechte Rückzugs-möglichkeit bei seinem erdverbundenen Großvater, der auch noch zu ihm hält, als er durch einen Sturz vom Balkon zum "normalen" Kind wird. Die mit märchenhaften Untertönen konventionell, aber wirkungsvoll und anrührend erzählte Geschichte einer Menschwerdung mit geschliffenen Dialogen und eindrucksvollen
schauspielerischen Leistungen. Eine Liebeserklärung an die Kindheit und die Musik. (nach: film-dienst)

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Kinderakademie Loccum

Ein generationenübergreifendes Fortbildungs- und Freizeitprogramm wird angeboten von der Kinderakademie Loccum.

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