Startseite Archiv Nachricht vom 12. Januar 2019

Prominente erinnern mit szenischer Lesung an Bootsunglück vor Lampedusa

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Hannover. Meeresrauschen füllt über Lautsprecher die Marktkirche in Hannover. Auf einer Leinwand vor dem Flügelaltar, der mit seinen aus Lindenholz geschnitzten Bildern die Leidensgeschichte Jesu erzählt, wechseln sich Fotos der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa ab. Sie zeigen einen makellosen Himmel und goldenen Sand, dazwischen aber gestrandete Boote und Leichensärge. Das Mittelmeer ist - für Flüchtlinge vor allem, doch in den letzten Jahren vermehrt auch für Seenotretter - zum Leidensweg geworden. Um darauf aufmerksam zu machen, haben Prominente aus Hannover am Freitagabend mit einer Lesung von Zeugenberichten an den Tag erinnert, als vor mehr als fünf Jahren bei einem Bootsunglück nahe der Küste Lampedusas 368 Menschen ertranken.

Landesbischof Ralf Meister, Niedersachsens Integrationsbeauftragte Doris Schröder-Köpf (SPD) oder Landtagsabgeordnete wie Alptekin Kirci (SPD) und Volker Meyer (CDU) verliehen ihre Stimmen den Einwohnern von Lampedusa und lasen aus den Originalberichten von Augenzeugen, Helfern, Küstenwächtern oder Ärzten sowie Überlebenden des Bootsunglückes. Der ehemalige Lehrer Antonio Umberto Ricco hat die Texte aus Zeugenaussagen und dokumentarischem Material zusammengestellt. Die szenische Lesung "Ein Morgen vor Lampedusa" hatte Ricco 2013 ursprünglich nur für zehn Aktionen geplant. Inzwischen gab es bereits 349 Aufführungen in Deutschland und Italien - und es geht weiter. Ricco wurde dafür 2016 als "Botschafter für Demokratie und Toleranz" geehrt.

Die Aussagen geben Aufschluss darüber, was an diesem 3. Oktober 2013 vor Lampedusas Küste geschah, wie es zu der Katastrophe kam und wie sie die Menschen im Ort noch immer beschäftigt. Dabei geht es auch darum, was Seenotrettung bedeutet. Aufnahmen zeigen, wie Küstenwache, Bundeswehr oder Organisationen wie "Jugend rettet" den Schiffbrüchigen rote Schwimmwesten zuwarfen, wie Menschen Rettungsboote bestiegen, sich mühsam an Bord hieven ließen und kopfüber hinfielen, schwer und erschöpft.

"Wer Migranten illegal zur Einreise verhilft, macht sich in Italien strafbar", sagte Ricco. Auch wenn Gerichte die Helfer, die im Sinne der Seenotrettung handeln, nach langwierigen Verhandlungen freisprechen: Allein wegen Prozesskosten gerate die Existenz der in den Fokus der Behörden geratenen Fischerfamilien in Gefahr. Derzeit wird in Italien auch gegen die Hilfsorganisation "Jugend rettet" ermittelt. Ihr Schiff "Iuventa" wurde 2017 beschlagnahmt, der Vorwurf lautet auf Menschenhandel.

"Der Verdacht ist absolut haltlos", sagte der freiwillige Helfer Aram Ali in einem Interview nach der Lesung. "Jeden unserer Einsätze melden wir zunächst der italienischen Küstenwache, wir arbeiten eng mit ihr zusammen." Der 29-jährige Rechtsreferendar vermutet, dass sie hereingelegt wurden. Die Jugendorganisation hatte sich 2015 gegründet, nachdem Italien die Rettungsoperation "Mare nostrum" im Jahr zuvor beendet hatte. Mit rund 300 ehrenamtlichen Helfern an Bord und Land hat die "Iuventa" nach eigenen Angaben seitdem mehr als 14.000 Menschen gerettet.

Christoph Stürzekarn hat mehr als drei Monate auf der "Iuventa" verbracht. Die Zeit habe ihn wie auch seine Kollegen bewegt und verändert, erzählt er. "Mit Menschen zu tun zu haben, die nichts außer ihrem Leben und der Kleidung am eigenen Leib besitzen, lehrt einen Dankbarkeit."

Zu den Vorlesern in der voll besetzten Marktkirche gehörte auch Ali Reza Husseini, ein 28-jähriger Fotograf aus Afghanistan. "Ich konnte mir die Bilder auf der Leinwand nicht anschauen", sagt Husseini. Vor dreieinhalb Jahren saß er selbst auf einem ähnlich kaputten Boot zusammen mit seiner Mutter und weiteren 44 Menschen und kam in Griechenland an. "Es war in der Nacht, und wir hatten kein Licht." Die Gesichter der Retter werde er niemals vergessen.

Husseini macht eine Ausbildung, sein Aufenthaltsstatus ist noch ungeklärt. Sobald er reisen darf, will er zunächst den Ort, an dem sein Boot heil ankam, wieder besuchen und anderen Geretteten diesmal selbst helfen: "Ich bringe ihnen warme Decken mit."

epd-Landesdienst Niedersachsen-Bremen