Startseite Archiv Nachricht vom 01. Februar 2016

Asyl neben dem Kirchturm

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Lengede (epd). Von seinem Zimmer aus kann Ahmad auf den Kirchturm blicken und die Glocken hören. Seit wenigen Monaten wohnt der aus Syrien stammende Muslim in einem evangelischen Pfarrhaus in dem Dorf Woltwiesche bei Salzgitter. Er fühle sich hier wie in einem sicheren Zuhause, sagt der 33-Jährige lächelnd. "Alles erinnert mich an mein altes Leben, bevor der Krieg kam." In Niedersachsen werden immer mehr Häuser der Kirche zu Flüchtlingsunterkünften.

Auf dem Gebiet der braunschweigischen Landeskirche sind eigenen Angaben zufolge in den vergangenen Monaten vier Unterkünfte, teils in leerstehenden Verwaltungsgebäuden, Pfarr- oder Gemeindehäusern, entstanden. Rund 31 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge leben derzeit im Theologischen Zentrum in Braunschweig. In der hannoverschen Landeskirche werden laut einem Sprecher etwa zehn Häuser als Unterkünfte genutzt. "Insgesamt bleibt die Zahl jedoch gering, weil viele leerstehende Häuser bereits verkauft wurden."

In dem rund 2.000 Einwohner zählenden Dorf Woltwiesche wohnt schon seit Jahren kein Pastor mehr. Pfarrer Martin Schulz kommt fast täglich aus dem Nachbarort. Spontan hat er mit Gemeindemitgliedern eine Helfergruppe für Ahmad und die neun weiteren Asylsuchenden gegründet. Zu diesem Kreis zählt auch Pfarrsekretärin Elsler, die ihr Büro gleich neben der Fünf-Zimmer-Wohnung in dem alten Fachwerkhaus hat. "Wir stehen jeden Tag parat, weil sie uns brauchen", sagt sie. Das sei eine große, aber auch schöne Herausforderung.

Die Flüchtlinge seien spät abends Ende Oktober angekommen, erinnert sich Elsler. "Sie hatten so gut wie gar nichts dabei und zum Teil sogar nur Badeschlappen an." Zunächst sei sie nach Hause gefahren, um ihren Vorratsschrank zu plündern. Durch den Helferkreis wurden schnell alles weitere Notwendige wie Kleidung, Möbel und auch Fahrräder gesammelt. In Woltwiesche gibt es außer einem Kiosk keine Geschäfte.

Mittlerweile begleiten die Mitglieder aus dem Helferkreis die Flüchtlinge oft ganztätig zu Ämtern oder Ärzten. Auch fahren sie mal mit ihnen zum Freitagsgebet in die nächste Moschee im 20 Kilometer entfernten Braunschweig. Umgekehrt besuchen Ahmad und seine Mitbewohner von Zeit zu Zeit den Gottesdienst und haben Weihnachten mitgefeiert, sagt Elsler. "Der Glaube wird gegenseitig respektiert. Wir müssen nicht missionieren."

Für Ahmad ist es nicht ungewöhnlich, als Muslim in einem Pfarrhaus zu leben. Im syrischen Damaskus hätten Kirchen und Moscheen nebeneinander gestanden. "Alle Menschen waren gleich." Während er erzählt, zeigt Ahmad auf seinem Smartphone Bilder von seinem früheren Leben. Der gelernte Schneider hatte gemeinsam mit einem Freund zwei Geschäfte für selbst entworfene Frauenmode. Als der Freund auf offener Straße erschossen wurde, entschied er sich zur Flucht.

In seinem Zimmer im Pfarrhaus hat Ahmad dank der vielen Spender nun gleich zwei Nähmaschinen stehen. Und seit ein paar Tagen hat er die Bestätigung, dass er in Deutschland bleiben darf. Nun träumt er davon, seinen eigenen kleinen Laden in Deutschland zu eröffnen. Ideen hat er schon viele. Vielleicht werde er Kleider für Flüchtlingsfrauen nähen.

Auch dabei wollen ihm die Woltwiescher helfen, kündigt Elsler an. "Wir sind nicht nur Nachbarn, sondern wir sind Freunde geworden."  

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