Hildesheim. Das Wort Glaube war Corinna Arndt die meiste Zeit ihres Lebens fremd. In der damaligen DDR geboren, ist sie gewissermaßen eine gelernte Atheistin. Die Eltern hatten es nicht mit der Kirche, der Staat sowieso nicht. Doch vor einem Jahr, da war sie 45, hat sich das geändert. Wie aus heiterem Himmel, ohne einen speziellen Wendepunkt, begann sie, sich intensiv für religiöse Themen zu interessieren. Da kam ihr der erste Online-Kurs „Den christlichen Glauben entdecken“ gerade Recht.
Im Sommer vorigen Jahres hat das Diakonische Werk Hildesheim-Sarstedt e.V. ein bislang bundesweit einmaliges Projekt gestartet, die „Online-Kurse zum Glauben“. Das Angebot richtet sich an alle, die keine Zeit oder kein Interesse an den regelmäßigen Treffen der klassischen Glaubenskurse haben, die in vielen Gemeinden stattfinden.
Die Inhalte sind vergleichbar, Menschen können über Gott und die Welt reden, ihren Glauben reflektieren und religiöse Einstellungen neu definieren. Nur dass beim Online-Kurs keine verbindlichen Termine bestehen und der Gruppenzwang entfällt. Jede und jeder entscheidet selbst, wie sehr sie oder er sich auf eine Diskussion per Mail oder im Online-Forum einlässt. Man/frau kann Literaturtipps aufgreifen oder es lassen, die wöchentlichen Studienbriefe intensiv lesen oder gar nicht, die angebotenen Links weiter verfolgen oder ignorieren.
Die relative Anonymität des Internets hat auch Corinna Arndt gereizt und war ein wichtiger Grund für ihre Anmeldung – wobei sie zu den wenigen Teilnehmenden des ersten Kurses gehörte, die ein ausführliches Nutzerinnenprofil mit Foto gestalteten. „Ich konnte selber entscheiden: Was lasse ich an mich heran?“, erzählt die Hannoveranerin, die als Teamleiterin in einem Wirtschaftsunternehmen arbeitet, über ihre Motivation.
Wie sich bald herausstellte, ließ Corinna Arndt eine ganze Menge an sich heran. „Es war eine wahnsinnige Bereicherung für mich“, sagt die 46-Jährige heute. Zehn bis 15 Stunden pro Woche vertiefte sie sich in die Kursmaterialien und ist auch nach dem Ende des Kurses weiter auf einer religiösen Entdeckungsreise. Was gibt ihr die Beschäftigung mit dem Glauben? „Eine neue Gemeinschaft, die sich durch große Wärme und Zuneigung den Menschen gegenüber auszeichnet“, antwortet sie nach kurzem Nachdenken. Und: „Menschen, die Liebe schenken.“
So viel Feuer wie Corinna Arndt fangen nicht alle Teilnehmenden, der durchschnittliche Zeitaufwand ist mit ein bis zwei Stunden deutlich geringer. Doch die Nachfrage sei groß, berichtet Pastorin Birgit Berg, die das Pilotprojekt der Online-Glaubenskurse leitet. Nach einem Dreivierteljahr kann sie zudem feststellen, dass das Internet-Angebot mehr konfessionslose Menschen anzieht als die herkömmlichen Kurse. „Es sind viele dabei, denen die Kirche fremd geworden ist“, sagt die evangelische Pastorin und fügt hinzu: „Für mich ist der Kurs ein Geschenk. Auch ich als Theologin muss noch einmal neu formulieren, was Glaube ist – gemeinsam mit Menschen von Außen.“
Die Teilnehmenden kommen überwiegend aus dem südniedersächsischen Raum, zum Teil jedoch aus entfernten Ecken Deutschlands. Derzeit läuft der zweite Kurs, in dem das Spektrum durch gemeinsame Chattermine erweitert wird und bei dem es auch Chat-Andachten geben soll. Allerdings ist es Birgit Berg wichtig, dass der Glaube auch im realen Leben ein Zuhause bekommt. Deshalb verweist sie die Teilnehmenden an die jeweilige Gemeinde vor Ort. Denn, so Birgit Berg: „Den echten Austausch kann das Internet nicht ersetzen.“
Das kann Corinna Arndt bestätigen. Sie hat inzwischen schon viele Gottesdienste besucht – evangelische wie katholische – und überlegt, sich taufen zu lassen. Das eilt aber nicht. Vorher gibt es noch so viel zu lesen und zu entdecken.